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Porträt von Kathy Bajaria von Tom Schweers

01.11.23

Film

Queere Blicke auf die Welt

Das Pink Panorama zeigt seit zwei Jahrzehnten queeres Filmschaffen. Für Kathy Bajaria aus der Programmation ist das Festival aber mehr als das. Ein Gespräch über sichere Räume und den nicht männlichen Blick im Kino.

Miriam Suter (Interview) und Tom Schweers (Bild)

Kathy Bajaria, das Pink Panorama gibt es schon seit rund 20 Jahren und du warst erst als Zuschauende und später als Programmatorin dabei. Wie bist du darauf aufmerksam geworden?

Ich bin 2002 in die Schweiz gezogen, habe vorher in Berlin, Amsterdam und Liverpool gelebt. Als ich nach Luzern kam, dachte ich: Hey, Kleinstadt, konservativ, touristisch und so weiter – ich hatte also auch meine Vorurteile im Gepäck. Ich konnte kaum glauben, dass es in Luzern ein queeres Filmfestival gibt.

Seit fünf Jahren wirkst du als Programmatorin aktiv mit. Wie ist das Festival organisiert?

Wir arbeiten alle ehrenamtlich und die Verantwortlichkeiten sind innerhalb von Arbeitsgruppen im Organisationskomitee aufgeteilt. Ich bin zusammen mit vier anderen Menschen für das Programm zuständig. Insgesamt sind wir ungefähr 15 Leute, die das Festival jedes Jahr auf die Beine stellen. Obwohl wir alle unentgeltlich arbeiten, versuchen wir, so professionell wie möglich zu sein. Es ist sehr viel Herzblut und Leidenschaft mit dabei, und das von Anfang an.

Wie du sagst, die Arbeit ist ehrenamtlich. Das ist in der Kultur leider oft der Fall. Warum hast du dich entschieden, Teil des Pink Panorama zu sein?

Weil es mir persönlich von Anfang an sehr viel bedeutet hat, dass es dieses Festival in Luzern gibt. Ich war bereits vor meiner Zeit beim Pink Panorama aktivistisch unterwegs und sehe mein Engagement beim Festival als Community-Arbeit. Schliesslich ist es einer der wenigen Orte, an denen sich die LGBTQI-Community generationsübergreifend treffen kann. Wir haben an unseren Veranstaltungen und Filmvorführungen jeweils Menschen vom Teenie- bis zum Rentenalter da. Das ist etwas Schönes und gleichzeitig auch Politisches, finde ich.

Wie hat sich das Festival seit der Gründung verändert?

Zu Beginn ging es in erster Linie darum, sichere Orte für die Community zu schaffen. Besonders für Menschen, die nicht geoutet leben. Ein physischer Treffpunkt, wo mensch sich austauschen kann. Es geht aber auch um die Sichtbarkeit von queeren Personen, Themen und Filmschaffen. Deshalb setzten wir jeweils Schwerpunkte wie Elternschaft, Intergeschlechtlichkeit und Religion. Ich habe das Gefühl, dass es durch den gesellschaftlichen Wandel der letzten Jahre mehr Sensibilität für diese Themen gibt und das Interesse für unser Festival gewachsen ist. Mittlerweile haben wir ein gemischtes Publikum mit vielen heterosexuellen Menschen, die sich für queere Themen und Filme interessieren.

Worauf achtet ihr bei der Auswahl der Filme?

Wir zeigen vor allem neue Filme, die noch nicht im Kino laufen. Für mich persönlich ist es wichtig, dass die inhaltliche Qualität stimmt: Skript, Bildsprache, Schauspiel und so weiter. Des Weiteren schauen wir auf eine ausgewogene Mischung aus leichter Unterhaltung und anspruchsvollen Werken.

Inwiefern hat sich die Darstellung queerer Charaktere in den letzten Jahren verändert?

Es werden definitiv diversere Erzählungen und Perspektiven gezeigt. Vor noch nicht allzu langer Zeit war es so, dass zwar auch in Hollywoodfilmen queere Charaktere zu sehen waren, aber sie wurden häufig auf ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität reduziert, litten oder starben im Verlauf des Films. Heute ist das anders, und das finde ich eine sehr schöne Entwicklung.

«Queeres Filmschaffen ermöglicht Vorstellungen davon, wie das Leben abseits von heteronormativen Prägungen aussehen könnte und welche Alternativen es gibt.»

Hast du ein Beispiel?

Ein Beispiel ist die Serie «Sex Education» auf Netflix. Darin gibt es Charaktere, die queer sind, was aber nicht mehr ihr alleiniges Erkennungsmerkmal ist. Es ist ganz einfach Alltag geworden, und das entspricht ja auch der Realität.

Gibt es überhaupt so etwas wie eine queere Ästhetik im Film?

Ich finde schon, ja. Einerseits kann queer eine sexuelle Orientierung oder eine Geschlechtsidentität sein. Andererseits kann es eine politische Haltung bezeichnen. Hier ist es als Abweichung von der sogenannten gesellschaftlichen «Norm» zu verstehen. Das spiegelt sich auch bei Filmschaffenden wider und in ihren Werken. Das klingt vielleicht etwas abstrakt; queere Ästhetik kann sehr subtil sein, macht sich zum Beispiel an der Auswahl des Sounds oder an der Einstellung der Kamera bemerkbar. Das sieht man zum Beispiel bei «Anhell69» in unserem diesjährigen Programm. Oder bei Filmen wie «Neptune Frost» oder «Três tigres tristes». Auch bei «Everything, Everywhere All at Once» oder sogar «Barbie» können gewisse Szenen queer gelesen werden, und ein gutes Beispiel für den weiblichen Blick ist «Portrait de la jeune fille en feu» von Céline Sciamma.

Es kommt also darauf an, wer die Filme macht, wer die Geschichte erzählt.

Die Erzählperspektive nimmt Einfluss auf die Ästhetik des Films. Wir sprechen oft vom sogenannten «male gaze», also vom männlichen Blick. Aber was ist mit dem weiblichen Blick? Oder wie nimmt eine nichtbinäre Person unsere Welt wahr? Welche Dinge fallen ihnen auf? Diese Filme unterscheiden sich oft von anderen Produktionen. Sie sind wichtig, denn sie schaffen Utopien: Queeres Filmschaffen ermöglicht Vorstellungen davon, wie das Leben abseits von heteronormativen Prägungen aussehen könnte und welche Alternativen es gibt.

Auf welchen Film freust du dich dieses Jahr besonders?

Ich freue mich auf «Anhell69», das Debüt von Theo Montoya aus Kolumbien; ein fluider Film über die Kraft der Gemeinschaft und die schmale Grenze zwischen Leben und Tod. Ein poetischer und auch zutiefst politischer Film. Ausserdem bin ich stolz, dass wir die Schweizer Premiere von Julia Fuhr Manns «Life is not a competition, but I’m winning» zeigen können, einem Film über Geschlechtsidentitäten im Leistungssport – ein heiss diskutiertes Thema.

Werfen wir noch einen Blick in die Zukunft: Welche Wünsche hast du für die Zukunft?

Ich fände es schön, wenn man queere Lebensweisen als Chancen sehen könnte, sich zu fragen: Was ist eigentlich alles noch möglich? Wie könnte ich leben? Queerness ist eine wunderbare Möglichkeit, das System zu hinterfragen. Und ein grosses Thema für mich ist Softness. Ich habe das Gefühl, die Generation vor uns war sehr darauf getrimmt: Das Leben ist hart, also musst du auch hart sein. Damit bin ich aber nicht einverstanden. Es ist wichtig, soft zu sein und soft zu bleiben.     

Kathy Bajaria (sie/they) hat Eltern aus Indien und Österreich und ist in Nordengland aufgewachsen. Seit über 20 Jahren lebt sie in Luzern, wo sie das kulturelle Leben und die queere Szene mitgestaltet. Ihre bezahlte Arbeit ist für die Organisation Helvetiarockt, die sich für Geschlechtergerechtigkeit in der Schweizer Musikbranche einsetzt. Kathy ist Mitkuratorin des queeren Filmfestivals Pink Panorama.

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