Zeitlose Faszination von Menschendarstellungen

Kunstmuseum Luzern, SO 12.4.2015: Die Ausstellung «Von Angesicht zu Angesicht. Füssli, Böcklin, Rondinone und andere» führt in sieben Räumen durch die Vielfalt bildlicher Darstellungen des Menschen aus der Sammlung des Kunstmuseums Luzern. Ein Motiv, das Künstler über die Jahrhunderte hinweg faszinierte und nach wie vor fasziniert.
 
(Von Elsa Himmer)
 

Zeitlos erscheinen die Fragen nach Identität und Herkunft, die Auseinandersetzung mit Lebendigkeit und Vergänglichkeit und der Versuch, eine bildliche Lösung zur Vergegenwärtigung des Menschen zu finden - Heiligenbilder treffen auf Porträts von Kindern und Künstlerselbstbildnisse. Es sind die Selbstbildnisse, die Auftakt und Endpunkt des Ausstellungsrundgangs bilden, im Laufe dessen die Möglichkeiten der Darstellung von Menschen und Menschlichem ausgelotet werden. Betritt man die Ausstellungsräume, steht man zunächst einmal Angesicht zu Angesicht mit Cuno Amiet und Giovanni Giacometti. Man fühlt sich gleichermassen in Augenschein genommen wie man die Gemälde in Augenschein nimmt. Wer schaut denn da nun wen an? Der Blick scheint erwidert zu werden, ein Eindruck, der auf einen entscheidenden Aspekt in der Rezeption von Menschendarstellungen verweist: den Glauben an eine Lebendigkeit der Bilder, an ein ‚Dahinter’, das uns mehr über den Porträtierten verrät und die Menschendarstellung über die reine Abbildhaftigkeit hinausführt. Diese geglaubte Möglichkeit, dass dort noch mehr als Farbe auf der Leinwand ist, die mitschwingen lässt, dass dort etwas Verborgenes ist, dessen Entschlüsselung dem Betrachter obliegt. Eine Verheissung, mit der einen Raum weiter auch Albrecht Schnider spielt. Ist man noch fasziniert von dem Einblick, den einem die Künstlerselbstbildnisse des 18. und 19. Jahrhunderts in die sagenumwobene Welt des Ateliers gewähren, so lässt Untitled, 2013 derlei Eindrücke ins Leere laufen.

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Albrecht Schnider, Untitled, 2013, Acryllack auf Lein­wand, 205 × 145 cm, Kunstmuseum Luzern und Schwei­­zerische Eidgenossenschaft. Bundeskunstsammlung

Schwarze und graue Konturlinien zeichnen auf 205x145 cm den Umriss eines menschlichen Kopfes nach, doch da, wo man die Gesichtszüge erwartet, ist lediglich weiße, glänzende Fläche. Ein ‚Dahinter‘ erscheint unmöglich. Die Neugierde bleibt unbefriedigt, prallt doch der Blick an der glatten Lackschicht ab. Die Leerstelle gibt Raum für die Projektionen der Besucher und verweist gekonnt darauf, dass die Einsichten, welche uns die Abbilder einen Raum zuvor gewährt haben, doch auch vielfach das sind, was wir als Betrachter hineinlesen.

Dass die Darstellung des Menschen insbesondere auch eine Bildwerdung von Empfindung ist, zeigen nicht nur die ausgestellten Bodyawareness-Paintings von Maria Lassnig, sondern auch der Themenraum des ‚gemarterten Körpers‘. Die Vergänglichkeit und Verletzlichkeit des Körpers steht im Vordergrund und zeigt nur allzu deutlich auf, was den Wunsch, sich selbst auf der Leinwand unsterblich zu bannen, beflügelt.

von angesicht zu angesicht, kunstmuseum luzern 2015

Befasst man sich mit der Frage, wer wir eigentlich sind, fällt der Blick unweigerlich auch immer auf das Anderen, das Fremde, auf das, was wir gerade nicht sind. Man ist schon dabei die Augen zu verdrehen, wenn man die Überschrift ‚Eingeborene‘ im nächsten Raum liest. Ja, der Blick auf das Fremde spielt eine zentrale Rolle in der europäischen Kunstgeschichte, aber braucht es wirklich einen Raum voll Orientalismusdarstellungen? Umso herrlicher ist es, wenn man sich eingestehen muss, dass man direkt in die Falle der eigenen Vorurteile gegenüber Themenräume getappt ist, denn eine zeitgenössische Collagearbeit parodiert die europäische Konstruktion der afrikanischen Kultur und vis-à-vis der exotischen Frauen auf buntem Teppich‘ (1920) von Pechstein findet sich die Exotik der Schweizer Trachtenwelt wieder.

von angesicht zu angesicht, kunstmuseum luzern 2015

Halte man von Themenräumen was man wolle, hier muss man zugeben, dass sie funktionieren. Sie sind Vorschläge wie man sich innerhalb der Vielfalt der Menschendarstellungen orientieren kann und verweisen dabei gleichsam auf den Facettenreichtum und die Uneindeutigkeit solcher Überschriften. Im Raum der ‚Helden‘ flankiert den Sturz des Ikarus die Büste eines Fliegers, dem man nur wünschen kann, dass sein Flug erfolgreicher war. Eine aussergewöhnliche Arbeit des kürzlich verstorbenen Luzerner Kunstmalers Hans Erni.

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Johann Melchior Wyrsch, Porträt der Kinder de Beauffremont, 1782

Die Erwartungen, die man sogleich mit den Titeln der einzelnen Räume verknüpft, werden durch Auswahl und Gegenüberstellung der Arbeiten immer wieder in Frage gestellt und die Sichtweise auf den Menschen und den menschliche Körper in knapp 700 Jahren Kunstgesichte in neuem Licht präsentiert. Die Ausstellung ist ein abwechslungsreicher Querschnitt, der gekonnt Videoarbeit mit Ölgemälde und hölzernes Heiligenbild mit zeitgenössischer Skulptur verknüpft und die Gemeinsamkeiten und Differenzen der Auseinandersetzung mit dem Menschen in Geschichte und Geschichten beleuchtet. Die Themenräume, die sich zwischen den Künstlerselbstbildnissen befinden, werden im Laufe der Ausstellungsdauer wechseln, so dass sich der mehrfache Besuch der Ausstellung lohnt. In diesem Sinne - Wiedersehen macht Freude!

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von angesicht zu angesicht, kunstmuseum luzern 2015

 
Die Ausstellung Von Angesicht zu Angesicht. Füssli, Böcklin, Rondinone und andere läuft noch bis am 22. November 2015.   Bildrechte/Legende: Ugo Rondinone, MOONRISE. west. march, 2004, Abguss, Polyurethan schwarz, Auflage: 3 + 1/2 AP, Kunstmuseum Luzern, Ankauf ermöglicht durch die Zuger Kulturstiftung Landis & Gyr © Ugo Rondinone Johann Melchior Wyrsch, Porträt der Kinder de Bauffremont, 1782, Öl auf Leinwand, Kunstmuseum Luzern, Depositum der Bernhard Eglin-Stiftung Albrecht Schnider, Untitled, 2013, Acryllack auf Lein­wand, 205 × 145 cm, Kunstmuseum Luzern und Schwei­­zerische Eidgenossenschaft. Bundeskunstsammlung Verschiedene Abbildungen: Ausstellungsansicht Kunstmuseum Luzern „Von Angesicht zu Angesicht“, 28.02.-22.11. 2015, Foto: Marc Latzel