Von der Kapelle in den Club, von Korea nach Kamerun

Stans ist nicht immer Stans und kann schon mal Niederrickenbach sein. Und im Ort selber ist seit Montag geballte Musik zu erleben bei der 18. Ausgabe der Stanser Musiktage (SMT). Erste Impressionen inklusive einem einsamen Höhepunkt.

Sonntag, 15.4.: Die Gnadenkapelle liegt natürlich gar nicht in Stans, sondern ist hoch droben auf Maria Rickenbach, das man per blaues Bähnli erreicht. Mehr als 250 Personen nutzen zum Auftakt der Stanser Musiktage das luftige Verkehrsmittel, um in Nieselregen und Nebel einzutauchen. Droben in der Gnadenkapelle (mit den schönen Ex-Votos-Bildern an den Wänden) dann Gäste aus Südkorea/Schweden bzw. Paris. Youn Sun Nah, die Sängerin, tritt mit ihrem Duopartner Ulf Wakenius an der bravourös gespielten akustischen Gitarre an. Es ist Fragiles, aber auch tüchtig Expressives, das hier geboten wird. Immer ureigenen interpretiert, gelangt nebst Selbstkomponiertem und Traditionellem Songmaterial von Leuten wie Nat King Cole, Rodgers/Hammerstein II, Egberto Gismonti, Léo Ferré oder Tom Waits zu Gehör. Formidabel, möchte ich sagen. Einmal fragt sie in den Kirchenraum (auf Englisch), ob heute Abend Koreaner hier sind. Es sind. «We are everywhere.» Sie kann auch dies: eine für einmal unpeinliche Coverversion der Randy-Newman-Nummer «Same Girl» (gleichzeitig Titel ihres letzten Albums) bringen. Der  Album-Opener kommt in der Gnadenkapelle ganz zum Schluss, Gitarrist Wakenius hat sich schon verabschiedet. Youn Sun Nah dreht die Musikbox-Kurbel, was Pling-Klänge erzeugt, und singt dazu, während sich der lange Lochstreifen aufspult.

Montag, 16.4.: Wieder ein sakraler Raum (Kapuzinerkirche), wieder säkuläre Musik. Diesmal aus dem Balkan, hier zur Abwechslung völlig Brass-frei. Die Teofilovici Brothers aus Serbien sind gar Zwillinge: Ratko und Radisa haben «nur» ihre Stimmen dabei (und zwischendurch eine Trommel) und singen zweistimmig von ihnen in langer Forschungsarbeit gesammelte Lieder aus Serbien, Mazedonien, dem Kosovo und aus Bosnien. Manchmal gibt’s auf Englisch kurze Erklärungen zu einzelnen Liedern, anderes «erklärt» sich von selbst. Hochzeitslieder, Liebeslieder sind es, und sogar das Schöne tönt hier ergreifend traurig und umgekehrt, eine Weh- und Schwermut legt sich angenehm um diesen eindringlichen vokalen Vortrag, der lange nachhallt.

Im Kollegi St. Fidelis ist Juliette angesagt. Die Madame mit maghrebinischem Migrationshintergrund, aufgewachsen in der Pariser Banlieue, pflegt, ausser der theatralen und sprachlichen Komödiantik, die Chanson-Kultur. Stimmgewichtig geht es von der korpulenten Sängerin durch ein Programm mit Augenzwinkern und inszenatorischen Scherzen (dazu gehört auch die Präsenz eines schwarzen Sofas und eines Vogelkäfigs). Die Band ist nur zu sechst, scheint aber ein ganzes Orchester zu sein. Die Musiker (wie die Sängerin in gewöhnungsbedürftigen Design-Textilien) geben sich die Instrumente in die Hand im fast steten Wechsel, der Pianist kann auch Vibrafon und Blockflöte, der Akkordeonist spielt Trompete und Perkussion usw. Es sind in den raffiniert-effektvollen Instrumentierungen wohl an die zwei Dutzend Instrumente im Einsatz. Ganz ohne Instrumente treten Juliette und Bandmitglieder am Schluss an die Bühnenrampe und singen eins vielstimmig. Das ist Entertainment der charmanten Art und technisch auf Höchstniveau.

Weiter geht’s zur diesjährigen Stanser Innovation: Täglich gibt’s im «Engel» ab 22 Uhr ein Club-Konzert in der «Latenight»-Schiene (plus anschliessendes DJing). Die Location hat sich wundersam gewandelt. Was früher und sonst ein Opfer modernistischer Aseptik-Renovation war und ist, wurde von den SMT passend hergerichtet mit schwarzen Verkleidungen und Licht. Und damit es gleich gesagt ist: Der Saalmix ist ein Hammer an diesem Montagabend. Schlicht exzellent. Das liegt natürlich auch an der Musik, die von der Bühne kommt. Sandra Nkaké (Kamerun/Paris) ist mit fünf wie sie in Anzug gewandeten Musikern nach Stans gekommen: Gitarre, Bass, Schlagzeug, Keyboard – und Querflöte. «R’n’B» wäre ein mögliches Etikett für den Sound von Nkaké (die, so wusste Gewährsmann U.N. zu berichten, in Paris ziemlich angesagt ist). «Big in Paris» und schon in Stans. Die Performance: tadellos. Wir analysieren: Eine Art weiblicher Bryan Ferry (oder auch Robert Palmer), da und dort kommen Assoziationen zu den Talking Heads auf, und wenn man mit Geschlechtsgenossinnen vergleichen müsste, kämen einem Grace Jones (äusserlich) und in gewissen Passagen Sadé in den Sinn. Aber immer eigenständig, von Soul und auch Funk durchwirkt ist Nkakés Musik. Ein nächstes grosses Ding? Wir möchten drauf wetten und können später mal sagen, wir hätten sie schon in Stans gesehen, als ersten einsamen Höhepunkt (Stichworte: Entdeckung, Offenbarung und was der preisenden Worte mehr sind).

Stanser Musiktage, bis Samstag, 21. April