
01.09.23
Theater
Das Kleintheater und seine Co-Leiterinnen
Janine Bürkli und Fabienne Mathis haben Anfang Juli die Leitung im Kleintheater Luzern übernommen. Im Interview erzählen sie von ihrer gemeinsamen Vision.
Michel Rebosura (Interview) und Pawel Streit (Bild)
Kürzlich schaute ich die SRF-Doku «Emil und die Kleintheaterdirektoren», die 2017 zum 50-Jahr-Jubiläum erschien. Darin kommen auch die ehemaligen Co-Leiterinnen Sonja Eisl und Judith Rohrbach vor. Wie ist euch zumute, wenn ihr an dieses Vermächtnis denkt?
Fabienne Mathis: Es fühlt sich gar nicht so sehr nach Vermächtnis an. Das Kleintheater hat sich in den letzten Jahrzehnten emanzipiert: im Hinblick auf die Vielfalt der programmierten Gastspiele oder die Bestrebungen des Hauses, Co-Produzentin für die freie Szene zu sein.
Janine Bürkli: Ich freue mich sehr auf ein Haus mit langer Tradition, wo schon so viel ausprobiert worden ist und entsprechend auf viel Erfahrung zurückgegriffen werden kann.
Was ist eure früheste Erinnerung ans Kleintheater?
JB: Das erste Mal war ich im Kleintheater, als ich mit 14 Jahren als Teilnehmerin eines Theaterclubs von Ruswil in die grosse Stadt ging und aus der zweiten Reihe «Ohne Rolf» sah. Umso schöner, dass Jonas Anderhub und Christof Wolfisberg immer noch hier auftreten.
FM: Ich habe das Kleintheater erst bei Antritt meines Praktikums kennengelernt. Die damalige Saison wurde mit dem Kabarettisten Joachim Rittmeyer eröffnet und kurz darauf stand eine 100-Stunden-Performance von Fetter Vetter & Oma Hommage auf dem Spielplan, die das ganze Haus in Beschlag nahm. Der Kontrast und die Vereinbarkeit dieser unterschiedlichen Welten unter einem Dach haben mich fasziniert.
Ihr habt im Kleintheater unter der Leitung von Sonja Eisl und Judith Rohrbach ein Praktikum absolviert und wart als Projektleiterinnen involviert. Was verbindet euch mit dem Haus?
FM: Von einer Ausbildung über eine Projekt- bis hin zur Betriebsleitung verbindet mich mit dem Haus ein ganzer beruflicher Werdegang.
JB: Das Kleintheater war der erste Ort, an dem ich mir vorstellen konnte, länger zu bleiben. Ich erinnere mich noch gut an den Moment, als ich bei der ersten Ausgabe des Unfrisiert Festivals, bei dem ich Projektleiterin war, im Saal sass und mir dachte: Deshalb mache ich diesen Job. Die schönen Theatermomente.
Wie hat sich das Kleintheater in den letzten Jahren entwickelt?
JB: Was das Haus stark prägte, war die Auseinandersetzung mit Fragen der Inklusion. Es gab lange keinen anderen Kleinkunstbetrieb in der Zentralschweiz, der das machte. Auch die Zusammenarbeit mit der freien Szene wurde immer wichtiger. Und die Digitalisierungsprojekte.
Mit eurem Antritt habt ihr auch Jahn Graf ins Boot geholt. Mit ihm hat das Haus zum ersten Mal einen Inklusionsbeauftragten. Welche Veränderungen strebt ihr mit dieser Stelle an?
FM: Das Kleintheater widmet sich dem Thema Inklusion seit 2019. Allerdings haben wir gemerkt, dass eine klarere Priorisierung gewisser Initiativen vorhanden sein müsste. Um dies zu gewährleisten, schien es uns logisch, das Thema an ein darauf zugeschnittenes Stellenprofil zu knüpfen.
JB: In der Auseinandersetzung mit Inklusion und der Frage, wie ein Betrieb inklusivere Massnahmen umsetzen kann – sei das im Bereich Organisation, Programm oder Publikum –, ist es nur konsequent, eine selbst betroffene Person mit ins Team zu holen. Daraus ergeben sich ganz neue Handlungsfelder, denn auch punkto Arbeitsintegration können wir noch viel lernen.
Fabienne, du hast im Kleintheater die Plattform «Digitale Bühne» initiiert. Welche Erkenntnisse ziehst du daraus?
FM: Die Plattform kam mit vielen Fragen einher. Was heisst es zum Beispiel für unseren Betrieb, wenn wir Vorstellungen anbieten, an denen nur wenige Personen teilnehmen können, da das technische Set-up hoch komplex ist? Diese Frage stellt sich vor allem bei Virtual-Reality-Produktionen. Oder: Was heisst es für unsere Kommunikation mit dem Publikum, wenn wir mit ihm in Form eines Live-Chats und nicht vor Ort interagieren?
Nun geht es darum, die Plattform nachhaltig weiterzuentwickeln. Dabei wird es auch stark um Wissensvermittlung gehen, denn wir stellen noch viele Berührungsängste beim Publikum fest.
Nach der Bekanntgabe eurer Personalien titelte «Zentralplus»: «Wieder übernehmen zwei Frauen das Kleintheater Luzern». Was sagt ihr zu dieser Headline?
JB: Beim Kleintheater leiten seit rund zwanzig Jahren Frauen den Betrieb. Auch das Modell der Co-Leitung, das sich nun in vielen anderen Betrieben etabliert, existiert im Kleintheater schon lange.
Was hat euch dazu bewogen, euch für diese Stelle zu bewerben?
JB: Die Liebe zum Haus! Oh mein Gott, das nimmst du nicht rein.
FM: Doch, fett gedruckt!
JB: Ja, genau.
FM: Ich habe bereits während meiner Ausbildung darauf hingearbeitet, mal eine Betriebsleitung zu übernehmen. Und ich dachte, es sei besser, dies lieber früher als später zu tun.
JB: Ich brauchte etwas mehr Bedenkzeit, weil ich mir nicht sicher war, ob ich in die Fussstapfen von Sonja und Judith treten möchte. Ich habe von den beiden viel gelernt, das Kleintheater war ein wichtiger Ort für mich. Letztlich kam ich zum Schluss, dass noch Platz für ein neues Kapitel im Haus ist. Ausschlaggebend war zudem, dass wir Dinge sehen, die wir verändern können.
Zum Beispiel?
JB: Das Kleintheater war schon immer ein Ort der Tradition und Innovation. In diesem Spannungsfeld möchten wir weiterarbeiten. Was Tradition und Innovation ist, verändert sich natürlich mit der Zeit.
FM: In Bezug auf die Organisation sind wir eine andere Generation als Judith und Sonja. Wir haben eine andere Vorstellung davon, wie wir zusammenarbeiten wollen und wie unsere Abläufe aussehen. Das Thema Digitalisierung beschäftigt uns zum Beispiel nicht nur auf, sondern auch hinter der Bühne, im Betrieb und in der Kommunikation mit unserem Publikum.
Das Kleintheater wird nur zu einem Drittel subventioniert, zwei Drittel werden durch Ticketeinnahmen, private Spenden und Stiftungsgelder gedeckt. Braucht das Kleintheater mehr finanzielle Unterstützung durch die öffentliche Hand?
FM: Der Betrieb hat sich seit der Gründung professionalisiert. Mit dem Anspruch nach Professionalität steigt auch der strukturelle Aufwand, der gleichzeitig schwierig mit Privat- und Stiftungsgeldern zu decken ist, weil er nicht unmittelbar sichtbar ist. Um marktfähig zu bleiben, benötigen wir von der öffentlichen Hand vor allem Unterstützung beim strukturellen Teil, der uns hilft, den Betrieb so zu führen, wie es vom Publikum gewünscht wird.
JB: Die Ansprüche von heute an ein Kulturhaus sind mit jenen von vor zehn Jahren nicht mehr zu vergleichen. Schon nur medial und technologisch gab es grosse Veränderungen. Diese Professionalisierung, die mit bestimmten Leistungsansprüchen einhergeht, braucht entsprechende Unterstützung.
Wie wird sich das Kleintheater bis 2027, wenn es das 60-Jahr-Jubiläum feiert, verändert haben?
JB: Dann machen wir wieder eine Doku.
FM: Und die heisst dann «Das Kleintheater und seine Co-Leiterinnen».
Janine Bürkli wuchs in Ruswil auf und studierte Soziokultur, Dramaturgie, Theater- und Orchestermanagement. Als Projektleiterin war sie unter anderem für die Tankstelle Bühne und die Voyeur:innen Luzern tätig. Von 2017 bis 2018 war sie Co-Leiterin im Bereich Tanz und Theater im Südpol.
Fabienne Mathis wuchs in Baar auf. Sie studierte Sozialwissenschaften und Kulturmanagement. Ihre beruflichen Schwerpunkte sind Organisation, Produktion und Förderung von Kultur. Seit März 2021 leitet sie die «Digitale Bühne» im Kleintheater.