Zwischen Beruf und Berufung

Kleintheater Luzern, 16.09.2014: Nicht wollen, nicht dürfen, nicht können. Unseren (Berufs-)Wünschen im Alltag stellen sich diverse Hürden entgegen. papst&co. thematisieren genau diesen Ansatz mit einem Konzerttheater. Und liefern wertvolle Erfahrungen.

«Mit der Kunst ist es ja so: Du stehst auf einer prächtigen Blumenwiese. Läufst los, pflückst hier ein Blümchen und dort eines, herrlich. Doch irgendwann bekommst du Hunger und merkst: Scheisse, die Blumen kann ich ja gar nicht essen. Und dann musst du zu arbeiten beginnen». Dieses Zitat, Quelle bekannt, markiert einen fortwährend schwierigen Entscheidungspunkt im Leben: Die Priorisierung zwischen Brot- und Herzensjob. Gerade Freischaffenden gestaltet sich dieses Abwägen in Zeiten ökologischer Unsicherheit oftmals prekärer als gewollt. Dabei ist die Ausbildung erst recht kein Garant für die spätere Tätigkeit des Gelernten. ich was suchen Diesem Balanceakt hat sich das Produktionsteam papst&co. angenommen. Die Truppe um Anna Papst erarbeitete in einem aufwendigen Prozess mit vier Kunstschaffenden ein Konzert-Theater namens «Die Stadtmusikanten». Wie der Titel bereits impliziert, ist das Stück lose an die Bremer Stadtmusikanten angeknüpft. Jene werden dargestellt von Melina Gafner (Musikpädagogin), Flo Götte (Musiker), Sacha Leuenberger (Musiker) und Maxi Schmitz (Schauspielerin). Alle eint sie eine bewegte Vorgeschichte und ein Spiritus des Aussteigens. Götte beispielsweise arbeitete nach der Schreinerlehre 15 Jahre lang als Velokurier, Schmitz verdient(e) im Anschluss ans unbefriedigende Schauspielstudium ihr Geld unter anderem mit Putz- und Servicearbeiten, Leuenberger machte vom KV-Lehrling bis zum Schafshirten seine Lebensstationen durch und Gafner unterrichtete und jobbte im Architekturbüros des Vaters.

ich nicht wissen was suchen Beim Einschalten des Scheinwerferlichtes dominiert eine Wand aus Wabenelementen. Hinter dieser agieren die vier Schauspielmusiker. Zu sehen kriegt man sie höchstens teilweise. Ansonsten werden ihre realen Lebensgeschichten mit Schablonen oder fast schon artistischen Einlagen dargestellt, zu denen die Künstler einzeln erzählen und musizieren. Respektive erzählen lassen: Der Stücktext basiert auf Interviewsequenzen, die im Vorfeld aufgenommen wurden. Schon hier ein wohliges Schaudern: Die Musik ist gut. Richtig gut. Nach den Vitas öffnet sich die Kulisse. Das Wabenbildnis wird zu einem beeindruckenden Bühnenbild und die fleissigen Bienchen vollständig ersichtlich. Sie brechen aus ihrem Arbeitsalltag aus, machen sich auf die Reise nach «Bremen». Auf dem Weg dorthin findet das Quartett jedoch einen Ort, der schlussendlich ihr Zuhause bildet. Wie die Bremer Pendants erreichen auch Gafner, Götte, Leuenberger und Schmitz ihr Ziel nicht unbedingt, sondern erobern auf dem Weg dorthin eine Lösung, die für sie stimmt. So die moderne Interpretation des Stücks, was sich ohne weiteres auf das reale Leben beziehen lässt. Doch ist dem tatsächlich in konkreter Art und Weise so? Offen gelassen wird jene Frage durch die geniale Vertonung eines Gedichts Ernst Jandls: «Suchen - Wissen». Alles passiert im Endeffekt schrittweise, was jederzeit Veränderung bedeuten kann. Zum Schluss erzählen die Künstler von ihren Zukunftswünschen: Aussteigen, als Selbstversorger leben, Musik machen, Reisen. Also, «konkret» scheint das nicht, macht jedoch genau einen Grossteil der Freiheit aus. Schön!

ich was wissen Viel wissen, dass tun alle beteiligten Akteure dieses wirklich starken Konzerttheaters. Die  eigentliche Geschichte fehlte zwar ein wenig und hätte ruhig noch eine Stunde länger dauern dürfen. Umgesetzt wurden die Ideen aber sehr gut. Hier stehen mit einer Ausnahme keine Profischauspieler auf der Bühne. Doch wurde so engagiert agiert, dass das Zuschauen eine Freude war, zudem wirkten ein, zwei klitzekleine Patzer sympathisch. Nebst dem spannenden Bühnenbild sowie der frech dargebotenen Message gefiel vor allem die Musik, zentral Jandls Vertonung von «Suchen - Wissen». Was hierbei der kongeniale Bassist Götte (u.a. tätig bei Evelinn Trouble, Der Grosse Bär) inklusive uraltem Akai MPC Sampler und Gitarrist Sacha Leuenberger (legendärer Bazillus-Musike, Boss Hoss, Marc Sway) - beide ehemalige Jazzschüler Luzerns -  beitrugen, liess das Musikerherz mitfreuen. Speziell der Reverse-Effekt - ein rückwärts gesprochener Text klingt damit plötzlich logisch - liess den Mund sperrangelweit offen stehen. Geniale Idee! Weg vom starren Berufsalltag hin zum offenen Künstlerleben: Klingt schön, ist schwer - sagt der Volksmund. Die Stadtmusikanten bieten dank papst&co. Erfahrungen in diesem Segment. Und von denen kann man nie genug aufnehmen. Höchste Empfehlung. Nicht nur für Künstler.