
10.10.23
Musik
Musik ist gut, wenn …
Aus der Flut der täglich erscheinenden Musik wählen Ilayda Zeyrek und Kilian Mutter die bleibendste aus, um sie an ein breites Publikum zu vermitteln. Ilayda ist Programm- und Redaktionsleiterin bei «Radio 3Fach», das nun sein 25-Jahr-Jubiläum feiert. Kilian ist Booking-Agent bei Festivals wie Echolot, das diesen Monat stattfindet. Ein Gespräch über ihre Obsession mit dem neuen heissen Scheiss.
Ramon Juchli (Interview) und Noëlle Guidon (Bilder)
Was war der letzte Song, den ihr vor diesem Gespräch gehört habt?
IIlayda Zeyrek: «I AM BITCH» von der Rap- und R&B-Künstlerin Babyxsosa.
Kilian Mutter: Mein letzter war «Warum so kalt» von Fuffifufzich, einer deutschen Rapperin.
Damit stellt ihr euren makellosen Geschmack gleich unter Beweis. Seid ihr zufrieden mit diesen Songs oder hättet ihr gerne eine coolere Antwort gegeben?
KM: Als ich das Handy hervorholte, war ich etwas nervös. Ich habe gehofft, der Song würde meine aktuellen Hörgewohnheiten gut repräsentieren. Das war zum Glück der Fall. Auch wenn ein einzelnes Lied selten allzu viel aussagt.
IZ: Ich bin in letzter Zeit auf so einer R&B-Welle. Dieser Song bildet das ab. Zudem ist er gerade heute erschienen. Das finde ich cool.
Legst du Wert darauf, brandaktuelle Musik zu hören?
IZ: Ich bin schnell gelangweilt von Genres oder Künstler:innen. Darum suche ich immer nach dem new hot shit. Wenn mich davon etwas packt und ich diese Entdeckung teilen kann, freue ich mich darüber.
KM: Ich bin auch froh, dass mein letzter Song recht aktuell ist. Sonst würde ich zu sehr dem Bild entsprechen, dass man über dreissig nur noch ältere Musik hört.
Was ist eigentlich gute Musik?
IZ: Ach, Bro.
KM: Nächste Frage.
IZ: Ich sag’s mal so: Bei guter Musik entsteht bei mir der Eindruck, der:die Künstler:in habe sich etwas getraut. Das muss nicht unbedingt frech oder laut klingen. Ich spüre das auch, wenn sich eine Person beispielsweise verletzlich zeigt. Oder wenn Experimentierfreude die Produktion prägte. Ohne Angst davor, wie das am anderen Ende aufgenommen wird. Musik ist gut, wenn sie von innen kommt. Und das hört man schnell raus.
«Ich habe TikTok ausprobiert, aber die Eindrücke haben mich komplett überfordert. Da sagte ich mir: Ich muss ja nicht mitmachen.»Kilian Mutter
Wie hört man das denn?
IZ: Das weiss ich doch nicht! (Lacht.)
KM: Die Musik wirkt auf dich, es entsteht sofort ein Bild des:der Künstler:in dahinter.
IZ: Musik muss authentisch sein. Aber Künstler:innen dürfen auch übertreiben. Das heisst: Du kannst dich verstellen, wie du willst – wenn ich es dir abkaufe, ist es für mich echt. Und dann finde ich es geil.
KM: Nach dieser Echtheit suche ich auch. Ich schätze aber ebenso eine gewisse Cleverness. Ein Song kann formelhaft geschrieben sein. Doch wenn sich das Management oder das Produktionsteam gut überlegt, wie das Lied daherkommen soll, kann ich das Resultat trotzdem toll finden. Das klingt vielleicht schlimm – aber ich kann auch einem cleveren Marketing-Move etwas abgewinnen.
Hast du ein Beispiel?
KM Ich fand die musikalische Neuausrichtung von Taylor Swift sehr spannend. Sie arbeitet seit 2020 mit den Köpfen hinter The National zusammen – Grössen der Indie-Rock-Szene, die dank organischem Produktionsstil Swifts Stadionpop erden. Diese überraschende Kollaboration kam bei Kritiker:innen bestens an, tat aber dem kommerziellen Erfolg keinen Abbruch.
Es geht euch also nicht um hörbare Merkmale der Musik wie Akkorde oder den Klang des Schlagzeugs, sondern um etwas, das ihr den Künstler:innen zuschreibt. Wie «authentisch» oder «clever» ein Lied ist, lässt sich unmöglich auswerten. Ihr beruft euch auf ein blosses Gefühl.
KM: Sicher, darum geht es ja – um ein Gefühl.
IZ: Musik löst Gefühle aus. Sie ist Kunst. Wenn du irgendein Gemälde anschaust, hast du dann einen fucking Katalog von Kriterien, deren Erfüllung du mit eins bis fünf Punkten bewertest?
Es gibt sicher Leute, die das so machen.
IZ: Okay, die gibt es sicher. Aber die sind einfach … Lölis. So funktioniert Kunst für mich halt nicht.
KM: So schränkst du die Bewertung unglaublich stark ein. Wenn du Kriterien hast wie: «Es muss Gitarren haben», dann ist das fair enough. Aber dann sag nicht: «Nur Musik mit Gitarre ist gute Musik!», sondern sag doch einfach: «Ich möchte eine Gitarre hören, das holt mich ab.»
Ihr beide kuratiert und programmiert in euren Rollen als Booker:innen, Veranstalter:innen und DJ’s. Gibt es keine Kriterien, die ihr dabei anwendet?
IZ: Auch als Veranstalterin muss emotional bei mir etwas passieren, damit ich eine Person buche. Man sollte nicht alles so ernst nehmen. Mein einziges Kriterium für das Booking wäre vielleicht, dass ich jeweils queere Personen berücksichtigen möchte.
KM: Grundsätzlich steht auch bei meiner Arbeit als Booker das Gefühl im Vordergrund. Löst ein Song nichts in mir aus, dann werde ich mich nicht für eine Zusammenarbeit entscheiden – auch wenn es finanziell interessant sein oder viele Leute ansprechen könnte. Dafür gibt es zu viele spannende Künstler:innen da draussen. Auf dieses Grundgefühl möchte ich mich auch weiterhin verlassen, auch wenn natürlich weitere Kriterien in Entscheidungen reinspielen.
«Auch als Veranstalterin muss emotional bei mir etwas passieren, damit ich eine Person buche. Man sollte nicht alles so ernst nehmen. Mein einziges Kriterium für das Booking wäre vielleicht, dass ich jeweils queere Personen berücksichtigen möchte.»Ilayda Zeyrek
Seid ihr auf TikTok?
IZ: Natürlich.
KM: Nein.
IZ: Aber nicht so viel, wie ihr jetzt denkt. Ich verbringe dort zwischen 15 und 30 Minuten pro Tag.
Sowohl Mainstream-Hits als auch Songs aus einer Nische finden auf TikTok zum Teil noch vor der eigentlichen Veröffentlichung ein Publikum. Die Kurzvideoplattform mausert sich so zum Musikportal. Auch für dich persönlich?
IZ: Ich habe schon den einen oder anderen Song auf TikTok gefunden, den ich dann auf Repeat gehört habe.
Kilian, du hältst dich davon fern?
KM: Ich habe TikTok ausprobiert, aber die Eindrücke haben mich komplett überfordert. Da sagte ich mir: Ich muss ja nicht mitmachen.
Was ist euer meistgenutztes Portal, um neue Musik zu entdecken?
IZ: Wahrscheinlich SoundCloud, wo auch Amateur:innen ganz einfach ihre Songs hochladen können. Dann Instagram, aber eher für Künstler:innen, die ich schon kenne. Bandcamp ist auch super, ich klicke mich ewig durch Diskografien von Bands oder Labels, die ihre Musik dort zum Kauf anbieten. Ich hänge auch auf Internetforen wie Reddit oder Discord rum.
Was ist mit Spotify?
IZ: Spotify nutze ich auch. Aber mit Bedacht. Denn Spotify ist böse.
KM: Spotify bezahlt den Künstler:innen, gerade den weniger bekannten, viel zu wenig Geld. Einen Bruchteil von einem Rappen pro Song-Stream. Und die Nutzung ist mühsam. Die Bibliothek lässt sich überhaupt nicht hegen und pflegen, wie das etwa bei iTunes der Fall ist.
IZ: Dennoch: Spotify ist sicher mein meistgenutztes Portal. Ich höre dort gerne Musik nebenbei, nach Feierabend, um abzuschalten.
KM: Bei mir ist es genauso. Im täglichen Gebrauch steht Spotify ganz oben. Diese Plattform ist auch meine grösste Quelle für Neuentdeckungen. Aber dann kommt schnell mal Bandcamp oder Instagram. Ich höre auch gerne Internetradios wie «NTS». Mitunter, weil ihre Auswahl auch den Sound vergangener Jahrzehnte miteinschliesst. Aktuell befasse ich mich gerne mit fast vergessenen Musikperlen.
Zum Beispiel?
KM: Die Songs, die mich momentan – abgesehen von neuen Releases – am treusten begleiten, sind «Tijuana» von J. J. Cale aus dem Jahr 1989 und «Dancing» von John Martyn von 1977. Die dazugehörige LP «One World» ist eines meiner absoluten Lieblingsalben und liegt seit Jahren immer griffbereit.
Wie oft gebt ihr Geld aus, um Musik zu kaufen?
IZ: Jede Woche.
KM: Ich auch.
Warum sollte ich für einzelne Alben bezahlen, wenn mir mit einem Spotify-Abo eine schier unendliche Bibliothek an Musik offensteht?
IZ: Um die Musiker:innen zu unterstützen. Wenn du dir zu schade bist, das Geld für ihre Musik auszugeben, dann kauf ihren Merch. Oder geh an ihr Konzert.
Ein Ticket für die Show von Taylor Swift im Hallenstadion kostet mehrere Hundert Franken. Hingegen kostet der Besuch des Doppelkonzerts der Schweizer Künstler:innen Pet Owner und Cori Nora mit Haubi Songs in der Schüür 25 Franken. Ist diese Diskrepanz gerechtfertigt?
KM: Das Hallenstadion bezieht halt keine Subventionen. Nein, Spass. Hinter der Tour von Taylor Swift stehen Ticketing-Organisationen, monopolistische Veranstalter:innen, die weltweit ein Netz von Firmen haben, welche die Shows organisieren. Da muss man sich bewusst sein: Das meiste Geld fliesst in diese Institutionen.
IZ: Schade, wenn Fans auf diese Maschinerie reinfallen. Gerade weil ihr Geld kaum bei ihrem Idol ankommt.
KM: Taylor Swift hat gesagt, dass sie sich für erschwingliche Ticketpreise einsetzen möchte. Aber nicht mal ein Megastar wie sie hat eine Chance gegen die Eventfirmen. Die denken sich einfach: Es gibt noch andere Musiker:innen, die richtig gross sind, wenn du jetzt nicht spurst … Das Unternehmen sitzt am längeren Hebel.
Im selben Geschäft möchtet ihr euer Geld verdienen – als verschwindend kleine Fische. Die Bedingungen in euren Traumjobs sind hart. Wollt ihr längerfristig von der Arbeit mit Musik leben?
KM: Nur, wenn ich diese mit meinen Anforderungen und Wünschen vereinbaren kann. Ich möchte nicht gefrustet werden in dem Job, der mir Freude bereitet. Ich habe auch nicht Bock, meine Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Aber wenn ich wie bisher arbeiten kann und damit genug verdiene, dann mache ich gerne weiter.
Wie ist es bei dir, Ilayda?
IZ: Ich gehe davon aus, dass ich mich längerfristig ausklinken werde. Mit Musik zu arbeiten, ist anstrengend, man arbeitet fast sieben Tage in der Woche. Musik erscheint 24/7, so there’s never really time to shut it off. Man muss sich konstant mit neuen Trends auseinandersetzen, und wenn man relevant und am Puls der Zeit sein möchte, dann muss man sich auch vertiefen können, ohne alles andere aus den Augen zu verlieren. Das möchte ich nicht ewig machen. Und je mehr man sich strapaziert, desto weniger Liebe hat man für die Arbeit. Ich will nicht verbittern und nur noch davon reden, wie geil mal alles war.
KM: Das möchte ich auch nicht.
IZ: Sobald dieses Gefühl aufkommt, möchte ich aufhören. Leider habe ich den Eindruck, viele Akteur:innen in der Szene handhaben das nicht so und arbeiten trotz Frust weiter.
Es ist sicher schwierig, den richtigen Moment zu erkennen, um sich neu auszurichten. Aber sollte der Moment kommen – dann gibt es hoffentlich etwas Junges, Neues wie «Radio 3Fach», das meinem zukünftigen Ich sagen wird: «Hey, halt doch die Fresse. Wir zeigen dir jetzt, wie’s geht.»
Kilian Mutter leitete von 2011 bis 2015 die Musikredaktion von «Radio 3Fach». 2018 hat er die Orange Peel Agency mitgegründet. Heute arbeitet er als Booker für Festivals wie Echolot und Luzern Live.
Ilayda Zeyrek leitet seit 2021 das Programm und die Redaktion von «Radio 3Fach». Unter dem Namen Kalixys legt sie in der ganzen Schweiz auf und gibt für Helvetiarockt DJ-Kurse. Seit diesem Jahr veranstaltet sie die Clubreihe «Meow Meow :3» im Klub Kegelbahn.


