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Porträt von Theres Roth-Hunkeler, fotografiert von Ayse Yavas

05.11.23

Literatur

Eine Dame ist eine Dame ist eine Dame

Theres Roth-Hunkeler hat diesen Herbst ihren siebten Roman veröffentlicht. «Damenprogramm» ist die berührende Geschichte zweier Frauen, die sich nicht unterkriegen lassen.

Sophia Fries (Text) und Ayse Yavas (Bild)

Für unser Gespräch treffe ich Theres Roth-Hunkeler in einem Café am Zugersee, wir setzen uns an einen Platz im Schatten. Zwischen uns: 44 Jahre Altersunterschied, sieben publizierte Romane, drei Kinder – später eine Karaffe Mineralwasser und mein Aufnahmegerät. Theres Roth-Hunkeler ist Schriftstellerin und Literaturvermittlerin. Sie ist Mutter, Grossmutter, ehemalige Dozentin und Erwachsenenbildnerin. Und sie ist seit jeher leidenschaftliche Leserin. «Das ist der Vorteil als Autorin», sagt sie mit einem verschmitzten Ausdruck im Gesicht. «Man wird nicht pensioniert. Lesen und Schreiben sind Tätigkeiten, die mir hoffentlich noch lange erhalten bleiben.»

Grundrauschen der Scham

Vor Kurzem ist «Damenprogramm», der siebte Roman der Schriftstellerin, bei der Edition Bücherlese erschienen. Das Buch erzählt die Geschichte zweier Freundinnen, Anna und Ruth, die nicht mehr jung, aber auch noch nicht alt sind. «Wir werden alt», sagte Ruth zu Anna. «Die Frage ist nur, wie?» Ungeschönt und in teilweise drastischen Worten erzählt Theres Roth-Hunkeler, wie sich Altwerden anfühlen kann. Sie schreibt vom Schamgefühl, das manchmal mehr, manchmal weniger spürbar sei, stets im Hintergrund lauere und sich wie ein Grundrauschen übers Leben lege. Dabei gelingt es Roth-Hunkeler, eine Leichtigkeit in die Erzählung einzubinden und ernsthaften Themen mit subversivem Schalk zu begegnen.

Angesprochen auf den Titel, meint sie, dass sie mit dem Buch den zugeschnürten Damenbegriff aus der Generation ihrer Mutter mit neuer Bedeutung füllen wolle. «Ich würde unter Damen gerne die Frauen verstehen, die irgendwie herausstechen, auffallen.» Und tatsächlich, die zwei Damen in ihrem Buch machen so gar nicht, was konventionell von ihnen erwartet werden würde. Immer energischer stellen sie die Rollen und den Platz infrage, der die Gesellschaft ihnen anbietet. «Wir werden auch nicht gefragt, ob wir uns das alles zumuten. Es wird uns zugemutet», schreibt Anna über das eigene Altern in einem Brief an Ruth. «Im Gegenzug muten wir uns kaltblütig und unverfroren der Welt zu. Leben trotzig und frech weiter, versehrt zwar, aber manchmal ganz frohgemut. Körper sind nun mal nicht neutral, auch nicht im Alter, und alles läuft über den Körper ab und manifestiert sich dort: Wachsen und erblühen, Tracht und Fracht, welken und altern.»

Dabei ist Altern nur ein Aspekt in «Damenprogramm». Das Buch verhandelt Frausein in all seinen Facetten: aufwachsen, geprägt werden, ausbrechen. Kinder haben oder nicht, Ehen führen oder nicht und das Lieben in unterschiedlichsten Formen sind dabei genauso Teil des Programms.

«Ah was, du bist schon 70, du siehst aber viel jünger aus»

Anders als bei Männern, deren Alter vermehrt auch positiv – etwa im Hinblick auf die gewachsene Erfahrung – konnotiert wird, wird es bei weiblich gelesenen Personen stärker mit ihrem Äusseren in Verbindung gebracht. «Der alternde Körper spielt eine wichtige Rolle im Buch», sagt Theres Roth-Hunkeler. «Es hat mich interessiert, was mit dem weiblich gelesenen Körper passiert, wenn nicht mehr alles so straff ist oder gleich gut funktioniert. Bei einer Frau ist es ein Kompliment, wenn jemand sagt: ‹Ah was, du bist schon 70, du siehst aber viel jünger aus.› Da frage ich mich manchmal schon, was das soll, und ob man sich für sein Alter schämen muss.»

«Bei einer Frau ist es ein Kompliment, wenn jemand sagt: ‹Ah was, du bist schon 70, du siehst aber viel jünger aus.› Da frage ich mich manchmal schon, ob man sich für sein Alter schämen muss.»

Wie schonungslos das Alter über den Körper hereinbricht, erfährt im Roman auch Anna, als Arno pflegebedürftig wird. Sie schreibt in einem Brief an ihre Freundin: «Als Arnos Krankheit stets manifester wurde und ihn ein erneutes Ereignis endgültig zum Trottel machte – eine verbotene Bezeichnung, ich weiss, aber leider stimmig –, wurde ich zu einer Totalversagerin, schlimmer noch, zu einem Monster. Nichts lag mir ferner als Hingabe an meinen kranken Mann. Vor meinen Augen fiel unsere Liebe auseinander.» Das Buch gibt der Überforderung Raum, die mit dem Druck gesellschaftlicher Erwartungen einhergehen kann, etwa im Hinblick auf die Verteilung von Sorgearbeit. So liebevoll und teilweise amüsant das Leben der Protagonistinnen auch gezeichnet wird, verliert die Geschichte nie an Tiefe. Sie ist trotz allem im Kern politisch.

Noch viel zu tun

Auf meine Frage, ob Theres Roth-Hunkeler in ihrem Buch auch eigene Erfahrungen verhandelt, meint sie: «Natürlich verwandelt und anverwandelt man beim Schreiben immer Dinge aus dem eigenen Leben. Aber man sollte nicht alles mit der Biografie des:der Autor:in vermischen. Das ist das grosse Potenzial der Literatur, dass sie Lebensrealitäten darstellen kann, die ausserhalb der eigenen Erfahrungswelt liegen.» Beim Schreiben wisse sie, wohin sie wolle mit einem Text. Dennoch lasse sich der Prozess nie völlig planen, vieles füge sich erst nach und nach zusammen. «Trotzdem, es passiert nichts automatisch», fügt sie hinzu.

Selbst arbeitet sie gerne generationenübergreifend, sei es als langjährige Dozentin im Literaturinstitut in Biel oder als Leiterin diverser Lesegruppen. Zum Leben reichte das Schreiben lange Zeit nicht aus, und um Geld zu verdienen, arbeitete sie unter anderem in der Erwachsenenbildung. Rückblickend ist sie froh, dass sie stets mit einem Fuss in der Berufswelt stand – als alleinerziehende Mutter von drei Kindern hatte sie gar keine andere Wahl. Ebenso habe sie sich nie zwischen Schreiben und Literaturvermittlung entscheiden wollen.  Ihrer Meinung nach bereichere das eine das andere. Die Arbeit an der Schnittstelle zwischen eigenem Schreiben, Kulturpolitik und Vermittlung hat sie auch für das geschlechterspezifische Ungleichgewicht in der Kunst sensibilisiert.

So fehle es an neuen Modellen und einem breiter geführten, öffentlichen Diskurs zum Thema Altwerden. Um mit den Klischees aufzuräumen, brauchen alternde Frauen vor allem mehr Sichtbarkeit – sie müssten dafür aber auch etwas tun. Interesse an der Arbeit jüngerer Autor:innen, Austausch und Kooperation zwischen den Generationen sei für sie selbst unabdingbar. Die Protagonistinnen im Buch stellen kurzerhand ein eigenes Damenprogramm in Form einer Residenz auf die Beine: offen für Frauen ab 55 Jahren, die sich mit dem Altern auseinandersetzen und die Diskussion in die Öffentlichkeit tragen wollen. Ob uns das fehlt? «Es gibt einfach noch wahnsinnig viel zu tun», sagt Theres Roth-Hunkeler.

Ein Anlass, der eine Vielzahl literarischer Stimmen auf die Bühne holt, ist das von Theres Roth-Hunkeler, Mariann Bühler und Gabriela Mattmann organisierte Festival Höhenflug, das diesen November zum zehnten Mal in Zug stattfindet. Unter dem Motto «hier, dort & anderswo» sind während drei Tagen sowohl Autor:innen präsent, die ihre Erstlinge vorstellen, wie auch solche, die bereits ein paar Bücher hinter sich haben.

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