Was verbirgt sich hinter den Gardinen?

Wie reagiert der Mensch in vollkommener Isolation? Wie fühlt sich ein Realitätsverlust an? Und was, wenn wir plötzlich vergessen werden? Die jüngste Zell:stoff-Produktion «Hinter Gardinen» liefert unbequeme Antworten auf unangenehme Fragen – am Mittwoch war Premiere im Südpol.

(Von Simon Meienberg)

Der Gong liess verstummen, was sich eben noch mit munterem Geschwätz an der Bar tummelte. Man betritt den Saal, setzt sich und ist gespannt. Die Stille scheint fast unerträglich, doch keiner wagt sie zu durchbrechen. Hat sich da gerade was bewegt? Nichts. Die erwartete Regung bleibt aus – vorerst. Denn kaum hat man sich an die Stille gewöhnt, da kriecht auch schon Max (Patric Gehrig) aus dem umgekippten Container. Ein Quadrat, drei Stühle, ein Tisch, drei Container, ein umgekippter und zwei stehende, und um das Ganze herum häuft sich der Müll. Das ist Max' Uniweltum, wie er es nennt. Sein lang ersehnter Schrebergarten, der so ganz und gar nicht in Vaters beengendes Gesellschaftsbild passen wollte. Isoliert vom Rest der Welt, deren Ansprüchen er nicht genügte, vegetiert Max im Trümmerhaufen seiner Psyche. Und das obwohl sein Vater alles daran gesetzt hatte, aus Max einen Mann von Welt zu machen. Einen, dessen goldene Worte Türen öffnen können. Türen, die vielleicht besser geschlossen bleiben, denn sind sie erst einmal geöffnet, gibt es kein Zurück mehr. Max' einziger Draht zur Aussenwelt ist ein Telefon, das sich durch ein schrilles Klingen anmeldet. Ansonsten gibt es kein Entrinnen aus der Einsamkeit. Der aufmerksame Betrachter wird zum Zeugen und vielleicht sogar zum Leidensgenosse eines Gefangenen. Anfangs bemüht Max sich rege um einen Dialog mit seinen imaginären Freunden aus dem Publikum. Seine verzweifelten Versuche bleiben jedoch unbeantwortet. Und so zieht er sich im Laufe des Stücks immer mehr zurück in die Isolation. Nur einige wenige Male bricht er aus, zumindest verbal. Doch bald findet er wieder zu seinen Selbstgesprächen zurück und schaut abermals zu seinem erfolgreichen Vater hoch. Ein Idol, dem er wohl nie entsprechen wird. Max' Gemütszustand schwankt unwillkürlich zwischen Wahnvorstellung, klarem Bewusstsein und in der Verrücktheit gipfelnden Kontrollverlusten. Seine Gedanken drehen sich vor allem um die eigene Kindheit, in der es sich dem Diktat der Gesellschaft zu unterwerfen galt, so wollte es der Vater. Geführte Gespräche mit seinen strengen Eltern suchen ihn mit verzerrter Stimme heim und lassen sein Leiden zumindest erahnen. Gewitzte Wortspiele und Sinnverdrehungen unterstützen den inneren Kampf mit dem Wahn. Das schwer zu begreifende Stück von Gitta Lehner lässt viel Raum für Interpretationen offen. Vielleicht ein bisschen zu viel. Das Publikum ist sich nicht einig und ein wenig verstört. Was symbolisieren die fliegenden Müllsäcke eigentlich? Wieso immer diese Abschweifungen in die Kindheit? Fragen, die vielleicht nur die Protagonisten beantworten können.

Weitere Aufführungen: FR 9. und SA 10. Dezember, 20 Uhr, Südpol Luzern