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Jonas Albrecht Mea Cilurzo

01.05.24

Musik

Schrei alles gross!

Vehement und konsequent: Der Schlagzeuger Jonas Albrecht veröffentlicht sein Solodebüt «Schrei mich nicht so an ich bin in Trance Baby», das auf ausdauernden Drum-Übungen basiert.

Benedikt Sartorius (Text) und Mea Cilurzo (Bild)

Geh rein in die digitale Soundwolke, die sich ausbreitet, deine Sinne ausschaltet und so vieles in sich verschlingt: den Raum, deinen Körper, deine Wesenszüge. Aber irgendwo leuchtet ein Licht, so, wie das eine fast bis zur Unverständlichkeit bearbeitete Autotune-Stimme im wiederholten Satz «ich gseh dis liecht im schatte vo usse» immer wieder sagt. Und du möchtest dich hingeben, bis die Wolke verschwindet, und der Beat übernimmt. Es ist kein Computerbeat, sondern die Präsenz eines akustischen Schlagzeugs, das vielarmig und vielfüssig die Leere füllt und fortwährend treibt und weitertreibt. Das Ziel dieser Musik ist klar: ein Zustand der Trance.

EINFACH TROMMELN, EINFACH SPIELEN

Die Trance, sie steht auch im Titel des Solodebüts von Jonas Albrecht. «Schrei mich nicht so an ich bin in Trance Baby» nennt der Schlagzeuger der Band Film 2 dieses Album – und die Grossbuchstaben sind angemessen, denn diese Musik ist vehement und konsequent, und verwandelt die Zuhörer:innen in tanzende Wesen.

Ein solches Drum-Album sei zunächst gar nicht seine Absicht gewesen, sagt Jonas Albrecht am Telefon. Nach seiner Rückkehr aus Skandinavien, wo der Luzerner einen nomadischen Lebensstil ohne fixen Raum und eigenes Schlagzeug pflegte, hat er gemerkt, wie viel Spass das macht: einfach zu trommeln, einfach zu spielen und dieses Spiel zu geniessen. Albrecht beschreibt dies als einen Back-to-the-Roots-Moment und eine Wohltat nach vielen Performances, in denen die Arbeit mit dem Computer im Vordergrund gestanden hat.

Die vier Stücke auf dem Album basieren auf Übungen für Technik, Koordination und Ausdauer. Je länger und je öfter Jonas Albrecht diese spielte, merkte er: Das ist eigentlich genügend spannend, das könnte man ja noch weiterdenken. Er ging für einen Studiotag nach Biel zum Omni-Selassi-Drummer Lukas Rutzen, spielte die vier Übungen, so lange er Energie hatte oder bis er aus den strengen Mustern rausgefallen war. Ein paar Monate später sagte ihm sein Film-2-Komplize Elischa Heller beim Hören dieser Aufnahmen: «Du könntest jetzt einfach ein Album daraus machen.» Und das tat er dann auch, er erweiterte die Drum-Aufnahmen mit superprozessierten Hyperpop-Stimmen und schlug auch mit dem Albumtitel den konzeptuellen Bogen zum Trance-Thema dieses so konzentrierten Albums.

BIS ZUR ERSCHÖPFUNG

«Schrei mich nicht so an ...» ist bei aller Körperlichkeit und der physischen Energie, die eine solche Musik verlangt, kein Spiel der Muskeln, kein Spiel eines Mackers, der sich hinter seinem Schlagzeug verschanzt und sich unnahbar und unverletzlich gibt. «Ich versuche, an einen Punkt meines Spiels zu kommen, an dem die körperliche Überforderung spürbar ist, an dem der Krampf und die Fehler unvermeidlich werden», erzählt Jonas Albrecht. Man hört diese Erschöpfung am Ende der Krafttour «LEIB», die in das beinah sanfte und so anziehende «LUST» übergeht. In diesen fünfzehn Minuten, die sich zeitlos anfühlen, wirkt das Album wie eine liebevolle Umarmung.

Dass Jonas Albrecht nicht versucht, das Bild eines supervirtuosen Drummers abzugeben, der gerade eine Show abliefert, ist auch bei seinen Konzerten spürbar, an denen er sich allein durch seine Erscheinung mit Schminke und den Stimmeffekten vom Macho-Klischee abhebt. Sowieso ist ihm der Fokus auf seine Person nicht nur angenehm – und erweiterte auch aus diesem Grund rund um den Albumrelease im Frühjahr sein Soloprojekt zum achtköpfigen Orchester: «Ich hatte schon immer Bock auf ein akustisches Drone-Ensemble, das das klassische Konzertformat brechen kann», so Albrecht, der ursprünglich mehrstündige Happenings geplant hatte – damit sich die Besucher:innen verlieren können wie an einem Rave in einem Club.

Dieses Rave-Gefühl, an dem sich das Zeitempfinden und die Raumorientierung auf lösen: Es ist nun simulierbar. Ein Soundsystem und dieses Album genügen. Geh rein in diese Zone und schrei, in gefühlten Grossbuchstaben.

Das Album «Schrei mich nicht so an ich bin in Trance Baby» von Jonas Albrecht ist im Januar 2024 beim Label Irascible Records erschienen.

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