«Wenn es schön ist, dann lebe ich»

HelloWelcome Luzern, 16.6.2016: An Lesungen verleihen Autoren ihren Büchern eine Stimme – die Stimme. Wenn Meral Kureyshi aus ihrem Debütroman «Elefanten im Garten» liest, dann klingt es genauso, wie man sich die Ich-Erzählerin der Geschichte vorstellt.

(Foto: Matthias Günter)  

Meral Kureyshi spricht viel. Dabei verbreitet sich eine Stimmung, die man auch beim Lesen ihres Romans verspürt: eine gewisse Unmittelbarkeit. Was sie sagt, scheint frisch aus der Gedankenküche zu kommen. «Mir hat mal jemand gesagt, ich soll doch normal schreiben, also chronologisch», erzählt die Autorin. «Diese Kritik konnte ich nicht verstehen, denn ich denke nicht chronologisch, sie etwa schon?»

«Elefanten im Garten» ist keine Geschichte mit einer geradlinigen Handlung. Es ist vielmehr die Aneinanderreihung von Erinnerungssplittern. Der thematische Faden, der diesen Erzählteppich zusammenhält, ist der Verlust. Der Verlust von Heimat, Sprache, vom Vater.

Im Zentrum steht eine fünfköpfige Familie aus Prizren, die während des Balkankonflikts in die Schweiz flüchtet. Eine Ich-Erzählerin schildert Erlebnisse, Anekdoten, Empfindungen und bekundet dabei ein ungemein aufmerksames Gemüt. Nichts scheint dem Auge des jungen Mädchens, oder der erwachsenen Frau (je nach Erinnerungszeitpunkt) zu entgehen. Die alltäglichsten Handlungen nicht, aber auch jene Dinge nicht, die vielleicht lieber unbemerkt geblieben wären. Etwa wenn sie ihre Schulkameradin Sarah an derer Geburtstag überraschen möchte. Dass Sarah daheim bereits ein Fest feiert, nimmt die Erzählerin nüchtern zur Kenntnis und verabschiedet sich wieder. Ihrer Mutter erzählt sie später, wie schön es an der Feier ihrer Freundin war.

Es sind die letzten Sätze der Abschnitte, die den Erinnerungen jeweils eine gewisse Pointe verleihen – oftmals eine traurige, manchmal jedoch auch eine tragisch-komische. Die Poesie ist eine stete Begleiterin der Erinnerungsfetzen. Kleine Alltäglichkeiten erhalten so ein gänzlich neues Gewicht. «Während du mich küsstest, tropfte eine Träne von meiner Nasenspitze auf deine Wange und weinte auf deinem Gesicht zu Ende».

«Dieses Buch zu schreiben, bedeutete für mich eine Art Reinigung. Auch mein Vater ist gestorben. Für mich starb er jedoch erst, als ich das Buch nach acht Jahren zu Ende geschrieben hatte», erzählt Kureyshi. Schreiben als Prozess der Verarbeitung: Manchmal muss etwas raus aus dem Inneren. Dann verwandelt es sich in Worte, wird übersetzt. «Ich mag es nicht zu schreiben, wenn ich glücklich bin. Wenn es schön ist, dann lebe ich».

Auch wenn es im Gespräch mit Kureyshi vor allem um Sprache und Schreiben geht, gliedert sich die Veranstaltung wunderbar in den Kalender der «Aktionswoche Asyl». Die Migration ist dabei nicht einmal das wesentlichste Thema des Romans. Vielmehr zeichnet «Elefanten im Garten» ein Gefühl nach – das Gefühl von Verlust. Und gerade deshalb passt es so gut. 

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Der Roman «Elefanten im Garten» ist 2015 beim Limmat Verlag erschienen und wurde für den Schweizer Buchpreis 2015 nominiert. Meral Kureyshi liest am 26.6.2016 im Rahmen der «Sofalesungen» ein weiteres Mal in Luzern.