Von einer Heimkehr und Kehricht

Südpol, Kriens, 17.05.2018: Im Rahmen der «Heimspiele», dem Festival der lokalen freien Theater- und Tanzszene, präsentierten Agglo Nord ihr erstes Bühnenstück «Heimkehricht». Stand-up-Comedy mit Tiefgang, so überraschte das Theaterkollektiv die Leute im vollen Saal der mittleren Bühne und feierten eine erfolgreiche Premiere.

Bilder: Ralph Kühne

Urs Stämpfli und Marion Tuor bilden zusammen das Theaterkollektiv Agglo Nord, zu dem sie sich wegen ihren gemeinsamen Interessen an Theater und Film formierten. Neben dem aktuell aufgeführten Stück entsprang auch der Kurzfilm «Pyrohans» aus ihrer Zusammenarbeit. Heute leben Stämpfli und Tuor zwar grösstenteils in Berlin, stammen jedoch beide aus der Agglomeration um Luzern und Zürich. Agglo ist Agglo: Es sind dieselben alltäglichen Geschichten, trotz unterschiedlichen Städten. Dies ist wohl auch das Geheimnis ihrer erfolgreichen Zusammenarbeit und des gegenseitigen Verständnisses. Die Aufgabenverteilung ist meist klar: Tuor macht die Regie und strukturiert den Text, Stämpfli inszeniert. Am Dramaturgischen sind jedoch beide beteiligt. Das Wortspiel «Heimkehricht» lässt erahnen, um was es sich im Stück handelt: Da wäre zum einen die mehr oder weniger angenehme Heimkehr nach Hause ins Elternhaus, zum andern das Loslassen und Sich-Trennen von Altem. Themen, mit denen jedermann und jedefrau früher oder später im Leben konfrontiert wird.

Das Bühnenbild erschien minimalistisch. Ein Tisch und Stuhl, Staubsauger und Ballons, Ikea- und Bananenkisten sowie ein Schlitten. Mehr brauchte es nicht, um im ersten Akt einen Krienser Estrich und im zweiten Akt das Krematorium im Friedental anzudeuten. So blieben dem Publikum genügend Raum für eigene Interpretationen – Estrich ist Estrich. Dies sei auch die Absicht, meinen Agglo Nord im Interview mit null41.ch. Die Zuschauer*innen können so ein kleines Stück von sich selbst in dieser Geschichte wiederfinden. So schildert Stämpfli in einer Binnenerzählung Anekdoten über das Leben des Protagonisten Eddy. Darunter eine Hassliebe zu einer Katze und der nervtötende Krach vom Pfahlrammen auf der Baustelle nebenan, und eine Auseinandersetzung mit der Demenzkrankheit vom eigenen Vater. Gleichzeitig erhielt das Publikum in einer Rahmenerzählung Einblicke in die Entwicklung des Stücks selbst.

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Ob autobiografisch oder fiktional, dies sei dahingestellt. Auf jeden Fall wirft die universelle Vaterfigur in «Heimkehricht» viele grosse Fragen bezüglich des Lebens auf und scheint das Zentrum zu sein, um das sich die Erzählung dreht. Das immer wiederkehrende Narrativ eines vehementen Baggerunfalls am Pilatus und der Verlust einer geliebten Person lassen gewisse Parallelen erkennen, die zeigen, dass ein Bruch im Leben ganz unerwartet eintreffen kann, meint Stämpfli im Interview. Für den routinierten Schauspieler schien das Einmannstück im Dialekt ein Leichtes, gekonnt schlüpfte er einmal in die Rolle von Eddy, dann in die des Vaters und kehrte wieder zurück zur eigenen Erzählfigur, Stämpfli selbst. Ein erschütternder lauter Knall ertönte zwischen dem ersten und zweiten Akt und erinnert an den lauten Lärm vom Pfahlrammen. Das ganze Leben gleicht einer Baustelle. Dinge werden aufgebaut oder krachen urplötzlich zusammen. Der Tod des Vaters hinterlässt ein emotional grosses Loch. Das Gefühl von Trauer steigt auf. Wie geht man damit um? Wie zeigt man seine Gefühle anderen gegenüber? Wie stellt man Gefühle als Schauspieler*in dar? Darf der Tod einer verstorbenen Person zu eigennützigen Zwecken an einem Casting oder einer Theaterperformance dazu verwendet werden? «Heimkehricht» thematisierte somit auch moralische Themen, die im (Theater-)Alltag ebenfalls eine grosse Rolle spielen.

Während den ganzen 60 Minuten Spielzeit erklang keine Musik, abgesehen von Mani Matters «Eskimo», das von Stämpfli a capella gesungen und dessen Text auf Eddy zugeschnitten wurde. Die Darbietung erschien aber trotzdem alles andere als eintönig. Denn ab dem zweiten Akt erschienen im Hintergrund der Bühne Videosequenzen. Flammen und brennende weisse Überbleibsel lassen auch hier dem Publikum wieder genügend Interpretationsraum offen, wiesen mit der Zeit jedoch unverkennbar auf die Örtlichkeiten des Krematoriums hin. Die düstere Stimmung wurde durch einen Zusammenschnitt von amateurhaft gefilmten Baggern durchbrochen, die von Felswänden stürzten oder in Flüssen versanken. Es erinnerte ein wenig an eine Pannenshow oder an Katzenvideos im Internet.

Das Kollektiv Agglo Nord spielt im Stück «Heimkehricht» mit verschiedenen Brüchen auf inhaltlicher und formaler Ebene. Häufige Wechsel zwischen witzigen und traurigen Szenen und zwischen den verschiedenen Ebenen von Rahmen- und Binnenerzählung seien ganz bewusst eingesetzt worden, erzählen Tuor und Stämpfli. Welche Elemente nun aber autobiographisch oder frei erfunden waren, wollten sie nicht preisgeben. Fest steht jedoch: Der Sturz des Baggers am Pilatus geschah wirklich. Jedoch verkeilte sich dessen Baggerarm in einem der Felsen, so dass der Fall in die Tiefe verhindert und der portugiesische Fahrer nicht verletzt wurde. «Heimkehricht» ist ein Stück, das zum Nachdenken anregt, dem es aber auch nicht an Humor fehlt. Damit legten Stämpfli und Tuor auch in ihrer Heimat einen erfolgreichen Bühnenstart hin.