Warten auf Antworten

Kleintheater, Luzern, 15.05.2018: Die Theatergruppe Zell:Stoff geht in ihrer neusten Produktion «Nach der Arbeit» einer schwierigen Frage nach, ohne Antworten zu versprechen. Eine packende, düstere Reise zu einem unbekannten Ort, die im Kleintheater beginnt und dort auch endet.

Fotos: Ingo Höhn

Man steht vor dem Kleintheater an der Bushaltestelle, wartet auf den Bus. Vielleicht hat man vorher schon öfter genau an dieser Stelle auf den Bus gewartet. Aber bestimmt noch nie, ohne zu wissen, wohin er einen fahren wird. Der leere Bus kommt, man steigt voller Spannung ein und stellt sofort erstaunt fest, dass da Musik läuft. Den zuvor im Theater erhaltenen Kopfhörer schiebt man nun etwas zur Seite, um dem Radio zuzuhören, das ungewohnterweise im Bus läuft. So beginnt das neue Stück der Theatergruppe Zell:Stoff.

Während der Fahrt zum eigentlichen Spielort wird der Rahmen für «Nach der Arbeit» gesetzt. Eine Sondersendung im Radio. Eine Meldung, wie man sie leider bestimmt schon mal gehört hat. Ein Mann hat seine Familie und dann sich selbst umgebracht. Verschiedene Experten werden hinzugezogen, um ihre Meinungen kundzutun. Der Bus hält an einer fiktiven Bushaltestelle, welche auch als Kulisse für das Stück dient.

Die Theatergruppe Zell:Stoff geht in ihrer zehnten Produktion einer schwierigen und auch unangenehmen Frage nach. Was treibt einen Menschen dazu seine ganze Familie auszulöschen? Oder genauer: Was treibt einen Mann dazu? Und wie soll man über solch eine Tat überhaupt sprechen? Das Stück beginnt mit der Tat, die immer nur angedeutet wird, und lässt Szenen aus dem Leben des Täters Revue passieren.

Man ist dabei, wenn der Protagonist Reto – leitender Angestellter, verheiratet, zwei Kinder – mit seiner Kündigung konfrontiert wird. Man sieht ihn daran zerbrechen. Man ist bei seinen Therapiesessionen dabei, bei Erinnerungen an ein Ereignis aus seiner Kindheit. Es wird überall nach Gründen gesucht.

Hat es mit der Leistungsgesellschaft zu tun, die keinen Wert auf diejenigen legt, die ausgesetzt worden sind? Geht es um die Angst, seinen Status, seinen Lebensstandart zu verlieren? Sein Gesicht zu verlieren? Hat es mit einem idealisierten Männerbild zu tun, das Stärke als wichtigste Eigenschaft sieht? Eine toxische Maskulinität, die das Hilfesuchen, das Hilfe brauchen als Schwäche verspottet? Laufend werden auch andere Perspektiven hinzugezogen. Freunde, Nachbarn, und Bekannte werden befragt, aber auch sie haben das alle nicht kommen sehen.

Zell:Stoff

Dabei schlüpfen die drei Schauspielenden (Patric Gehrig, Julia Schmidt, Jürg Plüss) in alle Rollen. Nur in der Figur des Reto überschneiden sie sich. Dabei zeigen sich alle äusserst facettenreich und erschaffen mit einer beeindruckenden Subtilität in kürzester Zeit dreidimensionale Charaktere. Erfrischend, ohne Pathos, glaubwürdig, faszinierend.

 

Die Technik scheint hier einen wichtigen Beitrag zu leisten, da der Umstand, dass man die Worte direkt über den Kopfhörer ins Ohr bekommt, viele Möglichkeiten eröffnet. Man fühlt sich den Figuren sehr nah, und die eingespielten Effekte ziehen einen noch tiefer in diese Welt hinein. Auch die Grossaufnahmen der Figuren, die immer wieder auf die Bushaltestelle projiziert werden und deren Innenleben suggerieren, schaffen Empathie.

 

In jeder Szene hängt man den Figuren an den Lippen. Gerade weil man genau weiss, wie diese Geschichte ausgehen wird, wirkt jeder Moment wichtig und scheint unausweichlich zum nächsten zu führen. Und dann steht der Bus wieder da, man steigt ein, und wird vom Ort des Geschehens, der geheim bleiben soll, wieder zurückgefahren. Die Sondersendung im Radio als Addendum. «Nach der Arbeit» gibt zwar keine klaren Antworten. Diese gibt es nicht. Aber das Stück stellt Fragen, über die es sich nachzudenken lohnt.

 

Mitwirkende:

Text: Dominik Busch
Regie: Sophie Stierle
Spiel: Julia Schmidt, Patric Gehrig, Jürg Plüss
Bühne und Kostüm: Saskya Germann
Video- und Tondesign: Kevin Graber
Tontechnik: Jon Gyr
Licht: Alessandro Paci
Produktionsassistenz: Madleina Cavelti
Produktionsleitung: Boss und Röhrenbach

 

Weitere Vorstellungen: 17./18./23./24./26. Mai 2018, jeweils um 20.30 Uhr, und bei jeder Witterung im Freien.

Weitere Informationen unter www.zell-stoff.ch

Tickets unter www.kleintheater.ch/tickets#online-tickets