01.06.24
Kunst
Mit feinem Strich durchs Leben
In der Kornschütte führt Monika Feucht durch beinahe 30 Jahre ihres künstlerischen Schaffens. Damit lässt die Luzerner Künstlerin Themen und Techniken erkennbar werden, die sich wie rote Fäden durch ihre Werke ziehen.
Claudia Walder (Text) und Florentin Hinder (Bild)
Das Atelier von Monika Feucht ist aufgeräumt, vor der langen Fensterfront stehen Kisten, darin schlummert ein Teil ihrer Werke, bereit für den Transport in die Kornschütte. Die Künstlerin bereitet sich auf ihre Ausstellung in der Luzerner Altstadt vor, wird dort mit «Ungefährer Alltag» bis Ende Juni einen Einblick geben in ihr Schaffen, in ihre Kunst- und damit auch ihre Lebenswelt. An der Wand hängen kleinformatige Zeichnungen, die Monika Feucht ebenfalls dafür ausgewählt hat. Feine Bleistiftstriche dominieren, bilden silbergraue Landschaften und organisch wirkende Figuren, durchbrochen von sparsam eingesetztem Rot. Es sind nicht klar erkennbare Orte, reale Gegenstände oder Lebewesen, sondern fliessende, zweideutige, welche die Betrachter:innen einladen, genauer hinzusehen, die Strukturen der haardünnen Striche neu zu interpretieren, Zusammenhänge zu finden.
Auch bei ihren kleinen Installationen setzt Monika Feucht auf Mehrdeutigkeit, setzt kleine, alltägliche Gegenstände ein, die je nach Kontext oder als Paar neu gelesen werden können: Zwei Schalen werden zu Brüsten, ein Damenslip zum Fuchsgesicht, ein Eierkarton bekommt, je nach Leseweise, grosse Augen oder weibliche Formen. Augen finden sich immer wieder in den Werken, manchmal subtil versteckt, manchmal offensichtlich und fast schon den Blick der Betrachter:innen erwidernd. «Es schaut mich an» ist denn auch der Titel eines Werkkatalogs und des darin gedruckten Ateliergesprächs zwischen Monika Feucht und Heinz Stahlhut, dem ehemaligen Sammlungskonservator im Kunstmuseum Luzern.
Gebrochene Märchenwelt
Ein weiteres Motiv, das sich durch das Schaffen der Künstlerin zieht, sind Haare, als Material wie als Sujet. Der Auslöser dafür, so erzählt Monika Feucht, sei ihr eigener, abgeschnittener Haarschopf aus der Kindheit gewesen, den ihr die Mutter eines Tages vorbeibrachte. «Mit Haut und Haar für immer dein» ist der Titel, den er heute trägt: Er liegt, mit eingeflochtenem Schaumstoffring auf einem Hirschlederkissen drapiert, als Objekt in einer Vitrine. «Wie Schneewittchen in ihrem Glassarg», beschreibt es die Künstlerin. Haare spielen in vielen Märchen und Geschichten eine Rolle: Sie symbolisieren Schönheit, ihr Wachsenlassen konkretisiert das Vergehen der Zeit, ihr Abschneiden geht in den Narrativen oftmals mit einem Verlust von Stärke einher, von Status, von Schönheit. All das schwingt mit beim Betrachten von Installationen wie den «Fliegenden Zöpfen», die, an einen vergoldeten Ast gebunden, an ein kultisches Objekt denken lassen; oder wie «Sogno», mit Haaren bestickten Leinwänden, die zur Bettwäsche werden und vielleicht das schlafende Dornröschen in Erinnerung rufen – wovon sie wohl geträumt haben mag?
«An manchen Tagen, wenn mir ständig die Mine bricht, dann weiss ich, ich muss an etwas anderem arbeiten.»
Auch in der Installation «Rapunzel, lass dein Haar herunter» klingt eine romantisierte Märchenwelt an, diese wird aber gebrochen durch die Wahl der Materialien, bestickte Wochenbettbinden, die von der Lebensrealität vieler Frauen sprechen, gleichzeitig aber in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit eher ein Tabu sind. Überhaupt blitzt in Monika Feuchts Wirken immer wieder eine weibliche Lebenswelt hervor, schwingt in ihrer Kunst mit, nicht als vordergründiges Statement, sondern als Fundament. Weiblichkeit ist hier nicht Objekt, wie allzu oft in der Kunstgeschichte, sondern ein Aspekt des schaffenden, kreierenden Subjekts.
Frisuren werden zu Landschaften
Der Blick beziehungsweise die Blickrichtung und Haare kommen auch in Monika Feuchts Werkreihe «DNA» zum Tragen: Die grossformatigen Werke zeigen losgelöste Frisuren, Haarschöpfe ohne Körper, um ein Vielfaches vergrössert durch abertausende fein gezogene, sich überlappende Striche. Aus gewissen Blickwinkeln wirkt die silbern schimmernde Oberfläche der Bleistiftzeichnungen wie Gestein, so dicht und dick ist die Grafitschicht. Überhaupt gehören Bleistifte zu Monika Feuchts Lieblingswerkzeugen: «An manchen Tagen, wenn mir ständig die Mine bricht, dann weiss ich, ich muss an etwas anderem arbeiten.» Sie arbeitet stehend an den 2 × 1,5 Meter grossen Zeichnungen, monatelang. «Das Schwierige ist, dranzubleiben, diese über Tage dauernde Anfangsphase, wo die Zeichnung so ausdruckslos wirkt.» Dies sei wichtig, bis sich das Gebilde Strich für Strich verdichte, wachse und einen «skulpturalen Ausdruck» gewinne, sagt die Künstlerin. Mit derselben Technik entstehen auch Graslandschaften und Haariges von Mensch und Tier, die sich so immer ähnlicher werden.
Haare, Gras, diese feinen, strukturgebenden Linien, der Blick nach draussen und drinnen, in sich, in die Landschaft, aus der sie Inspiration und Materialien zieht, wie für die neue Installation «Flora Ephemera» aus Draht und Schachtelhalmen. Es ist spannend zu sehen, wie diese Motive in Monika Feuchts Schaffen in unterschiedlichen Variationen immer wieder auftauchen – was die Ausstellung mit Werken von 1996 bis 2024 schön illustriert. «Es ist mir wichtig, zeigen zu können, dass das alles irgendwie zusammengehört», sagt Monika Feucht. Sie selbst beschreibt die Ausstellung als ein «Mäandern im Raum, durch die Zeit und die Jahre».