Vo Tröim wommer met sech sälber het (& das zom sebehonderteinefierzigschte Mal)

Zug liegt nicht im Kanton Luzern. Trotzdem ist es hin und wieder eine S-Bahnfahrt wert – sei es auch nur, um die jugendliche Szenerie am samstagabendlichen Bahnhof zu betrachten, die an der Anzahl Einwohner gemessen, doch sehr lebendig ist. Doch heute geht’s um viel mehr. Polo Hofer, Kutti MC, Göla. Das war gestern. Die neuen musikalischen Hoffnungsträger aus Bern sind heiss wie die Friteuse im neu eröffneten Luzerner Burger King, textlich wie optisch sehr (ver)wandelfähig und stecken musikalisch ein breites Feld zwischen Funk, Hip-Hop, Pop und Metal ab. Als stilbildende Lektüre für ihre Bandgeschichte nennen sie «Merlin der Zauberer» und «Globi». Sie sind die Männer am Meer, die mit dem Rücken zum Strand stehen. Und das Beste zum Schluss: Ihr habt noch nichts verpasst. Sie spielen am Freitag dem 13. Februar im Stadtkeller Luzern.

Ort: Chollerhalle, Zug. Zeit: 21:00 Uhr. Wetter: Kalt. Stimmung: Heiss. Leute: Durcheinander. Flirtfaktor: Türkis.

Ich bin unterwegs mit meinem Kameraden, dem Seargant, der fürs Wochenende vom bald besten Trachtenverein der Welt beurlaubt worden ist. Um abzuschalten, ein paar Bierchen zu trinken, gute Musik zu hören. Am Nachmittag fand in Bern eine Friedensdemo statt und in Luzern verschaffte sich die Aktion Freiraum mit diversen Aktionen Freiraum. Kein schlechter Tag also, das unscheinbare, von politischen Wirbeln unangetastete Zug aufzusuchen, das bis vor kurzem auch Kulturstadt war. Doch jetzt isst Johannes M. Simmel seinen Kaviar mit Petrus, Markus und Lukas. Eine kleine Stadt verlor einen grossen Autoren. Und hat kulturell trotzdem – noch immer – einiges zu bieten.

Die Chollerhalle befindet sich neben dem wegen Einsturzgefahr geschlossenen Konzerthaus Galvanik. Ein moderner Bau, mit viel Beton und viel Raum, der auf mich jedoch ein wenig steril wirkt. Ein Miniatursüdpolvergleich schleicht sich an. Auch die Getränkepreise können das Luzerner Niveau halten. Es herrscht eine beinahe familiäre Atmosphäre. Leise Musik vermischt sich dezent mit Gläserklirren und einem babylonischen Stimmenwirrwahr. Bis die ersten Klänge der Band erklingen. Was folgt ist ein 90-minütiger Höheflug – musikalisch, wie auch lyrisch. Dieses Konzert ist der Auftakt der «Mit dem Rücken zum Strand»-Tournee der Meerjünglinge, auf der sie ihr neues Album präsentiert.

Ich weiss nicht, was ich von einer Berner Band, deren Name ich am heutigen Tag zum ersten Mal hörte, erwarte habe. Jedenfalls nicht das, was sie abliefern. Ein astreines Set, das ein musikalisch sehr breites Spektrum zwischen Funk, Rap, Pop und Metal abdeckt. Es beginnt humoristisch, bleibt lustig, wird traurig, dann wieder heiter, mal eher Reggae, mal Funk, immer mit einer Prise Hip-Hop. Es wird gespottet über die Rapper aus Chur und die Opposition, welche die Macht im Land übernommen hat. Der durchschnittliche Schweizer Spiessbürger jedoch ist das konstanteste Opfer in den Texten der Band, die erkennen lassen, dass die Verse nicht von einem Amateur zusammengeschustert worden sind.

Die Musiker bringen mit ihrer lebensfreudigen Show den Sommer nach Zug. Man merkt, dass sie hungrig sind, hungrig zu spielen, hungrig das Publikum zu füttern. Gut angezogen sind sie auch. Vielleicht liegt`s daran. Denn nach lang anhaltender Suche und einer Odyssee zwischen Boxer, Langstreckenläufer und Politikerverkleidungen haben sie endlich ihren Edelzigeunerspleen entdeckt. Und er steht ihnen verdammt gut.

Die Männer am Meer wurden vor ca 2 ½ Jahren gegründet, an einem Wochenende, wo sich die Band zusammen mit einem Tontechniker in eine Berghütte im Jura eingeschlossen und – ganz nebenbei – ihr Debütalbum «Vou im Biud» aufgenommen hat. Nun sind sie bereits mit dem Nachfolger am Start, der mit dem Track «Regentage» unter Anderem auch ein Duett mit dem Poeten und Züri-West-Sänger Kuno Lauener beinhaltet.

Nach einer Reihe von Zugaben endet ein Konzert, das berührt, beschwingt aber auch zum Grübeln angeregt hat, auf jeden Fall jedoch keine Wünsche offen liess, mit zwei an Rage Against The Machine angelehnten Songs, die hochpolitisch, wütend und brisant sind.

So bleibt mir nur noch zu empfehlen, Publikum, euch diese Jungs anzutun im Stadtkeller und mit dem Rücken zum Strand sich von dieser musikalischen Delikatesse beschallen zu lassen. Ist allemal gesünder als Solarium. Und Spass machen tut's auch mehr.

Männer am Meer: FR 13. Februar, Stadtkeller Luzern