Was haben Sie Gutes auf Erden getan?

Luzerner Theater, 12.01.2018: «Liliom» die gleichnamige Vorstadtlegende von Ferenc Molnár in der Inszenierung von Nina Mattenklotz zieht keine Grenze zwischen Gut und Böse. Sie durchbricht die Januardepression, zwar nicht durch fröhliche Thematik, sehr wohl aber durch eine gelungene Inszenierung.

Im Foyer riecht es nach Popcorn. Der Geruch führt bereits vor dem Theatersaal in eine Welt von Schiessbudenbesitzern und Ringelspielfahrten, in der sich sogleich Liliom und Julie finden werden. Liliom betritt die Bühne, noch bevor das Licht im Zuseherraum ganz erloschen ist. Das Publikum wird so zur passiven Gesellschaft erklärt, die sich nicht auf unschuldigen Theatersesseln verstecken kann.

Liliom

Auf dem Rummelplatz treffen Liliom und Julie aufeinander. Liliom ist ein Held der einfachen Leute, Ringelspielausrufer und scheinbar unentbehrlich für die Vergnügungsmaschinerie. Er und auch Julie leben am gesellschaftlichen Rand zwischen Glücksrädern und Zauberkünstlern. Ihre Liebe ist kaum zu begreifen, ist sie doch von der ersten Begegnung dominiert von Gewalt und das Glück unsichtbar. Als ebenso stille Öffentlichkeit versammeln sich auf der Bühne nach und nach illustre Figuren um den Mundharmonika spielenden Liliom. Ein Akkordeon setzt ein. Die Figuren wiegen sich zur Musik, während sie gegen Himmel blicken. Hinter ihnen fällt eine hellblaue Plane wie ein Vorhang zu Boden, wo sie sich bis zum Bühnenende erstreckt. Dahinter leuchten die Worte «Gott ist gut», in denen Kritik am gesellschaftlichen System mitschwingt. Eine Reihe weisser Plastikbänke zieht sich an den Bühnenenden links und rechts ins Unendliche und vermittelt ein Gefühl der Auswegslosigkeit. Das Bühnenbild nimmt keine Klischees auf. Die Jahrmarkt-Ästhetik, die notwendig ist, um Tragik und Komik so untrennbar zu vereinen, wie es in «Liliom» passiert, wird feinfühlig durch Akkordeonmusik und Leuchtschrift erzeugt. Doch steht diese liebliche Romantik in Kontrast zu den Szenen, in welchen Liliom zuschlägt. Auf der Bühne wird drastisch Brutalität und sexuelle Gewalt dargestellt. Immer wieder fragt man sich, warum Julie Liliom nicht verlässt. Darauf gibt die Inszenierung keine Antwort. Gut und Böse werden nicht in Kategorien eingeteilt, sondern als Kräfte verstanden.

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Als Liliom seine Anstellung als Ringelspielausrufer verliert und Julie sein Kind erwartet, überredet ihn sein Taugenichtsfreund Ficsur zu einem Raubüberfall. Liliom scheitert nicht nur, sondern nimmt sich noch am Tatort das Leben. Julie, die das ganze Stück über mit Stärke Liliom erträgt und zu ihrer Liebe steht, findet durch seinen Tod schlussendlich eine Art Erlösung, in der sie taumelnd von der Gesellschaft nicht aufgefangen wird. Im Takt stampft diese Gesellschaft auf den Boden, versammelt sich wie zu Stückbeginn auf der Bühne – mit einem kleinen Unterschied: Der Blick ist nun anklagend ins Publikum gerichtet. Das Drama liegt nicht allein darin, dass Liliom Julie schlägt, sondern dass das System dies zulässt.

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Liliom findet sich vor dem höchsten Gericht wieder und bekommt eine letzte Chance. Er soll etwas Schönes für seine Tochter tun. Mit einem vom Firmament geklauten Stern darf er wieder zur Erde, um seine Gewissensprüfung post mortem abzulegen. Er schlägt sein Kind. Der Antiheld findet in seinem Zwiespalt, Gutes tun zu wollen, aber es nicht zu schaffen, nicht mal einen Ausweg, indem er sich das Leben nimmt. In diesem unausweichlichen Kreislauf wird es dunkel, nur der Stern leuchtet von der Bühne ins Publikum.

Ein Liliom ist nur möglich, wenn die Gesellschaft ihn braucht. So klagt das Stück das System an, in dem Menschen einen Platz finden müssen und ununterbrochen an dem Karussell drehen.

 

Team

Inszenierung: Nina Mattenklotz
Bühne: Johanna Pfau
Kostüme: Lena Hiebel
Licht: Clemens Gorzella
Dramaturgie: Friederike Schubert

Besetzung

Jakob Leo Stark (Liliom)Wiebke Kayser (Julie/Luise) Verena Lercher (Frau Muskat) Stefanie Rösner (Marie) Christian Baus (Ficsur) Lukas Darnstädt (Wolf Beifeld) Yves Wüthrich (Hollunder) Adrian Furrer (Linzmann/Konzipist) Michel Kopmann (Der Schutzmann) Luzian Jenny (Akkordeon)

Weitere Aufführungen noch bis am 7. April unter www.luzernertheater.ch/liliom

 

Bilder: Ingo Hoehn