Wenn Wunder geschehen...

...gerät alles aus den Fugen. So auch bei «Das perfekte Verbrechen» – einer Produktion der freien Theatergruppe Schauplatz International mit dem Luzerner Theater. Mitten in den Recherche-Vorbereitungen für das Stück, das den Diamantenhandel in Luzern und die Problematik von Blutdiamanten thematisieren sollte, ist tatsächlich ein Wunder passiert – im UG. Am Freitag wurde besagtes Wunder von Schauspielern des Luzerner Theaters und von Schauplatz International nochmals nachgestellt (was heisst 'nochmals': gleich mehrere Male). Mit dabei an der ausgesprochen komplexen, fordernden und wundersamen Aufführung war Andrea Portmann.

(Von Andrea Portmann)

Langsamen Schrittes steuere ich aufs UG zu. Alles erscheint in einem verdächtigen Licht, überall könnte das perfekte Verbrechen lauern, beim Waffengeschäft vis-a-vis (Name wird aus sicherheitstechnischen Gründen verschwiegen), das vielleicht Kriege in Dritt-Welt-Ländern mitfinanziert, bei der («drai di nid u...u...u...um, die ****** geht um) gleich um die Eck, unter den Hüten der beiden älteren braungekleideten Damen, die das UG betreten, hinter den gehäkelten Vorhängen in der Altbauwohnung nebenan, in der rotlichtgetünchten Nizza- und Milanobar.

Keine Frage, meine Aufmerksamkeit auf verdächtig Anrüchiges ist heute Abend, noch bevor ich den Theaterraum betrete, besonders sensibel, und ich vermeine auch zu wissen, weshalb: bei Schauplatz International geschieht Theater etwas anders, als man sich das gewohnt ist (umso erfreulicher, dass das Luzerner Theater eine Zusammenarbeit mit einer freien, experimentierfreudigen Theatergruppe wagt): Hier funktioniert die Dichotomie Theater–Realität, Illusion-Desillusion nicht so geschliffen und Spreu-vom-Weizen-mässig, wie sie in manchen konventionellen Theaterproduktionen aufrecht erhalten wird, vielmehr wird sie in Frage gestellt, fängt an zu shiften. Das Publikum wird ins Ungewisse geworfen, in einen ambivalenten Zustand, in dem man hin- und hergerissen ist zwischen der selbstgenügsamen Sicherheit, dass es sich ja nur um Theater handelt und alle bloss schauspielern und der quälenden Unsicherheit, dass das, was sich abspielt, kein Spiel ist, sondern bitterer Ernst oder abgrundtiefe Absurdität des Realen.

Ich weiss nicht, ob sich im UG am 9. Februar tatsächlich ein wunderbringendes Treffen zwischen einem angolanischen Flüchtling und dem Diamantenhändler Noah (Name geändert, auf dem Foto rechts im Gespräch mit Samuel Schmidt) ereignet hat, dazu noch im UG unter Anwesenheit einiger der jetzt im Stück leiblich präsenten Schauspieler, Daniela Britt (Luzerner Theater), Anna-Lisa Ellend (Schauplatz International), Manuel Kühne (Luzerner Theater), Christoph Künzler (Luzerner Theater), die in ihrem Spiel insgesamt überzeugen, gelegentlich aber zu angestrengt authentisch wirken wollen, was vielleicht ja auch ein Kniff ist – bei Schauplatz International weiss man nie. Die Begleitbroschüre weist zudem explizit darauf hin, dass es sich nicht um etwas Ausgedachtes handelt, dass dieses Wunder tatsächlich passiert ist.

Das Wunder: Während den Vorbereitungen organisieren Schauplatz International ein Treffen im UG zwischen einem angolanischen Flüchtling und einem Diamantenhändler. Der Angolaner attackiert den Diamantenhändler mit einem Messer, dieser sackt zusammen, der Flüchtling flüchtet, der Diamantenhändler steht wieder auf, sackt wieder zusammen, stösst einen Tisch um, steht wieder auf, aus seiner blutverschmierten Hand, an der bis vor Kurzem noch ein funkelnder Diamantenring geprangt hat, fällt ein klobiger Stein, ansonsten ist der Diamantenhändler völlig unversehrt, erlebt einen totalen Sinneswandel, steigt aus dem Diamantengeschäft aus und lebt seither in einer alpinen Gegend, wo er Bionahrung herstellt.

Das ganze Theaterstück besteht, sehr salopp gesagt, aus einer einzigen verschachtelten Kaskade von Versuchen, dieses Wunderereignis mit unterschiedlichen theatralen Mitteln durch Schauspieler, Puppen und Schaufensterpuppen, nachzustellen, sich diesem Ereignis nochmals anzunähern und dem Publikum glaubwürdig zu vermitteln. Einmal spielt Christoph Künzler den Diamantenhändler und Manuel Kühne den Flüchtling, mehrere Male probt Kühne vor dem Publikum den «lockeren und doch innerlich angespannten Gang» des Angolaners – in solchen Momenten wähnt man sich tatsächlich in einer Theaterprobe und erhascht gleichzeitig einen Blick auf die Konstruiertheit des Theaters, die Mechanismen werden demaskiert – was man als typisch für das Schaffen von Schauplatz International bezeichnen kann.

Die Anleitung, sich mit einem «lockeren und doch innerlich angespannten Gang» zu bewegen, kommt direkt von Albert Liebl (Schauplatz International), der per Skype auf einer grossen Stellwand live zugeschaltet wird. Auch er war beim Treff dabei, kann aber an der Aufführung nicht leiblich auftreten, weil er Drohanrufe gekriegt hat und deshalb untergetaucht ist. Liebl zeigt während dem Stück seine Recherchematerialien zum Diamantenhandel in Luzern, Karten, Fotografien, Skizzen, verliert sich in wirren Verschwörungstheorien, wirkt zuweilen ein bisschen wie ein verkapptes Genie. Ebenfalls per Skype auf einer zweiten Stellwand live (aus Afrika?) zugeschaltet ist Lars Studer von Schauplatz International, der für die ursprünglich geplante Blutdiamanten-Produktion vor Ort musikalische Recherchen unternommen hat und seine Ergebnisse zwischendurch präsentiert. Er spricht Klischeesprache, mimt den Blick des Europäers auf das Exotische, zitiert Allgemeinplätze.

Die beiden Zugeschalteten sind während des ganzen Stücks präsent und lassen es gelegentlich ins Skurril-Absurd-Komische, manchmal ins Dramatische (der Grat zwischen Komik und Tragik ist ja bekanntlich schmal) schwappen, was Sinn macht, denn sonst wäre das Spiel der leiblich präsenten Figuren zu langatmig, zu monoton – trotz einiger ausgeklügelter Spezialeffekte.

Was mir während der Aufführung aufgefallen ist: Jedes Mal, wenn das Wort «Flüchtlingshilfe» fiel, lachte das Publikum schallend. Was das bedeutet, kann ich hier leider nicht darlegen, vielleicht kann da Samuel Schmid helfen...