Von Wucht zu Intimität

Südpol Kriens, 17.2.2019: Ein Abend geprägt von Synthesizern, Drumpads und zwei ganz verschiedenen Bands. Tender lässt nur allzu bekannte Welten erklingen. Mitwippen, sich treiben lassen in den elektronischen Klängen einer schlaflosen Nacht. Oder der pure Gegensatz von Mensch und Computer bei Namaka. So unterschiedlich kann Elektropop sein.

Vor spärlichem Publikum tritt Namaka auf die Südpol-Bühne. Das Schweizer Elektropop-Trio lässt sich davon nicht beeindrucken, legt direkt mit voller Power los. Eine Wand von elektronischen Klängen, dessen Wucht einen fortzublasen droht. Energiegeladene, drängende Beats, eine Mischung aus Schlagzeug und Drumpad, fette Synthesizerteppiche. Und darüber die klare, präzise Stimme von Sophie Adam. Sie nennt Björk selbst als einen ihrer wichtigsten Einflüsse, was deutlich zu hören ist. Das Künstliche, Harte, Computerhafte, gepaart mit warmem, menschlichem Gesang. Diese Mischung lässt die Stimme zwischenzeitlich zerbrechlich wirken, als müsste sie aus der Wucht der Musik gerettet werden.

Namaka

Doch im nächsten Moment thront sie wie eine Herrscherin auf der Elektrowelt. Oder schlängelt sich zielsicher durch die diversen Klangflächen. Eine Machtdemonstration der Menschlichkeit. Spätestens ab dem Moment, als Adam die Besucher*innen näher bittet, kommt Stimmung auf und die Energie der Musik springt langsam aber sicher über – immer überzeugterer Applaus, auch bedingt durch die zahlreicher werdenden Gäste. Elektronische Klänge mit einer Schärfe, Kraft und Unausweichlichkeit, als durchdringe sie einen bis ins Innerste, verstecken oder davonlaufen geht nicht. Die EP «Apron Ties» (2017) wurde kurz nach der Veröffentlichung von Radio SRF zum Album der Woche gekrönt. Und schon bald soll ihr erstes Album erscheinen… also haltet die Ohren spitz!

Songs wurden zu Serien-Soundtracks

Nach einer längeren Umbaupause: Bühne frei für den Hauptact des Abends – Tender. Feine Songs von Liebe und Nähe, Unsicherheiten und Zweifeln. Das nun grosse Publikum stand schon lange vor Konzertbeginn an den Bühnenrand gedrängt und wippt vom ersten Ton an begeistert mit. Der Leadsänger James Cullum offenbart mit seiner feinen Stimme intime Momente, die wohl vielen nur allzu bekannt sind: komplizierte Beziehungen, die nicht genügen. Wie aus ursprünglichen Gefühlen der Zuneigung Abhängigkeit entsteht. Auf der anderen Seite Lust, Selbstzweifel, Angst.

Auf ihrem zweiten Album «Fear of Falling Asleep» (Januar 2019) wird deutlich, dass diese Empfindungen für Tender im Moment direkt vor dem Einschlafen am stärksten sind. Im Dunkeln im Bett, Zeit zu schlafen, genau dann erscheint alles noch viel grösser als bei Tageslicht. Diese einerseits erotische, andererseits zweifelnde, ambivalente Stimmung bringt Cullum mit seinem nachdenklichen, leicht betrübten Blick und einer Stimme, die allerdings Schlafzimmercharakter hat, authentisch auf die Bühne. Einige Fans flüstern die Lyrics leise mit, die Pärchen bringen die Schlafzimmerstimmung aus den Songs live auf die Bühne.

Einigen mögen die Lieder bekannt erscheinen – die Musik ist in diversen Filmen und Serien zu hören, beispielsweise in «How To Get Away With Murder» oder «To All The Boys I've Loved Before». Das Duo (James Cullum und Dan Cobb) wird live von einem Bassisten und einem Drummer unterstützt. Dies gibt den Songs Druck, Spannung und Power. Denn es sind keineswegs ruhige Klagelieder zum Einschlafen, vielmehr ist darin Unruhe und Angespanntheit zu spüren. Die Musik hat etwas Düsteres, doch sie bietet sich ebenso an um einzutauchen und mitzuschwimmen, sich tragen zu lassen von den erschaffenen Chill-Vibes.

Wie eine trostspendende Umarmung

Die sanfte Stimme singt persönliche Lyrics, mal ausgestellt, mal eingebettet in Synthwolken und -melodien. Klare Gitarrenlinien, gepaart mit dem antreibenden, strukturgebenden Beat von Bass und Drum, das scheint das Rezept von Tender zu sein.

Tender

Zu den vielen kreativen, abwechslungsreichen und berührenden Songs gesellen sich aber einige, die wenig Neues mit sich bringen. Doch es sind Songs, mit welchen man sich identifizieren kann, sich verstanden fühlt. Die leicht zugängliche Musik spendet Trost, ist wie eine Umarmung in Momenten der Einsamkeit. Das Bedürfnis danach? Absolut vorhanden. Die Begeisterung dafür? Ebenso. In gemütlicher Stimmung mit zufriedenen Gesichtern begaben sich die Besucher*innen in den Ausgang, oder nach Hause. In die beängstigende Dunkelheit vor dem Einschlafen? Falls ja, dann wenigstens mit passender Musik.