Welche Leidenschaft! – Krystian Zimerman im KKL

Der Pianist Krystian Zimerman will sich gern als Diener der Musik verstanden wissen. Am Konzert vom 30. März im grossen Saal des KKL konnte man sich davon überzeugen, dass er es tatsächlich ist. Dafür vergeben wir die Höchstnote und gebrauchen das sonst geflissentlich umgangene, verpönte und mit allerhand Kitsch besetzte L***********-Wort.

Man sagt, er sei ein unglaublicher Perfektionist. Er gibt nur wenige Auftritte, und nicht wenige sagt er dann wieder ab, angeblich. Es geht das Gerücht um, dass sich bei ihm die fertigen Aufnahmen stapeln – aber er sie nicht freigibt für seine Plattenfirma, weil er damit nicht zufrieden ist. Weiter sagt man, er trete auch schon mal unter falschem Namen in kleinen Dörfern auf, um seine neuen Programme inkognito vor Publikum zu testen. Und bis es überhaupt soweit ist, dass er sich vor – welches Publikum auch immer – wagt, soll es ungemein lange dauern, sagt man. Nun, dies sind selbstverständlich nichts als Gerüchte. Und wer denkt, dass die in einer fundierten Berichterstattung nichts zu suchen hätten, hat nicht unrecht. Nichtsdestoweniger illustrieren sie passend den nächsten Satz: Ich halte den Pianisten Krystian Zimerman für den zurzeit wohl ernsthaftesten, ergebensten, seriösesten und technisch perfektesten Interpreten der Klaviermusik. Natürlich verlangt das Genre generelll eine ziemlich hohe Arbeitsmoral. Hoch ist ja auch der Anspruch: einem vergangenen Kunstwerk neues Leben einzuhauchen. Und dazu muss man eben in den Text erst mal eintauchen und ihn perfekt beherrschen, wie ein Restaurator oder ein Theaterschauspieler es können muss. Und – im Gegensatz zum Schauspieler – soll man auch noch Regie führen. Und trotzdem sticht Krystian Zimerman aus der Menge seinesgleichen hervor. Er verweigert sich jedem Personenkult und sieht sich streng als Diener der Musik. Um eine weitere Unbekannte auszuschalten, bringt er seinen eigenen Flügel an jedes seiner Konzerte und besitzt angeblich gar ein Echomessgerät, mit dem er den Nachhall des jeweiligen Saales ausmisst. Anhand dessen bestimmt er dann wahrscheinlich die Tempi jedes Mal neu – und perfekt auf die Akustik abgestimmt. Ob so viel Perfektion kann man vor Zimerman nur den Hut ziehen. Oder aber man nennt ihn schlicht einen Verrückten. Allein die Programmwahl des heutigen Konzertes klingt eigentlich schon ziemlich verrückt: Zum zweihundertsten Geburtstag Frédéric Chopins stehen nur Werke von Chopin an. Ein Nocturne (op. 15 No. 2), die grosse B-Moll-Sonate und das zweite Scherzo op. 31, weiter nach der Pause die dritte Klaviersonate in h-Moll op. 58 und die Barcarolle op. 60 – das Programm verlangt enorme pianistische Kondition. Zimerman wählte schnelle Tempi und spielte praktisch lupenrein fehlerfrei. Nun, das hatte wohl kaum einer anders erwartet. Und weiter? Ich gebe es nach dem eben gehörten Konzert nur ungern zu: Ich hatte Krystian Zimerman für eine Art Ferran Adrià des Klavierspiels gehalten. Seine Aufnahmen faszinieren durch unglaubliche technische Brillanz und Transparenz in jedem Detail – und wirken gleichzeitig manchmal etwas gar klinisch rein und steril. Womöglich hatte ich darum die Erwartung, kühl ausgefeilte Interpretation zu hören zu bekommen – etwas steif, etwas berechnend? Für heute wurden jedoch alle Vorurteile aufs Herrlichste enttäuscht! Schon nach dem ersten Stück legte Zimerman seine Befangenheit ab (oder war es meine Befangenheit?) und brachte eine Impulsivität und Leidenschaft hervor, die fesselte – ob nun mit oder ohne Hilfe des Echomessgeräts, ist ja letztlich einerlei. Das Ergebnis war ein temperamentvoller und sehr virtuoser Chopin – aber niemals reisserisch, niemals effekthascherisch. Krystian Zimerman gab alles und freute sich am Publikum – trotzdem beherrscht er die vollendete Geste nicht nur musikalisch: Zum Schluss verabschiedete er sich mit einem perfekten Handkuss und einem kleinen kecken Scherz am Klavier – aber hier wollen wir für einmal den Printmedien den Vortritt lassen und nicht schon alles verraten: Nachzulesen in fast allen Schweizer Zeitungen – morgen.