Von brünstigen alten Männern, Bolognesen und meinem neuen Freund Wurlitzer.

An der gestrigen, feurigen Countrynight in der Reussfähre ist es passiert. Ich habe mich hoffnungslos verknallt. In einen grossen, breitschultrigen Kasten, der weiss, wie man Frauenbeine zum Schwingen bringt... und ich habe gemerkt: Fasnacht ist nicht gleich Fasnacht, und Fasnacht kann tatsächlich sauglatt sein.

(Von Jane Fonda)

19:00: Eintauchen in Muttis Kostümkiste aufm Estrich, Schwelgen in nostalgischen Erinnerungen an eine unbeschwerte Kindheit als Pippi Langstrumpf. Nach der Reise in die grosse Kiste: Blondes Hippie-Cow-Girl mit Buttonbesetzter-80er-Jahre-Jeansjacke, extra breite Schultern, riesiger Chemikerbrille und Jane-Fonda-Attitüde. Auch die adrette männliche Begleitung kommt nicht ungeschoren davon: die Haare sind zwar noch da, aber unsichtbar unter einem schwarzen Schlapphut. Die adrette Begleitung hat sich in einen Goldgräberaufsichtsleiter verwandelt.

20:15: Busfahrt mit Nr. 19 von Schlossberg bis St. Karli. Beobachten der eigenen Wirkung auf die anderen Leute im Bus, einige tun so, als würden sie nicht hinschauen, schauen aber trotzdem hin. Eine gewisse Wirkung ist also vorhanden. Sehr gut.

20:30: Hereinspaziert in die werte Reussfähre-Stube, «dem Fels in der stürmischen Fasnachtsbrandung. Platz zum Sitzen. Flirten. Auftanken. Abtanzen». Ein breitmäuliger, zähnebleckender, ältlicher Herr lacht mir zu: «Schon wieder eine schöne Frau!» Ich lächle selbstgefällig. Vollgestopft ist die mythenumrankte Beiz mit 40 bis 50-Jährigen – niemand tanzt... Alle sitzen an ihren Tischen, einige sind immer noch am Essen –beliebt sind offensichtlich übergrosse, rote Schlips mit gelben Punkten und grosse Brillen, Federboas, spitze Hütchen und Glitzerschminke. Ist das Country? Ach und da sitzt ja auch die Nella und der Gölä. Der Abend ist gerettet. Die leicht schwankende Salon-Servierdüse in feschem roten Tütü-Kleid und heiser-krätziger Stimme umarmt uns überschwänglich. Während wir hinter! dem Tresen bei den «Düsen» (wo wir offensichtlich im Weg stehen und herumgeschupst werden) erstmal einen Humpen Bier trinken, sucht sie uns ein Plätzchen.

20:45: Wir sitzen an einem Tisch mit zwei älteren Pärchen. Drei sind unverkleidet, der eine Mann trägt bereits erwähnten Schlips und grosse Brille und hat ein grosses Maul. Er erzählt wahnsinnig lustige Witze: „30-40 jährige Frauen sind Manderindli, 40-50 jährige Orangen und 50-60 jährige Zitronen. Einer hat ne reiche Zitrone zuhause und da fragt sein Kollege: ‚wie lebt’s sich so mit deiner Zitrone?’ sagt der andere: sehr gut, mit ihrem Geld kann ich mir ganz viele Manderindli kaufen.“ Haha. Seine Frau kichert; die andere Frau nickt. Sehr lustig – der Abend kann ja heiter werden. Der andere Herr fragt meine Begleitung, ob wir uns schon länger kennen, „nicht, dass du dann am morgen erschrickst, wenn du neben ihr aufwachst." Da kann ich nur sagen – haha, haha. Jetzt wäre eigentlich der Zeitpunkt, um mich einmal mit einem Mann zu prügeln, oder ihm offiziell das Stimmrecht zu entziehen. Doch Knuschti bleibt wohl Knuschti.

21:00: Und endlich tauchen sie auf. Unsere lang ersehnten Freunde A.M aus L. und C.S. aus L. Seine Wenigkeit hat sich extra unter der Woche ein Bärtli wachsen lassen und dieses präzise rasiert, sieht knackig aus mit seinem Countryhut, braun-kariertem Gilet und Colt. Sie, ebenfalls schwer bewaffnet, trägt ein schwarz-weiss kariertes Halstuch, Cowboyhut und ein paar Stiefel mit echten Sporen (ein Schnäppchen, ergattert beim Caritas-Fasnachtsbazar!). Sie kommen zu uns an den Tisch, ich bin entzückt. Nun kann der Abend doch noch heiter werden! Kurz darauf erscheinen auch G.S. aus L. und S.H. aus Ö auch sie beide wissen, was im wilden Westen abgeht: kantige Karton Countryhüte zieren ihre Häupter, so dass der legendäre Bisonkopf an der Wand vor Neid grün wird. Und noch ein Bierchen – Prost!, ein schalkischer Blick in die Runde und schwupps wird das Zeitgefühl wässrig...

Etwa eine halbe Stunde später spielen Okay the Band, die «giggeile und eidgenössisch notariell beglaubigte Fasnachtskappelle» deren Motto ist: Wir können nichts aber haben einen riesen Spass dabei! (Tönt nach Dada is aber nich.) Und gaben in ihren rüüdigen 60ies-Kostümen und Riesenhaartollenperücken Songs wie «Smoke on the Water», «Proud Mary», «Just a Gigolo», und allerlei gschlüprige Zwischenkommentare zum Besten – nicht gerade berauschend, aber origineller wie Guggenmusik. Eigentlich habe ich, um ehrlich zu sein, auch gar nicht so richtig hingehört, vielmehr war ich damit beschäftigt, Grandmaster Gregor H. aus L. zu begrüssen, der für einmal mit wildem Afro und Traineranzug unterwegs war und sich in glamouröser Gesellschaft mit seinem Lieblings-Cowboy R. aus L. zeigte. Ebenfalls mit von der Partie ein gfürchiger Pirat mit seiner Braut – beide gut gelaunt.

Anmerkung: Ich hätte nicht gedacht, dass sie alle meinem Ruf folgen und sich in die Reussfähre begeben, doch plötzlich waren sie eben doch alle da und ich war froh, dass sie mich nicht alleine liessen.

Und so stieg unser aller Stimmungsbarometer von heiter zu euphorisch und ich ertappte mich (ja, zu diesem Zeitpunkt funktionierte die Selbstreflexion noch) fast ein bisschen erschrocken dabei, zur Musik zu wippen und mitzuklatschen. Es war mir egal – ausser denen, die mich kennen und schätzen war ja weit und breit niemand, der mich gekannt, geschweige denn, dank meiner Blondi-Perücke und meiner Chemikerbrille erkannt hätte. Ausserdem war’s tatsächlich lustig.

So um 22:30 tröpfeln einer nach dem anderen, die Spieler der Band Mööps (es lebe die Vieldeutigkeit!) in die Fähre, alle im Zeichen der Liebe als buttersüsse Herzchen. Und die haben so ziemlich was drauf! Fette Grooves, funky, so gar nicht fasnächtlich, brachten sie die Fähre zum Wackeln und die Reuss rauschte mit. Ein bisschen, nur ein bisschen erinnerte mich die Stimmung plötzlich an die legendären Zeiten in der Bar 57. Zugabe um Zugabe folgten. Schweisstriefender und heisser wurde es von Minute zu Minute.

Um die Elfe dreissig bliesen und tuteten nochmals Okay the Band und ich wurde immer origineller. Nach einem langsamen Walz mit einem leicht betagten Sheriff brauchte ich ein bisschen Bewegung. Eine Bolognese, dachte ich mir, wäre jetzt genau das richtige. Schneller als ich denken konnte stand ich auf, meine werte Freundin C.S. aus L. hing sich mir an die Schultern, Kollegin G.S. aus L. folgte und auf einmal waren wir das, was man eine Bolognese nennen kann und sonst nur aus Karl Moiks Musikantenstadl kennt. Quer durch die Reussfähre schlenkerten wir, da hing sich unsere Salon-Düse im roten Tütü vorne an, führte die Bolognese kurzerhand durch die Küche – wo es nicht nach Bolognese aber nach Pommes Frites roch – wieder zurück in den Fähren-Raum, wo sich uns auch die spielenden Musikanten – ein mitreissendes Fest!

Nach diesem tollkühnen Akt wollten wir noch tollkühner werden und fingen an, auf den Stühlen zu tanzen, das Ziel war ein Tänzchen auf dem Tisch. Das ältere Publikum rundherum blickte uns halb belustigt, halb misstrauisch an. Und da stand ich mit Cowboy A.M. aus L dann plötzlich auf dem Tisch und wir tänzelten und der Tisch wippte gefährlich mit (ab diesem Zeitpunkt war die Selbstreflexion schon in der Reuss am Baden).

Und dann, ja dann, irgendwann um 12:00 entdeckte ich ihn. Wunderschön ist er, massig, seine Haut glatt und glamourös-blinkend, er leuchtet im Dunkeln wie ein Glow-in-the-dark-Sticker Seelenruhig und lässig stand er da hinten in der Ecke, begutachtete die Szenerie und wartete darauf, entdeckt zu werden. Wartete darauf, dass jemand mit ihm spielte, ihn drückte. Es war Liebe auf den ersten Blick. Nur schon sein Name zergeht wie feinste dunkle Schokolade auf der Zunge: W-U-R-L-I-T-Z-E-R. Vorgestellt habe ich mich nicht, sondern gleich angefangen, wild auf ihm herumzudrücken. Und da passierte das Unerhörte: Rock 'n' Roll, der einem die Beine aus den Hosen lüpft durchrauschte die Fähre. Immer und immer wieder drückte ich ihn in immer neuen Variationen und immer und immer wieder gab er seine dröhnigsten Stücke zum Besten. Wir alle tanzten uns wie wild die Beine aus dem Leib. Es war sauglatt. Und ich weiss: meinen Freund Wully werde ich in Zukunft öfters besuchen.