Von Zitat bis Applaus – Ein Wörterbuch

Luzerner Theater, 25.10.2015: «Schreiben und Anordnen von Wörtern bzw. Textsorten sind jene Kunstgriffe, welche mich am meisten zu faszinieren vermögen. Deshalb begeistern mich immer wieder die Arbeitsweisen der Dramaturgieabteilung, insbesondere wenn es um das Zusammenstellen eines Programmheftes geht. Im Falle der gestrigen Inszenierung ist es der Dramaturgie ganz besonders gelungen, mein Entzücken zu erwecken. Mit einer Aufzählung von Stichpunkten zum Musical Sweeney Todd wird dem Publikum Hintergrundwissen vermittelt, alphabetisch geordnet, wie in einem Wörterbuch. Mir gefiel diese Idee so gut, dass ich entschieden habe, die Form (auch wenn etwas abgeändert) für meine Rezension zu übernehmen und hoffe auf Ihr Verständnis, lieber Christian Kipper.»

(Bilder: Tanja Dorendorf)

Zitat: «Es wird furchtbar!» Mit diesen vielversprechenden Worten seitens des Regisseurs Johannes Pölzgutter beginnt der Premierenabend im Luzerner Theater. Todd, Sweeney: Wer kennt ihn nicht, den grausamen Barbier der Fleet Street? Als Benjamin Barker in die Verbannung getrieben, taucht ebendieser nach fünfzehn Jahren Australien wieder in London auf – mit nur einem Gedanken: Rache an Richter Turpin, den er für sein Schicksal verantwortlich macht. Pölzgutter, Johannes: Ein Wiener, ein Musiktheaterregisseur und immer wieder mal zu Gast in Luzern, inszeniert das Musical «Sweeney Todd» am Luzerner Theater. Populärkultur: Einmal mehr hat mich die Macht der Populärkultur überrascht: Johnny Depp als Barbier und Helena Bonham Carter als Mrs. Lovett. Erstaunlich wie das menschliche Hirn in Bildern denkt, die einem mittels der Hollywood-Maschinerie sorgfältig aber unerschütterlich infiltriert werden. Pastete: Nicht wegzudenken aus der Geschichte! Mrs. Lovett verarbeitet im Verlaufe der Erzählung unzählige Menschen (die vorher vom Barbier gelyncht wurdern) zu Pasteten, dreimal durch den Fleischwolf gedreht, dann werden sie besonders zart. Ein grosses Kompliment an Marie-Luise Dressen für die überzeugende Darbietung der Rolle! Musik: Immer wiederkehrende Melodien, melancholische Passagen und kraftvolle Lieder machen die Musik von Sweeney Todd unvergesslich. Unter der Leitung von Florian Pestell brillierte das Sinfonieorchester einmal mehr und verzauberte ohne Frage das anwesende Publikum mit seinem Können. Musical: Basierend auf dem 1842 erschienenen Drama «Sweeney Todd, the Barber of Fleet Street» wurde die Geschichte 1979 erstmal als Musical am Broadway gezeigt und ist seitdem weltweit auf den Bühnen zu sehen. Kostüme: Kontraste und liebevolle Details machten den Abend auch zu einem visuellen Vergnügen. Das schlichte Grau des Chors und die schrillen Töne der Hauptfiguren ergänzten einander nicht nur, sondern widerspiegelten auf einer weiteren Erzählebene die gesellschaftliche Struktur Londons. Humor: Trotz des Blutrausches und den von jeglicher Tugend losgelösten menschlichen Antrieben, tauchen immer wieder sehr humorvolle Szenen auf. Die groteske Färberei eines so düsteren Themas zählt zu den grossen Stärken des Musicals und wurde von den Protagonisten und Protagonistinnen grandios zum Besten gegeben. Dibdin Pitt, George: Autor des Dramas «Sweeney Todd, the Barber of Fleet Steet», erschienen im Jahr 1842 und die Grundlage für die erste Musical Version.

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Deutsch: Huch, Deutsch! – Das war mein erster Gedanke und auch mein Letzter. Ich hätte es mir sehr auf Englisch gewünscht, und obwohl ein paar richtig tolle deutsche Wortspiele versteckt waren, wurden sie von den unübersetzbaren Stellen («Ich spüre dich, Johanna») in die Flucht geschlagen. Dauer: Die Zeit, die liebe Zeit. Zwei Stunden dreiviertel sind lang. Trotz der Pause. An dieser Stelle kommt wahrscheinlich mein grösster Kritikpunkt ins Spiel: Das muss kürzer gehen! – sagen meine Ungeduld und Konzentrationsfähigkeit. Burton, Tim: Regisseur der berühmten Verfilmung aus dem Jahre 2007, basierend auf der Broadway-Produktion von 1979. Burton besetzte die beiden Hauptrollen mit niemand Geringerem als Johnny Depp und Helena Bonham Carter, welche zweifelsohne zu Kultfiguren wurden. Bühne: Welch wunderbare Bühne! Schlichtheit und Leere dominierten im Stadttheater, herrlich viel Platz und doch nichts, wohinter man sich verstecken könnte. Diese Tatsache forderte sehr viel Können auf der performativen Ebene, welche jedoch in gewissen Momenten in der Weite dieser Bühne verloren zu gehen drohten. Barbier: Todd Boyce hatte es als Sweeney Todd schwer gegen das stigmatisierte Bild Johnny Depps anzukommen, überzeugte jedoch schlussendlich nicht nur auf Grund seines gesanglichen Könnens. Ästhetik: Tim Burton hätte es wohl gefallen! Obwohl auch in Luzern mit Blut nicht gespart wurde, ähnelte der Blutrausch, wie auch bei Burton, einem ästhetisch hochstilisierten Gesamtbild, das sich ganz klar von der grausamen Realität abgrenzte. Applaus: Ein tosender Premierenapplaus zum Schluss, jubelnde Zurufe und leuchtende Augen als Lohn für eine sehr aufwendige Produktion. Und Johannes: So furchtbar war’s nicht!

Vorstellungen noch bis MI, 3. Februar 2016, am Luzerner Theater.