Wasser in allen Formen

Neubad, 09.–11.12.2016: Ein Strudel der Improvisationsgefühle konnte anlässlich des Ohrenschmaus-Festivals im Neubad-Pool erlebt werden. Neben der Musik und den Musikformationen veränderten sich auch Konzept und Co. stetig. Wie Wasser, von Hagel über Regen bis Schnee. Von Stoph Ruckli

Glatt, klar, trüb. Tröpfeln, gluckern, spiegeln. Emulsion, Schmelzwasser, Überschwemmung. Adjektive, Verben, Nomen, die den Impro-Interessierten helfen sollen, Impro zu verstehen. Indem sie die Impro selbst mitgestalten. Diesen Grundsatz verfolgt das Ohrenschmaus-Festival, konzipiert vom Gitarristen Manuel Elias Büchel, ein ausgewähltes Projekt der Neubad-Aktion FKK (Frische Kunst und Kultur). Das Publikum erstellt sogenannte  Rezeptkarten mit wasserbezogenen Begriffen wie jenen zu Eingang dieses Textes. Umgesetzt werden jene Rezepte dann von zufällig zusammengensetzten Trios der hiesigen, jüngeren Improszene. Saxofon, Schlagzeug, Gesang, Geige, Cello, Piano, Gitarre, Bassklarinette, Fagott versprechen spannende Schöpfungen. Zur Krönung spielt an jedem Festivaltag ein Altmeister zum Solokonzert auf und versucht sich an den Ingredienzen; namentlich Thomas K.J. Mejer (reeds) am Freitag, Christy Doran (g) am Samstag und Gerry Hemingway (dr) am Sonntag. Wortwörtlich ein Wurf ins kalte Wasser für alle Beteiligten. Soweit die Ausgangslage.

Schon beim Eintreten in das ehemalige Hallenbad wurde man von einer Kunstaktion verzaubert; eine simple wie geniale Klanginstallation tunkte die Besucherschaft in eine ganz besondere Atmosphäre, mystisch und meditativ. Kaum verstummten die Klänge, sprang Organisator Büchel auf die Bühne, um in angenehmer Länge Ansprache, Dankesworte und Konzept vorzutragen. Es konnte sogleich losgehen. Vorneweg: Gerade das Konzept veränderte sich im Verlauf der drei Tage stetig. Beispielsweise performten  alle drei Improtrios am ersten Abend je einen Vortrag à 15 Minuten, tags darauf waren es dann zwei Durchgänge à je siebeneinhalb Minuten. Die Formationen waren bezüglich der Instrumente stets anders aufgebaut und auch die anschliessenden Einzelvorträge von Mejer, Doran und Hemingway liefen unterschiedlich ab. Es wurde also auch abseits der Klänge improvisiert, angepasst, gefeilt.

Doch was passierte denn nun im eigenen Kopf, als die Performances begannen? Vor allem traten Fragen auf: Rahmen die Begriffe zu fest ein oder geben sie spannende Inputs? Wie klingt überhaupt salzig? Destilliert? Auf jeden Fall eine schwierigere Aufgabe als Hagel oder Regen. Oder? Und wann klingt eine zufällig zusammengewürfelte Gruppe gut, wann nicht, Stichwort AMM? Fakt ist, dass die Leistungen der jeweiligen Ensembles am ersten Abend noch vergleichsweise klassisch schienen: leise – laut – leise, es schien eine Art neugierige Unsicherheit zu herrschen, wenngleich die Energie stetig zunahm. Am zweiten Abend wurde dieser Eindruck total über den Haufen geworfen, da sprudelte es plötzlich vor Spannung und Spielfreude, und selbiges schien auch am Sonntag der Fall, trotz Sonntagsmüdigkeit, inklusive Sonnenstrahlen. Normalerweise ist schon das Spiel in einer neuen Formation eine Schwierigkeit für sich, man kennt sich ja selten sehr gut. Plus Orientierung nach Begrifflichkeiten, plus eine spannende akustische Atmosphäre, plus Zeitrahmen, plus ein sich stets wechselndes Konzept und und und: Das war keine leichte Aufgabe, doch sie wurde von den Improvisator_innen sehr gut angegangen und umgesetzt.

Dieser positive Eindruck wurde aber noch getoppt – von den drei Altmeistern. Thomas K.J. Mejer am Freitag, Christy Doran am Samstag und Gerry Hemingway am Sonntag bewiesen, warum sie alle drei in ihren Bereichen zu den ganz Grossen gehören und die Impro-Szene Luzerns so unglaublich bereichern. Jeder dieser drei Ausnahmemusiker brachte neue Elemente ein und überraschte. Allein Mejers Kontrabass-Saxofon, eine Wucht für sich: ein geschätzt zwei Meter grosses Monster, von dem es angeblich gerade einmal 20 Stück auf der Welt gibt, 45 Kilogramm schwer, Listenpreis 60'000 Franken – der Klang erzählte den Rest; wie Mejer Schnee improvisierte (Stapfgeräusche aus dem Saxofon!) und überhaupt, wie klar erkennbar die Begrifflichkeiten waren, aufgeteilt in fünf Stücke: purer Genuss für die Zuhörerschaft, körperlicher Kraftakt für Mejer. Gitarrenlegende Christy Doran wiederum baute aus sieben Begrifflichkeiten ein riesiges Stück auf und spielte sich die Finger wild. Da kam von New Bag über OM bis zu Hendrix eine Vielzahl der Schaffenskraft des irischstämmigen Luzerners zu Tage, dessen Spielkunst auch heute noch unerreicht bleibt. Und schlussendlich Gerry Hemingway, der amerikanische Schlagzeugphilosoph, den man selbst stets an Improkonzerten der hiesigen Szene trifft, sofern er denn nicht auf Tour ist. Hemingway kann vom Tröpfchen bis zum Tsunami jegliche Energielevels verkörpern und tat das in einer unglaublichen Intensität auch im Neubad. Ein Glücksfall, wer dabei sass – allein die Interpretation des Wortes Regen gehört zum Besten, was die Improszene dieses Jahr geboten hat.

Dreimal Begeisterung dank einer dreimaligen Steigerungskurve: Impro-Imposanz zum Jahresabschluss. Es ist Büchel dabei hoch anzurechnen, dass er eine solch grosse Spannweite an luzernansässigen Musiker_innen diese Plattform geboten hat. Dementsprechend honoriert wurde dies von vielen bekannten Gesichtern der lokalen, ungemein interessanten Szene, die denn auch im Publikum zu vernehmen waren. Wäre so ein Anlass jedes Jahr machbar? Zu wünschen wäre es ihm. Denn genau so, wie der Ventilator Büchels Steinberger-Kunstinstallation nie zum Verstummen brachte, wird auch die Improvisation nie verstummen – und zu Zeiten von Härte sowie hitzigem Hass helfen, abzukühlen, zu erfrischen und sich wie das Wasser neue Wege zu erschliessen. Mit Offenheit, Mut, Spass und Zusammenarbeit.  

Ohrenschmaus-Festival-Line-Up

- Sara Käser, Cello - Noah Arnold, Altsax, Tenorsax - Christian Zemp, Gitarre - Elio Amberg, Tenorsax - Amadeus Fries, Schlagzeug - Vera Baumann, Gesang - Maude Cotton, Geige - Silke Strahl, Baritonsax, Sopransax - Mathilde Bigler, Fagott - Niklaus Mäder, Bassklarinette - Raphael Loher, Klavier - Clements Kuratle, Schlagzeug - Thomas K.J. Mejer, Kontrabass-Saxofon - Christy Doran, E-Gitarre - Gerry Hemingway, Schlagzeug & Perkussion - Marlen Stalder, Projektassistenz - Manuel Elias Büchel, Konzept, Organisation