Who the fuck is Abulkasem?

Schweizerpremiere von «Invasion», einem Stück von Jonas Hassen Khemiri im UG des Luzerner Theaters. Regie führte der Pole Krzysztof Minkowski. Die Veranstaltung war ausverkauft. Dies prophezeihe ich auch für die restlichen. Warum? Darum.

(Bilder Ingo Höhn)

Das Stück selber ist es sich gewohnt; es wurde bereits vor vollen Häusern auf internationalen Festivals präsentiert. Der Autor durchaus und – wie sich heute herausstellte – verdientermassen erfolgsverwöhnt: Für sein Romandebüt «Das Kamel ohne Höcker» erhielt Khemiri den renommierten Borås-Tidnings-Debütpreis und den Preis für das erfolgreichste schwedische Taschenbuch des Jahres 2004. Darin führt Teenager Halim aus Stockholm, ein arabischer Schwede, ein schwedischer Araber – wie der Autor selbst – Tagebuch in seiner eigenen, rebellisch kreativen Sprache. Er setzt sich mit seiner kulturellen und sprachlichen Identität auseinander. Die selben Themen behandelt Khemiri in seinem Stück «Invasion». Dafür nutzt er unterschiedlichste Stilformen und Bühnensituationen, um ein Kaleidoskop entstehen zu lassen, das den differenzierten Blickwinkeln auf die facettenreichen Themen Migrationspolitik und Terrorangst entspricht. Ein Paar (Nicolas Batthyany und Daniela Britt) schreit sich vor einem roten Vorhang an. Irgendwann säuselt der Typ zärtlich: «Weisst du noch, als wir uns das erste Mal begegneten?». Hinter dem Vorhang schwellt  Lärm an. Das Paar tritt ab, jemand (Hans-Caspar Gattiker) wickelt den Stoff an sich auf. Ein Theatererlebnis, das eine breite Palette von Empfindungen und Eindrücken bedient, beginnt. Mal ist man peinlich berührt oder gar etwas genervt, wie als zwei Migranten wahllos Leute aus dem Publikum ansprechen, anmachen oder beleidigen. Sowieso enden diese direkt ans Publikum gerichteten Passagen meistens etwas peinlich für die Darsteller. Hier nicht. Aber als Zuschauer wird einem zuweilen durchaus etwas unwohl, weil man wirklich mit etwas konfrontiert wird. Das ist gut.

«Invasion!» ist vielfältig, setzt sich stets zwischen die Stühle. Weder ganz Satire noch ganz Drama, erzählt das Stück Geschichten aus den Perspektiven der verschiedenen Progagonisten (Überzeugend, im pinken Pornohemd: Hajo Tuschy) – respektive sie erzählen diese selbst –, die, je nach dem von wem wir sie hören, ganz anders sein können. Ein Name aber geistert durch alle: «Abulkasem». Er wird ein Phantom bleiben. Da helfen weder Expertenrunden noch Studentendiskussionen. Obschon es auch Letztere in sich haben und in bissig-satirischer Weise aufzeigen, wie weit «zu tolerant» gegen andere Kulturen gehen kann, wie nervig es sein kann, wenn sich Menschen mit anderen Kulturen überidentifizieren. Überhaupt ist das Stück neben anderem auch eine hervorragende Auseinandersetzung mit dem Islam in Europa. Wenn da ein (fiktiver?) Selbstmordattentäter zitiert wird («Die Klitoris ist wirklich wie ein Rosenstrauch ... der beschnitten werden muss, damit er blühen kann!»), ist das poetisch verpacktes Brechmittel, das völlig unpopulistisch, aber doch radikal zum Nachdenken und Hinterfragen anregt.

Gegen Ende torkelt ein Bär – eine Reminiszenz an den Southpark-Auftritt des Propheten Mohammed? – durch den künstlichen Tannenwald (Bühne: Konrad Schaller; Kostüme: Brigit Künzler), der sich als völlig verängstigter Asylbewerber entpuppt, der langsam durchzudrehen scheint und in einer Talkshow endet, wo er die Moderatorin und Dolmetscherin Daniela Britt in Mundart mit völlig übertriebener Betonung und Mimik über die Bühne bringt – eine herrliche Parodie auf diese voyeuristischen Tränendrüsentalkshows. Natürlich übersetzt sie ihn völlig falsch, erzählt dem Publikum nicht, was er zu sagen hat, sondern, was dieses hören will. «Invasion!» ist ein dramatisches Euphorikum, das man sich reinhauen sollte!

Bis 18. Juni, UG Luzerner Theater