Zwischen Magie und harter Realität

Kleintheater Luzern, 19.10.2016: «Kosovo for Dummies», eine Komödie über Daseinsberechtigung und Nicht-Nashorn-Bescheinigungen, überzeugt durch skurrile Leichtigkeit bei einem Thema mit Tiefgang. Von Barbara Boss

Den Anfang des Abends macht Musiker Maurice Könz alias Dr. Mo. Das Saallicht ist noch an, als er mit einer Coldplay-esquen, streicherlastigen Hymne die Atmosphäre für die kommenden anderthalb Stunden setzt. Die digitale Tonfläche, die Könz hier zaubert, entführt aus dem Alltag und evoziert eine traumhafte Anderswelt. Das Saallicht erlischt im Takt des Sounds nach und nach und auf einer Leinwand auf der Bühne erscheint ein heller Kreis – der Mond. Die Schauspielerinnen und Schauspieler treten auf. Sie erklären dem Publikum nonchalant, dass sie eine Geschichte zu erzählen haben. «Am Anfang war der Pappkarton» und «dann überschlugen sich die Ereignisse wie in manch anderen deutschen Theaterstücken». Schnell merkt man, dass hier nicht eine logisch-stringente Story wiedergegeben wird, sondern dass man sich auf eine wunderbar wirre Erzählstruktur einzulassen hat. In schnellen Szenenwechseln durchspielen die Figuren auf der Bühne das Abenteuer von Antigona, einer Kosovarin, die es zu Fuss und fliegend bis in die Schweiz geschafft hat und hier Asyl sucht. In der Dönerbude «Ali Baba und die 40 Räuber» trifft sie auf Salal, den muslimischen Inhaber des Lokals, und auf Herrn Schmidt, einen gutgläubigen und ehrlichen Schweizer, der einen Reiseführer mit dem Titel «Kosovo for Dummies» schreiben will. Mit von der Partie ist auch eine ältere Dame mit ihrem imaginären Hund Benjamin, der im Verlauf des Stücks gekidnappt wird. Item, die Ankunft von Antigona scheint geglückt, die beiden Herren jedenfalls empfangen sie mit offenen Armen. Herr Hartmann aber, ein sturer Staatsbeamter, der es sich zum Hobby gemacht hat mit seinem siebten Sinn illegale Flüchtlinge aufzuspüren, macht ihr einen Strich durch die Rechnung. Obwohl ihm Antigona etliche Nachweise liefern kann, so zum Beispiel ihr Mittelschulzeugnis, fehlt ihr das wichtigste Dokument von allen: die Nicht-Nashorn-Bescheinigung. Sie kriegt eine Gnadenfrist von 10 Tagen, um diese im Kosovo zu besorgen – sonst muss sie ausreisen. Herr Schmidt, der von Antigona ganz verzaubert ist, erklärt sich bereit, diese Reise in die Fremde auf sich zu nehmen und so seine Angebetete vor der Ausschaffung zu retten. In einer nebligen Höhle (auch hier wieder grossartiger, kosmischer Sound von Könz), dem Kosovo, erhält Schmidt wie von Zauberhand dann nicht nur die Bescheinigung, dass Antigona kein Nashorn ist, sondern auch noch sein Buch «Kosovo for Dummies», fixfertig geschrieben. Er kehrt zurück in die Schweiz, doch Antigona erscheint mit dem Dokument zwei Minuten zu spät im Büro von Hartmann. Dieser zückt den roten Stempel der Ablehnung, alles scheint aus … Aber Hartmann hat seine Stempel bei einem Pakistani statt bei seinem Schweizer Stempel-Reparaturen-Service des Vertrauens revidieren lassen, und dieser hat die Farben vertauscht. Der rote Stempel ist nun also der blaue, was bedeutet, dass Antigona vorerst in der Schweiz bleiben darf. Happy End. So verrückt dieser Plot daher kommt, so zauberhaft simpel und doch raffiniert ist er auf der Bühne umgesetzt. Der Regisseur Johannes Mager hat ein feines Gespür für Rhythmus, das Ganze kommt dynamisch und leicht daher. Die wunderbaren Kompositionen von Könz untermalen die Geschichte so passend, dass man sich nach mehr davon sehnt. Die Inszenierung kommt zudem ohne grosse Requisitenschlacht aus, die Bühne ist einfach gestaltet – links ein Tisch für den Musiker, in der Mitte eine Leinwand für Projektionen (mal Mond, mal Maden, mal blau-rotes Farbengewirr – hübsch gestaltet, aber teils redundant und etwas leer im Raum stehend), rechts eine Holzbank, eine Kartonkiste und eine Leuchtreklame, auf der in roter Schrift jeweils die Kapitelüberschriften der Geschichte zu lesen sind. Mit einfachen Mitteln wie einer Rauchmaschine wird höchste Wirkung erzielt – die magische Kosovo-Höhle zum Beispiel entsteht dadurch, dass ein Schauspieler den gesamten Bühnenraum im Rauch verschwinden lässt, Beleuchtung und Sound vollenden den Effekt. Im Zentrum steht also das Erzählen, und darin liegt auch die Kraft der Inszenierung. Antigonas Geschichte kommt daher wie ein Märchen und zuweilen wird sie auch so erzählt – in der dritten Person und mit wiederholtem «es war einmal». Das Erzählen in der dritten Person wird ad absurdum geführt, wenn es zum Zwang wird – was gesagt wird, muss auch auf der Bühne geschehen, also fällt ein Schauspieler auch mal wiederholt über die Bühnenkante, weil dies sein Mitspieler so erzählt. Auch die Dialoge sind interessant gestaltet, knapp, manchmal in verfremdeten Modi zur vielleicht erwarteten Haltung der Figur, oft frontal ans Publikum gerichtet. Die Erzählung, die wegen ihres konsequent durchgezogenen Stils dann doch irgendwann langatmig zu werden droht, wird gekonnt aufgelockert, zum Beispiel durch eine packende Tanzeinlage von Antigona oder dem komischen Höhepunkt des Abends, als Hartmann vom imaginären Benjamin durch die Zuschauerreihen über die Stuhllehnen hindurch, raus ins Foyer und hoch auf die Empore gejagt wird, was in einem lauthalsen Streit zwischen ihm und der Dame mit Hund endet («Du Höseler, chum da abe!»). Das Publikum quittierte solche Einlagen mit lauten Lachern. Sowieso scheint der Humor des kosovarischen Autors Jeton Neziraj sehr gut anzukommen beim Luzerner Publikum. Seine saloppe Art, ein so dringliches Thema anzugehen, geht auf und erlaubt stereotypische Figuren und rassistische Kommentare. Antigona wird als «du Türkin oder Rumänin oder was auch immer du bist» angesprochen, Pakistani und Palästinenser werden in den gleichen Topf geworfen und der Moslem regt sich darüber auf, dass er nicht auf explosive Material untersucht wird. Das alles geht, weil es die Realität so wunderbar ironisch spiegelt. Neziraj trifft den ganz alltäglichen Rassismus, die Arroganz des Nationalismus und des territorialen Anspruchs sowie die Xenophobie unserer Zeit wie die Faust aufs Auge. In der Form einer absurden Erzählung, oder eines «magischen Realismus», wie Neziraj es nennt, kommt seine Kritik zwar humorvoll verpackt daher, wirkt aber nicht minder nach. Schon die alten Griechen haben den politisch brennenden Themen ihrer Zeit satirische Komödien entgegnet – eine Strategie, die bis heute aufzugehen scheint. «Kosovo for Dummies», ein Abend voller Ironie, poetischer Bildhaftigkeit und einem glänzenden Ensemble also. Ein Abend über das hier und das dort. Über die vermeintliche Unversöhnlichkeit der Kulturen, die sich in ihrer Begegnung in Schall und Rauch auflöst. Ein Abend wider der Angst vor Überfremdung und der Kriminalisierung des Fremden. Eine Geschichte so absurd und doch so nah an den harten Tatsachen.  

Weitere Vorstellungen: FR 20. Oktober 20 Uhr, mit Balkan Lounge (im Anschluss an die Vorstellung bis 01:30 Uhr) mir Raki, Essen, Musik, Tanz und Infostand SA 21. Oktober 20 Uhr, Stückeinführung mit Autor Jeton Neziraj (der eigens aus Pristina nach Luzern reist und auch am Freitag an der Balkan Lounge dabei sein wird)   Regie: Johannes Mager Text: Jeton Neziraj Mit: Albana Agaj, Robert Baranowski, Nadim Jarrar, Gunther Kaindl, Ursula Stäubli Musik: Maurice Könz Körperarbeit: Emilia Giudicelli Mediales Setting und Bühne: Hugo Ryser und Manuel Schüpfer Technik: Lorenz Gurtner Dramaturgische Beratung: Steph Lichtensteiger Produktionsleitung: Annette von Goumoëns Produktion: Forever Productions Koproduktion: Schlachthaus Theater Bern, Theater Winkelwiese Zürich, Kleintheater Luzern