DIE GROSSE NULL41 × FREITAG ABO-RALLYE — JE MEHR ABOS, DESTO MEHR GEWINNER:INNEN.
  • Lesen
  • Kulturmagazin
  • Literaturpause
  • Abo
  • Inserate
  • Fanclub
  • Über uns
Porträt von Fabian Riccio, zVg

01.10.25

Musik

«Schon lange nicht mehr diese Energie gespürt»

Fabian Riccio hat der Zentralschweizer Kulturszene längst seinen musikalischen Stempel aufgedrückt. Seit Kurzem ist er Programmleiter im Neubad.

Robyn Muffler (Interview)

Fabian Riccio, was hörst du gerade für Musik?

Im Moment höre ich viel Feng, einen britischen Rapper und Produzenten, der zeitgenössischen Post-Internet-Rap macht.

Kenne ich nicht. Würdest du ihn fürs Neubad buchen?

Noch nicht. Ich kann ihn mir momentan eher im Rahmen der Konzertreihe «Endless Bazaar» vorstellen. Feng spricht musikalisch ein spezifisches Publikum an. Das ist natürlich auch reizvoll, aber ans Neubad möchte ich mich sanfter herantasten, erst mal schauen, was ich vorfinde, was das Neubad braucht, ob’s im nächsten Halbjahr überhaupt noch einen freien Slot gibt. Musik wie bei Feng, die mit Pop flirtet und es schafft, einen eigenen Twist dazuzugeben, interessiert mich – und wird sicher auch das künftige Programm im Neubad prägen.

Wie sieht’s mit Musiker:innen wie Fai Baba, Edb oder Steiner & Madlaina aus?

Würde ich auch buchen, klar. Warum meinst du?

Weil ich deinen Musikgeschmack in der experimentellen und internationalen Ecke verorte und wissen wollte, wie weit du dich in die mainstreamlastigere Schweizer Popszene wagst.

Wer mich kennt, weiss, dass ich musikalisch nicht festzulegen bin. Wenn ich sehe, dass etwas bei den Leuten ankommt, dann los, ich muss das selbst ja nicht in Dauerschleife hören. Ich habe gelernt, mich zurückzunehmen, diverse Aspekte in eine Programmentscheidung einfliessen zu lassen. Darum geht es aus meiner Sicht beim Kuratieren auch. Im Neubad wird meine Rolle in erster Linie die eines Gastgebers sein, der die Brücke zwischen Haus und Veranstalter:innen schlägt.

Die Musik wird nur einen Bruchteil deiner kuratorischen Tätigkeit ausmachen. Wie gehst du damit um?

Das ist die grösste Herausforderung, aber auch die grösste Motivation. Ich muss mich in Sparten wie Literatur oder Theater einarbeiten, fremd sind sie mir aber nicht. Die freie Szene zum Beispiel habe ich im Südpol kennengelernt. Zudem mache ich ja nichts im Alleingang – das kuratorische Team im Neubad ist gross, es sind viele spezialisierte Personen im Haus.

Ich habe das Kulturprogramm vor der Sommerpause durchgeschaut. Es reichte von einem ukrainischen Soli-Dinner über einen feministischen Stammtisch bis hin zu einem Gitarren-Festival. Kann es überhaupt so etwas wie ein kuratorisches Konzept für ein Haus wie das Neubad geben?

Ich würde sogar sagen, die Breite ist das Konzept. Das Haus macht Quartierarbeit, engagiert sich mit dem Klub für die Nachtkultur, verfolgt Themen wie Inklusion. Entsprechend ist der Ort offen für viele, auch unterschiedliche Bedürfnisse. Das merkt man auch im Neubad-Team: einige kommen aus der soziokulturellen Animation, andere aus der Gastronomie oder aus der Kultur.

Die Reihe «Endless Bazaar» war und ist ein wichtiger subkultureller Treffpunkt mit Grossstadtflair. Solltest du mit deinem Geschmack und deinen Ansprüchen nicht in eine grössere Stadt ziehen?

In meinen Zwanzigern bin ich mal für ein paar Monate nach New York gereist, um dort als DJ Erfahrungen zu sammeln und Kontakte zu knüpfen. Während ich dort war, dachte ich mir: Warum muss ich weggehen, wenn ich das auch in Luzern machen kann? Hier kenne ich die Leute und die Strukturen, ich weiss, wie alles funktioniert. Hier will ich mitgestalten. Und hier fühle ich mich wohl.

Welche Schwerpunkte wirst du setzen?

Das Neubad hat interessante Räume, die einladen, die klassische Bühnensituation anders zu denken. Ich würde das Profil des Neubads gerne noch etwas schärfen, also inhaltlich stärker abgrenzen von Veranstalter:innen wie etwa der Schüür oder dem Südpol. Zudem möchte ich mit dem Programm mehr jüngere Menschen ansprechen.

Die Frage, ob der Rückgang beim jüngeren Publikum in Kulturinstitutionen mit einem veränderten Ausgehverhalten seit der Pandemie zu tun hat oder ob man an dieser Zielgruppe vorbeiprogrammiert, kann von den Kulturinstitutionen derzeit nicht ignoriert werden. Wie nimmst du die Situation in Luzern wahr?

Diese Frage wird jetzt diskutiert. Mein Eindruck ist: Junge Menschen gehen raus und konsumieren Kultur, halt einfach anders, als wir uns das gewohnt sind und mit kleinerem Budget. Sie verbringen mehr Zeit im Internet und lassen sich in Online-Räumen inspirieren. Schaut man sich die Luzerner Szene gegenwärtig an, ist super spannend, was dort passiert – Shout-out an die Now Age Bands Suicide Catdoors, Pixxie Dust, Hypergarden oder ans Chrüterhüsli. Ich habe schon lange nicht mehr diese Energie gespürt bei jungen Menschen, dieses Gefühl, etwas verändern zu wollen.

Im Chrüterhüsli an der Obergrundstrasse finden regelmässig Partys statt. Abgesehen von DIY-Projekten wie diesem sieht es in der alternativen Clubszene derzeit nicht besonders rosig aus: Im Klub Kegelbahn ist die Zukunft ungewiss, der Neubad Klub kämpft mit rückläufigen Besucher:innenzahlen. Was läuft falsch?

Eine grosse Frage, die die halbe Welt beschäftigt. Clubs waren historisch gesehen oft Orte für marginalisierte Gemeinschaften, wo man zusammen Neues schuf. Mir kommt die gegenwärtige Situation wie ein Nullpunkt vor. Das klingt mies und ist es ein Stück weit auch, ich sehe es aber auch als grosse Chance. An diesem Punkt stehen wir, das heisst, wir müssen umdenken. In der Praxis könnte das zum Beispiel bedeuten, mit Formaten zu experimentieren und neue Vorstellungen von Zeit und Lifestyle in der Klubkultur zuzulassen. Vieles deutet darauf hin, dass Klubkultur nicht mehr zwingend an die Nacht gebunden ist, sondern zunehmend in andere Tagesrhythmen hineinwächst.

Wo gehst du gerne hin in Luzern?

In die Bar Berlin oder ins Chrüterhüsli – Orte, die zeigen, was passiert, wenn Leute Bock haben, etwas zu machen. Ins Neubad natürlich, ins Kleintheater oder in die Altstadt zum Kunstraum Marytwo. Ansonsten bin ich viel in Kafis anzutreffen – und online.

Wo trifft man dich online?

Auf YouTube, Substack und TikTok. Da stöbere ich viel für neue Musik. Auf Substack folge ich Autor:innen und Journalist:innen.

Wem zum Beispiel?

Gen Zero, First Floor, Dream Baby Press oder Allison Harris, um nur ein paar zu nennen, die mir spontan einfallen.

Die Erwartungen in der Kultur sind hoch, die finanziellen Mittel begrenzt: Du bist erneut an einem Ort gelandet, an dem du dir Acts, die du gerne buchen würdest, nicht immer leisten kannst oder ihnen zu tiefe Gagen zahlst. Wo du mehr arbeitest, als es dein Pensum vorgibt, und das zu einer Entlöhnung knapp über dem Mindestlohn. Warum eigentlich?

Nach diversen beruflichen Stationen – ich bin gelernter Gebäudetechnikplaner und habe nach der Pandemie eine Weile nichts in der Kultur gefunden – habe ich mich entschieden, zu tun, was mir guttut. Entsprechend habe ich meinen Lebensstandard angepasst. Ich lebe für diese Arbeit. Kulturarbeit geht nie ohne Frust, aber man bekommt im Gegenzug auch viel zurück, vertieft sich in Themen und hat inspirierende Begegnungen. Ich werde mich aber sicher in meiner neuen Rolle dafür einsetzen, dass sich spezifisch die Situation des Neubads verbessert und künftig mehr Mittel zur Verfügung stehen.

Mit der Dampfzentrale in Bern und der Zentralwäscherei in Zürich gibt es derzeit zwei prominente Beispiele, die den Druck der öffentlichen Hand zu spüren bekommen. Auch das Neubad ist mit seiner Leistungsvereinbarung mit der Stadt auf eine gute Beziehung angewiesen. Wie ordnest du diese Entwicklung ein?

Ich finde es schwierig, wie in den genannten Fällen top down kommuniziert wurde. Bei der Dampfzentrale, hoffe ich, wird sich das aktuelle Team auf die von der Stadt neu lancierte Ausschreibung bewerben. Sie kennen das Haus von innen, die Strukturen, das Budget – und wenn sie auf die Forderung der Stadt nach mehr Breite eingehen, haben sie hoffentlich gute Chancen. Im Fall des Neubads verdeutlichen diese Entwicklungen, wie wichtig die Position ist, die ich antrete, und wie spürbar die öffentliche Kritik meine Arbeit begleiten wird. Ich werde versuchen, meine Visionen umzusetzen. Und wenn’s nicht ankommt, muss ich die Vision überdenken. Ob der Lohn bei diesen Anforderungen gerechtfertigt ist, ist eine andere Frage.

Fabian Riccio hat den Klub Kegelbahn ab 2013 mitgeprägt. Im Südpol leitete er von 2019 bis 2020 die Sparte Musik, beim B-Sides Festival ist er Mitglied der Programmgruppe. Seit mehreren Jahren kuratiert er im Kollektiv die Konzertreihe «Endless Bazaar». Zudem ist er seit vielen Jahren als Sound Artist und DJ tätig. Im September trat er die Nachfolge von Philippe Weizenegger als Programmleiter im Neubad an.

Wir brauchen dich, weil guter Journalismus wertvoll ist.

Als unabhängiges Magazin sind wir auf deine Unterstützung angewiesen. Dein Abo ermöglicht es uns, hochwertige Inhalte zu erstellen und unabhängigen Journalismus zu betreiben. Mit jedem Abo trägst du zur Meinungs- und Medienvielfalt in der Schweiz bei, unterstützt die Freiheit der Presse und sorgst dafür, dass lokale Künstler:innen und kulturelle Ereignisse die Anerkennung erhalten, die sie verdienen.

Werde Teil unserer Community und hilf uns, weiterhin kritische und vielfältige Berichterstattung zu liefern.

Kontakt

null41
c/o IG Kultur Luzern
Bruchstrasse 53
6003 Luzern
041 410 31 07
info@null41.ch

Social Media

InstagramFacebookX

Shop

AboEinzelausgaben

Checkout

Literaturpausegangus.chIG Kultur Luzern

null41 ist das Magazin für Kultur, Politik und Gesellschaft der Zentralschweiz. Mit zehn Ausgaben pro Jahr bietet es eine Plattform für das künstlerische und kulturelle Schaffen der Region.

ImpressumAGBDatenschutz

Für diesen Beitrag haben mitgewirkt:

Avatar Beteiligte:r

Robyn Muffler

Weitere Artikel ansehen
  • Banner: gangus.ch – Liest du das?
  • Kulturpool
  • Banner: Radio 3FACH, Jahres-Design 2025
  • Die grosse Abo-Rallye: Für jede Etappe mit 10 neuen Abos verlosen wir einen FREITAG F261 MAURICE Backbackaple Tote Bag im Wert von 160 Franken. Mit deiner Abo-Bestellung bist du automatisch im Rennen und nimmst an der Verlosung teil.
  • Illustration Jazz von Helena Hunziker und Nali Rompietti

    Musik

    Worüber wir sprechen, wenn wir über Jazz sprechen

    Zu sperrig, zu alt, zu elitär: Vorurteile über Jazz gibt es auch vor dem mittlerweile 50. Jazz Festival Willisau mehr als genug. Wobei sich niemand sicher zu sein scheint, was Jazz überhaupt ist. Eine Annäherung.

    Ramon Juchli (Text), Helena Hunziker und Nali Rompietti (Illustration)

  • Bild Kegelbahn von Tom Huber

    Musik

    Eine Nische Grossstadt

    Seit mehr als zehn Jahren prägen der Klub Kegelbahn und das Kaffee Kind die Baselstrasse. Wer steckt hinter den Betrieben? Und: Lässt sich Musik eigentlich mit Pizza finanzieren?

    Sophia Fries (Text) und Tom Huber (Bilder)

  • Manuel Troller_Anne Morgenstern

    Musik

    Und immer die Neugier

    Wie und warum Musik machen in einer Zeit, in der vieles hoffnungslos erscheint? Es helfe, etwas selbst zu bauen, um sich daran festzuhalten, sagt Manuel Troller.

    Alice Galizia (Text) und Anne Morgenstern (Bilder)