Zur Integration gehören zwei

stattkino Luzern, 6.8.2020: «Unter einem Dach» porträtiert in feinfühliger Manier die Beziehung zwischen einer syrischen Flüchtlingsfamilie und einem Schweizer Paar. Und leistet wichtige Integrationsarbeit.

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Daniel, Kathrin, Iman und Ghassan sitzen zusammen mit einer syrischen Übersetzerin und Vermittlerin am Esstisch. Es gibt Kaffee und Kuchen. Die Übersetzerin bittet Iman und Ghassan zu überlegen, was sie an Daniel und Kathrin stört. Als Ghassan ausführlich ausholt, fragt sie ihn: «Soll ich das übersetzen?» Sprache ist Barriere. Daniel und Kathrin haben die Vermittlerin eingeschaltet, um Missverständnissen vorzubeugen. Diese passieren: In Syrien erholt man sich am Abend mit den Nachbarn, egal wie man sich fühlt. In der Schweiz erholt man sich am Abend alleine, egal wie man sich fühlt. Ghassan möchte mit Daniel und Kathrin zusammen einen Gastrobetrieb eröffnen, weil er keine Arbeit findet. Zuerst sind sie entzückt, bei genauerer Überlegung überfordert. Integration ist Arbeit.

Doch die schönen Momente überwiegen. Die siebenköpfige syrische Flüchtlingsfamilie mit vier Töchtern und einem Sohn wird vom Schweizer Paar mit offenen Herzen und Hirnen empfangen. Sie feiern zusammen den Dreikönigstag, diskutieren über Schweizer Politik, der kleine Sohn darf Daniel und Kathrin alleine besuchen.

Maria Müller fängt in ihrem neuen Dokumentarfilm authentische Momente ein. Dafür braucht es viel Geduld; die Luzernerin arbeitete während fünf Jahren an dem Werk. Sie ist den Menschen in «Unter einem Dach» unglaublich nahegekommen. Nach der Hälfte vergisst man, dass es sich hier um einen Film handelt. Der unaufdringliche Gestus verstärkt das Gefühl. Die Regisseurin arbeitet subtil, nimmt sich selber heraus und zeigt doch Haltung. Das ist schwierig. Es gelingt ihr vortrefflich. 

«Unter einem Dach» beginnt temporeich und befindet sich in den ersten dreissig Minuten in einem stetigen Fluss. Ab der Mitte drosselt Müller die Geschwindigkeit, die Gespräche dauern länger, der Film gewinnt umso mehr an Tiefe. Man erfährt beispielsweise, dass Iman und Ghassan der jüngsten Tochter die Entscheidung überlassen, ob sie einen Hijab (Halskopftuch) tragen will, und dadurch auch die Entscheidung, wie stark sie sich dem Islam verpflichten möchte. Die syrische Vermittlerin bemerkt, dass das keine wirkliche Entscheidung sei, weil die drei anderen Töchter bereits Hijabs tragen.

Unter einem Dach – Filmstill

«Unter einem Dach» beweist, dass Toleranz gegenüber Fremdheit meistens nicht durch Argumente erzeugt werden kann, sondern durch das Zeigen von menschlichen Geschichten. Dann versteht man keine Argumente, sondern die Menschen. Maria Müller hat einen Dokumentarfilm über Integrationsarbeit gedreht und leistet damit selber einen Beitrag an diese. Genau das braucht es heute.

Premiere: Unter einem Dach (mit Maria Müller)
Ab 6. August, 19 Uhr
stattkino, Luzern