Was Kali im Innersten zusammenhält

Diesen Frühling erschien «Loom», das neue Album der Luzerner Jazz-Band Kali Trio – das aus bekannten Gründen erst jetzt getauft wird. Der Musikjournalist David Hunziker hat sich mit ihnen getroffen.

Streckenweise verläuft dieses Gespräch selber wie ein Stück des Kali Trios: Elemente treten in den Raum, erst mal abstrakt, vertiefen und entwickeln sich, bis alle sich darin finden, oder sie nehmen unmerklich eine Gestalt an, die vielleicht nur noch den Anschein erweckt, als würde es hier noch ums Gleiche gehen. Raphael Loher spielt Klavier im Kali Trio, Urs Müller Gitarre. Jetzt sitzen die beiden auf einer fast leeren Barterrasse in Luzern und steigen geduldig auf den Versuch ein, das zu beschreiben, was die Musik ihrer Band im Innersten zusammenhält. Manchmal wirkt das wie eine beharrliche Annäherung, dann wieder wie ein Kreisen um einen Punkt, der sowieso nie greifbar wird. Was ist das überhaupt, Musik? Nach einer halben Stunde ist Raphael Loher beim Kern der Sache angelangt. «Eigentlich wissen wir ja alle, wie man diese Akkorde spielt, aber dann hörst du einem wie Mark Hollis von Talk Talk zu, wie er nichts ausser A-Dur und D-Dur spielt, und du denkst: »Fuck, ist das geil!« Ich weiss nicht, was es ausmacht, man muss es, glaube ich, einfach meinen.»
Zum Kali Trio gehört auch der Schlagzeuger Nicolas Stocker, aber der macht gerade Musik in Berlin. Am liebsten wären sie zu dritt gekommen, das Trio ist eine Band im emphatischen Sinn: ein verbindliches Kollektiv, das sich aufmacht zu musikalischen Orten, die für das Vermögen und die Vorstellungskraft der Einzelnen unerreichbar sind. Doch nach über sechs Jahren, die sie nun zusammen spielen, scheinen sie sich auch sehr einig zu sein, worin diese Suche besteht. Der Gitarrist und der Pianist erzählen, wie das Trio in spielerischer Detailarbeit Strukturen reduziert, Patterns verdichtet und Sounds verschmilzt. Unglaublich viel Zeit brauche das, sagt Müller. «Schön, dass wir sie uns nehmen.»

Überlagerungen von Jazz und Technoclub
Etwas Zeit braucht es auch, um dem Kali Trio dabei zuzuhören, wie es seine verzahnten Grooves und Soundscapes entwickelt. Auf dem zweiten Album «Loom», das im Frühjahr erschienen ist, dauert nur ein Stück unter zehn Minuten. Aber die Musik darauf wirkt weniger fragmentiert und vertrackt als noch auf dem ersten Album «Riot» (2018). Die rhythmischen Figuren sind weniger und zugänglicher geworden, harte Brüche innerhalb der Stücke gibt es kaum mehr. Dafür tut sich hier eine Welt von unzähligen, subtil schattierten Sounds auf, sodass man beim Hören leicht vergessen kann, welches Instrument sich gerade wo befindet, überhaupt, dass diese massierte Einheit aus drei besteht. Obwohl die Musiker jeden der Sounds akustisch und in Echtzeit erzeugen, klingen diese an manchen Stellen prozessiert oder gar wie aus einem elektronischen Instrument. Das Kali Trio ist eine dieser Bands, die sich dort wohlfühlen, wo Jazz- und Technoclub sich überlagern.
Bevor es das Kali Trio gab, spielte und hörte Raphael Loher ein paar Jahre lang fast ausschliesslich frei improvisierte Musik, also solche, die möglichst ohne Leitplanken auskommen will. «Irgendwann hat das bei mir das Bedürfnis geweckt, wieder mehr songorientierte und produzierte Musik zu hören.» Aber vor allem hatte er, wenn er am Klavier sass, immer öfter das Gefühl, nicht mehr vom Fleck zu kommen, als würde er mit jeder Formation, auf die er sich einliess, wieder von vorne beginnen. «Ich wollte die Elemente einfangen, die mir beim Improvisieren einfielen, und sie mit anderen Musiker:innen bewusst entwickeln.»
Urs Müller hatte Ähnliches im Sinn, aber seine Sackgasse lag quasi auf der gegenüberliegenden Seite. Er hatte damals viele Aufträge als Sessiongitarrist und spielte die meiste Zeit nach klaren Vorgaben. Das mag zunächst überraschen, aber auch daran störte ihn der Individualismus. «Ich wusste mit der Zeit, welche Sounds ich in eine Formation einbringen kann, um ihre jeweilige Idee zu unterstützen. Aber es fehlte die Zeit, wirklich an der Materie zu arbeiten.»

Verzahnte Beziehungen
Also probten sie in den ersten zweieinhalb Jahren unaufhörlich, jeden Montag ab zehn Uhr morgens, bis sie nicht mehr stehen konnten. In der Vorbereitung aufs neue Album zog das Trio sich auch mal für drei Wochen intensiver Songarbeit in ein Bündner Seitental zurück. Ganze drei Jahre dauerte es, bis die vier Stücke schliesslich die Form angenommen hatten, in der sie nun auf «Loom» zu hören sind. «So etwas könnte ich alleine gar nicht komponieren», sagt Müller. «Auf dem Papier hätte ich wohl kaum den Mut, diese scheinbar monotonen Längen zuzulassen.» Auch noch während der Aufnahmen im Studio änderten sie Details, liessen vor allem Elemente weg. «Bei gewissen Tonabfolgen merkten wir zum Beispiel, dass sie eigentlich nur ablenken von den langen Bögen und Flows, die wir suchen», sagt Müller.
Ein eingespieltes Kollektiv bedeutet auch gegenseitige Abhängigkeit. Eindrücklich gemerkt hat Raphael Loher das in diesem September, als das Kali Trio nach mehreren probefreien Monaten wieder ein Konzert spielte. Über den Sommer hatte er viel Zeit alleine am Klavier verbracht und die Kali-Songs dabei zeitweise nicht mehr wiedererkannt. «Wenn du unsere Sachen alleine spielst, ergeben sie oft überhaupt keinen Sinn, weil wir die Sounds als Einheit entwickeln.» Es habe sich dann angefühlt, als würde er heimkommen, als er wieder mit den anderen auf der Bühne stand. «In diesem Moment wurde mir schlagartig klar, was wir hier machen.»

Plattentaufe
«Loom» von Kali Trio
DO 18. November, 21 Uhr
Südpol, Luzern


Text: David Hunziker
Foto: Simon Habegger

Dieser Beitrag erschien in der Novemberausgabe 11/2021 von 041 – Das Kulturmagazin.

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