Von tiefen Tiefen und hohen Höhen

Normalerweise werden die Demotape-Clinic-Awards am m4music Festival mit grossem Applaus plus Bühnenauftritt verliehen. Als die Luzerner Band Yet No Yokai dieses Jahr in der Kategorie «Rock» den ersten Preis absahnte, war da kein Getöse. Nur ein Telefonanruf.

Bilder: zVg

«Wo einst der Alltag lebte und dann die Erde bebte» lauten die ersten Zeilen des Tracks «Fahrenheit» der psychedelischen Krautrockband Yet No Yokai. Die Lyrics des 2019 erschienen Songs passen erschreckend gut zum Pandemie-Ausbruch. Wo einst das gesellschaftliche Leben, Kultur und Konzerte stattfanden, herrscht dieses Jahr gähnende Leere. Ein Hauch Apokalypse.

Yet No Yokai, das sind Thomas Seidmann, Samuel Birrer und Simon Pfister. Sie kennen sich seit dem Kindergarten. Am 27. April hat das Trio nun den prestigeträchtigen Demotape-Clinic-Award des Zürcher Szeneevents m4music 2.0 gewonnen. 2.0 deshalb, weil das Festival in diesem Jahr nur online stattfinden konnte. 3000 Franken Preisgeld gab’s trotzdem, einfach ohne die 6000 erwarteten Besucher*innen. Zwei Tage nach der frohen Botschaft habe ich Sänger, Gitarrist und Songschreiber Thomas Seidmann selbst am Hörer:

Herzliche Gratulation zu eurem Award! Warst du überrascht, als ihr gewonnen habt?

Ja, der Sieg kam wirklich unerwartet. Ich war extrem überrascht, wir alle, und das Ganze wirkt immer noch total surreal. Ich kann es ehrlich gesagt immer noch nicht fassen. Im Moment nehme ich bestmöglich Abstand von Social Media.

Thomas Seidmann von Yet No Yokai
Für Thomas Seidmann ist das Glas gerade übervoll.

Warum?

Ich habe meinen Bezug zur Musik in den letzten paar Wochen ins Positive geändert. Eigentlich gilt das auch für mich selber. Es ist so viel passiert in den letzten Tagen, dabei habe ich gemerkt, dass mich diese konstante Suche nach Bestätigung einfach nicht weiterbringt. Bis vor Kurzem war ich ziemlich perfektionistisch und eigentlich auch immer unzufrieden mit Endprodukten. Jetzt arbeite ich viel intuitiver. Es mag vielleicht plump klingen, aber ich versuche einfach mehr, meinem Herzen zu folgen. Ich muss niemandem mehr etwas beweisen, auch mir selbst nicht.

Wurmt’s dich, dass das m4music Festival nur online stattgefunden hat? Yet No Yokai bekommen dadurch ja sicher viel weniger Aufmerksamkeit.

(Erstaunt) Ob es mich nervt?

Ja.

Nein, das nervt mich überhaupt nicht! Im Gegenteil, alles ist grad so wunderschön. Ich bin wirklich sehr dankbar. Wir versuchen das Beste herauszuholen, denn so was ist eine einmalige Chance.

Siehst du das Glas momentan also eher halb voll als halb leer?

Das Glas überläuft gerade! (lacht)

«Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft in dieser Zeit merkt, wie wichtig Kultur ist.»

Warum ist eure Musik so düster? Die Apokalypse ist ja scheinbar euer Lieblingsthema.

In der Zeit unserer letzten EP «Post Apocalyptic Promenade, Pt. 2» faszinierte mich die dunkle Seite der Gesellschaft. Für jedes hohe Hoch braucht’s ein tiefes Tief. Es kann nur höher werden, wenn es vorher tiefer war. Ich versuchte, in dieser Dunkelheit Hoffnung zu geben. Gerade «Fahrenheit» symbolisiert für mich Zuversicht und Vertrauen. Vielleicht merkt man das nicht an den Lyrics. Aber alle sollen ohnehin lieber ihre eigene Quintessenz aus unseren Stücken ziehen.

Fördert der Lockdown deiner Meinung nach die Kreativität?

Ja, es fördert bestimmt die Kreativität der oder des Einzelnen. Im Kollektiv scheint sie nach aussen hin eingedämmt zu sein, aber es ist gut, dass sie eingedämmt wird. Die Leute sollen sich bewusst werden, wie es ist, wenn keine kulturellen Anlässe stattfinden. Wie es ist, wenn nichts mehr ist. Keine Konzerte, keine Veranstaltungen. So sieht man nämlich erst, was fehlt. Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft in dieser Zeit merkt, wie wichtig Kultur ist. Das Schlimmste wäre, wenn es so weitergehen würde wie vorher. Etwas muss gehen, und etwas wird auch gehen.

Proben können Yet No Yokai im Moment nicht, Seidmann gehört zur Risikogruppe. Trotzdem veröffentlichten die drei Luzerner am Freitag ihre neue EP «Sonnenberg». Und es kommt sicher bald mehr: «Ich habe auch zum jetzigen Zeitpunkt sicher 50 Projekte auf meinem Computer, die darauf warten, endlich abgeschlossen zu werden.», so Seidmann Die drei Tracks «Vagus», «Bild von einem Garten» und «Harmageddon» hatten Glück: Sie wurden vollendet. Für die anderen hat Thomas Seidmann ja jetzt Zeit zur Genüge.

Yet No Yokai: Sonnenberg (Fuzztronaut Records)

Yet No Yokai sind:
Thomas Seidmann - Produktion, Gesang, Gitarre, Synthesizer & Lyrics
Samuel Birrer - Schlagzeug, Perkussion, Hintergrundgesang

Simon Pfister - Bass