Willisauer Ringli hat niemand richtig gern (Vermutung #324)

Mittwoch, 30. Mai, Loge: Buchvernissage von Niko Stoifbergs Erstling «Das Blaue Büchlein – 366 Vermutungen». Herausgeber des hellblauen Taschenbuchs ist das Kulturmagazin 041, das seit sechs Jahren auf der letzten Seite des Hefts Niko Stoifbergs inzwischen legendäre Vermutungen druckt. In der aktuellen Ausgabe des Magazins glaubt man den Grund für die ungewöhnliche Farbwahl des Buchdeckels zu finden. «Hellblau ist die einzige Farbe, die nichts Negatives an sich hat», lautete Vermutung Nummer 2.

(Von Tiziana Bonnetti)

Eröffnet wurde der einstündige Anlass durch eine Ansprache des Verlegers Matthias Burki, der als Einleitung dem Publikum mitteilte, wie es zur Entstehung dieses Buchs gekommen ist. Neben Niko Stoifbergs Tätigkeit als Chefredaktor bei getAbstract schreibt er seit 2005 am laufenden Band Vermutungen, die jeden Monat im Kulturmagazin 041 erscheinen. 959 Vermutungen haben sich in den letzten Jahren «serieller» Produktion angehäuft! «Da tut sich eine ganze Welt auf», so der Schriftsteller Pedro Lenz, der das Vorwort zu Niko Stoifbergs Buch geschrieben hat. Im Publikum wird sich manch einer gewundert haben, was zum Teufel den jungen Luzerner dazu bewogen hat, Vermutungen aufzustellen. Mit dieser Frage begann gestern denn auch das in Mundart gehaltene Gespräch zwischen dem Journalisten/Publizisten Marco Meier und Niko Stoifberg. Zusammen wollten sie «Vermuetige öber Vermuetige aastelle», beziehungsweise das Genre der Vermutung erörtern. Niko Stoifberg eröffnete, er sei als Student auf die Idee gekommen, jeweils 12 mal 12 Vermutungen in einem Jahr für das Kulturmagazin 041 aufzustellen. Mit der Wahl dieses Genres erarbeitete er sich so eine einzigartige Plattform, die ihm die uneingeschränkte Freiheit bot, zu schreiben, was ihn tangierte, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Salopp ausgedrückt: Seine Vermutungen sind Statements mit Null-Risiko-Garantie. Kein Risiko geht er dabei ein, weil Vermutungen nicht nach einer allgemeinen Gültigkeit streben und sich so auch nicht widerlegen lassen. Ergo liegt der Vorteil einer Vermutung in ihrer unerschütterlichen Unantastbarkeit. «Sofern grammatikalisch richtig, lassen sich unendlich viele Vermutungen aufstellen», vermutete Niko Stoifberg. Aber geprüft habe er das selber nicht. «Wenn alles fliesst, geht alles bachab», mit diesem Satz nahm die überwiegend nach Zufallsprinzip gestaltete Lesung ihren Lauf. Obwohl diese Vermutung beim Publikum für Lacher sorgte, war Niko Stoifbergs Botschaft, die sich hinter diesem, auf den ersten Blick, wissenschaftlichen Zitat verbirgt, ernst. Er wollte damit die Vergänglichkeit allen Seins ansprechen. Dass Niko Stoifberg aber nicht darauf aus ist, mit seinen Vermutungen ein Kabarett zu schaffen, hatte er gestern Abend deutlich zu verstehen gegeben. Dennoch lässt sich nicht abstreiten, dass seine prägnanten Sätze im ersten Moment witzig erschienen. Nebst scharfsinnigen Vermutungen wie «Das Problem ist nicht, dass es keine Lösung gibt. Das Problem ist, dass wir ein Problem mit der Lösung haben» oder «Jeder will verstanden werden, niemand durchschaut», schaffte er es aber auch, gesellschaftskritische Aspekte so herzig zu verpacken, dass sie ganz unschuldig daherkamen. Es verwunderte nicht, als Niko Stoifberg im Gespräch mit Marco Meier gestand, dass er kein Zyniker sei und auch nicht böse werden wolle. Den Abschluss machte er mit der Vermutung «Stilvoll sterben wäre ein Bestseller», womit er seine ästhetisch orientierte Generation auf die Schippe nahm.