Zeitlos erscheinen die Fragen nach Identität und Herkunft, die Auseinandersetzung mit Lebendigkeit und Vergänglichkeit und der Versuch, eine bildliche Lösung zur Vergegenwärtigung des Menschen zu finden - Heiligenbilder treffen auf Porträts von Kindern und Künstlerselbstbildnisse. Es sind die Selbstbildnisse, die Auftakt und Endpunkt des Ausstellungsrundgangs bilden, im Laufe dessen die Möglichkeiten der Darstellung von Menschen und Menschlichem ausgelotet werden. Betritt man die Ausstellungsräume, steht man zunächst einmal Angesicht zu Angesicht mit Cuno Amiet und Giovanni Giacometti. Man fühlt sich gleichermassen in Augenschein genommen wie man die Gemälde in Augenschein nimmt. Wer schaut denn da nun wen an? Der Blick scheint erwidert zu werden, ein Eindruck, der auf einen entscheidenden Aspekt in der Rezeption von Menschendarstellungen verweist: den Glauben an eine Lebendigkeit der Bilder, an ein ‚Dahinter’, das uns mehr über den Porträtierten verrät und die Menschendarstellung über die reine Abbildhaftigkeit hinausführt. Diese geglaubte Möglichkeit, dass dort noch mehr als Farbe auf der Leinwand ist, die mitschwingen lässt, dass dort etwas Verborgenes ist, dessen Entschlüsselung dem Betrachter obliegt. Eine Verheissung, mit der einen Raum weiter auch Albrecht Schnider spielt. Ist man noch fasziniert von dem Einblick, den einem die Künstlerselbstbildnisse des 18. und 19. Jahrhunderts in die sagenumwobene Welt des Ateliers gewähren, so lässt Untitled, 2013 derlei Eindrücke ins Leere laufen.
Albrecht Schnider, Untitled, 2013, Acryllack auf Leinwand, 205 × 145 cm, Kunstmuseum Luzern und Schweizerische Eidgenossenschaft. Bundeskunstsammlung
Schwarze und graue Konturlinien zeichnen auf 205x145 cm den Umriss eines menschlichen Kopfes nach, doch da, wo man die Gesichtszüge erwartet, ist lediglich weiße, glänzende Fläche. Ein ‚Dahinter‘ erscheint unmöglich. Die Neugierde bleibt unbefriedigt, prallt doch der Blick an der glatten Lackschicht ab. Die Leerstelle gibt Raum für die Projektionen der Besucher und verweist gekonnt darauf, dass die Einsichten, welche uns die Abbilder einen Raum zuvor gewährt haben, doch auch vielfach das sind, was wir als Betrachter hineinlesen.
Johann Melchior Wyrsch, Porträt der Kinder de Beauffremont, 1782
Die Erwartungen, die man sogleich mit den Titeln der einzelnen Räume verknüpft, werden durch Auswahl und Gegenüberstellung der Arbeiten immer wieder in Frage gestellt und die Sichtweise auf den Menschen und den menschliche Körper in knapp 700 Jahren Kunstgesichte in neuem Licht präsentiert. Die Ausstellung ist ein abwechslungsreicher Querschnitt, der gekonnt Videoarbeit mit Ölgemälde und hölzernes Heiligenbild mit zeitgenössischer Skulptur verknüpft und die Gemeinsamkeiten und Differenzen der Auseinandersetzung mit dem Menschen in Geschichte und Geschichten beleuchtet. Die Themenräume, die sich zwischen den Künstlerselbstbildnissen befinden, werden im Laufe der Ausstellungsdauer wechseln, so dass sich der mehrfache Besuch der Ausstellung lohnt. In diesem Sinne - Wiedersehen macht Freude!