Wenn der Roger mit dem Ibrahim

Kleintheater Luzern, 13.10.2017: Erfolgsmodell Schwiizerland! Präsentiert von der SVP, die im Jahre 2019 einen satten Wähleranteil von 49.94% feiert. Eigentlich ein guter Grund zum Davonlaufen – ab ins Reduit! Nicht jedoch, wenn dieses Szenario von Matto Kämpf und Co. zu einem makaberen Multikulti-Musical verwurstet wird. Welch ein Auftakt für die 50. Saison des Kleintheaters! 

Bern, Anfang April. Mysteriöse Plakate liessen die Hauptstadt der Schweiz aufhorchen. Die Konterfeis von «Maithai Landjäger-Satay», «Ibrahim al-Merguezi» oder «Cecilia de Buurenworst» riefen auf Plakaten Parolen aus: «Mehr Platz für weniger Menschen!», «Verständnis: Nein!», «Geng Gäng z'Bärn». In bewährter SVP-Manier, dazu deren abgewandeltes Logo; unter der Wurst (statt dem Sünneli) steht «Sit so guet s.v.p.» und mensch stieg: Das kann nur ein Gag sein. War es auch – und sogar viel mehr: Gleich ein ganzes Musical haben Matto Kämpf, Raphael Urweider, Dennis Schwabenland und Simon Hari geschaffen, welches – und hier der Switch in die Luzerner Gegenwart – nun im Kleintheater Premiere feiert. Sogleich beginnt diese bitterböse Satireschau, gewidmet der mächtigsten Politpartei des Landes.

Diese greift im Jahre 2019 nach den Sternen, hat sie doch fast die Hälfte des Schweizer Volks hinter sich. Vermeintlicher Star des Schreckensszenario ist Roger de Cervelat, der bereits damit rechnet, das goldene Rückgrat des inzwischen verstorbenen heiligen Christoph Blocher zu erhalten und damit das Zepter seiner Partei zu übernehmen. Doch steht ihm der versoffene Fritz Landjäger vor der Sonne – oder dem Sünneli. Ein rüpelhafter Alkoholiker, welcher als strammer Patriot gerne seine Frau Maithai Landjäger-Satay aka «Schlitzli» herumschubst, in Wahrheit aber von dieser rumkommandiert wird. Und ohnehin nicht so wirklich Lust auf Rösti und Co. hat, sondern lieber Thailand und Konsorten hinterhergeifert. De Cervelat muss also handeln. Und findet die Lösung ausgerechnet in den beiden Schweiz-liebenden Ausländer_innen Ibrahim al-Merguezi und Cecilia de Buurenworst. Damit wuselt das eingangs angesprochene Trio mit den grandiosen Namen bereits auf der Bühne des Kleintheaters rum. Und liefert eine irrwitzige Geschichte ab, wie sie zu erwarten ist von Kämpf und Konsorten. 

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De Cervelats Idee, Ausländer_innen als neues Schweizer Wahlvolk zu etablieren, zieht nämlich, und bald hält die SVP neu 99,87 Prozent an Stimmen – nur mutiert die Partei in diesem Verlauf zu einer arabisch-geprägten Multikultitruppe, angeführt von al-Merguezi. Lediglich im tiefsten Jura verstecken sich noch ein paar Linke, die im Drogenrausch leben. Bis Maithai Landjäger-Satay ihren verhassten «Fätze» im Zuge dessen politischer Niederlage hintergeht, ihn verlässt und als GrüneFee die winzige Opposition in einen Krieg führen will. Wie dieser ausgeht, sei an jener Stelle nicht verraten. Doch eines sei gewiss: Für Klamauk ist gesorgt bis zum Schluss.

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Wenngleich in unterschiedlicher Qualität. Es gibt in diesem Musical seine Längen. Und die stellenweise gar plumpen Witzchen ziehen auch nicht immer – oder zumindest nicht beim verhaltenen Luzerner Publikum. Aber genau diese Mätzchen gehören eben zu einem Musical, das mit seiner Simplizität gerne mal den Spiegel vor die Nase hält. Kernessenz des Stücks – oder zumindest ein zentraler Punkt – ist das Auftauchen des Ehepaars Vouk-Vöukli, welches durch das Regime der SVP nur noch dumm und verängstigt nach dem Vati fragt.

Meister Matto Martello-Blocher

Der männliche Part dieses Duos wird gespielt von Matto Kämpf – und dessen Auftritte sind im Musical zwar rar, aber dafür umso besser. In der Rolle der Martullo-Blocher fährt er zur Höchstform auf, tarnt sich im zweiten Teil der Vorstellung gar als Tanne und wird dann davongetragen; Vermerk «Seven Sinking Steps», «Dreamer Du», «Dattelchätscher». Man lacht Tränen. Auch die Leistungen des weiteren Casts dürfen sich sehen lassen. Allen voran die herrlich-durchgedrehte Satay-Landjäger (Malika Khatir), die in ihren wenigen Gesangsparts ein beeindruckendes Stimmvolumen demonstriert, der begeistert-aufspielende Naivling al-Merguezi (Wael Sami Elkholy) mitsamt Oud sowie orientalischem Timbre, und der grandiose De Cervelat (Diego Valsecchi), dessen überdrehter Mix aus Christoph Mörgeli und Roger Köppel gepaart mit einem Schuss Schawinski-Züridütsch (und später lupenreinem Walliserdiitsch) der helle Wahnsinn ist. 

Schade nur, dass aus Gründen der Tonqualität und gelegentlich Aussprache gewisse Phrasen wirklich gar nicht verstanden wurden. Zum Glück gab's da noch ein Büchlein mit allen Songtexten. Unbedingt hervorzuheben sind hierbei noch einmal die Gesangsleistungen – manchmal wurde wunderbar falsch gesungen von Seiten der schweizerischen Patrioten; ein Verweis, wohin es mit dem purem «Kill all culture»-Spirit der SVP hingehen dürfte. Fantastisch zudem die Band: Simon Hari und Raphael Urweider, dazu Luzerner Lokalstolz in Person von Marc Unternährer sowie Roland Bucher. Hochengagiert, vielseitig, kraftvoll; man hätte glatt auf's Schauspiel verzichten können. Aber nein, bloss nicht! Es braucht diese Geschichte und es braucht diesen Schabernack: «Ob wiss oder gälb, ob schwarz oder rot, Hauptsach Patriot: Erfolgsmodell Schwiizerland».

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Zur Feier der 50. Saison haben sich Sonja Eisl, Judith Rohrbach und ihr Team einen heissen, durchgedrehten Start ausgesucht. «Sit so guet s.v.p.» funktioniert im Kleintheater-Setting durch seine Nähe zum Publikum sehr gut. Grande, gross, gaga: Mehr solche Aktionen bitteschön! 

Weitere Vorstellungen von «Sit so guet, s.v.p.» im Kleintheater: DO 14., DI 19. und MI 20. September, jeweils 20 Uhr.