Vis-à-vis vom Helvetia

In der Loge natürlich las gestern Dienstag Arno Camenisch. Getreu dem Motto «Schön Wetter ist's noch den ganzen Sommer lang» fanden sich trotz Sonnenschein etliche Leute ein, der knapp eineinviertelstündigen Lesung des Bündners und Wahlbielers zu lauschen.

Er ist ein Chronist der bäuerlichen Welt, der Dörfer, wo die einzige Beiz (das Helvezia) Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens ist. Unaufgeregt, präzis und dennoch äusserst poetisch schreibt sich Arno Camenisch hinter die Fassaden dieser vermeintlich heilen Welten. Und auch wenn sich das Gerücht hartnäckig hält, dass er nur Geschichten aufschreibt, die ihm seine Tante erzählt, wenn sie aus dem Bündnerland nach Biel – wo Camenisch das Literaturinstitut besuchte – telefoniert, darf man sagen, dass Camenisch dabei ist, in bisher unerreichte Gefilde der Schweizer Literatur vorzustossen. Ob er in seinem Erstling «Sez Ner», der zweisprachig (rumantsch & deutsch) erschien, das Leben von Senn, Zusenn und zweier Hirtenbuben während eines Sommers auf der Alp Stavonas am Fusse des Piz Sezner in der Surselva des Kantons Graubünden abseits von jeglichen romantischen Klischees schildert oder im jüngsten Werk «Hinter dem Bahnhof» – zu dem der Slammer Gabriel Vetter auf Facebook kommentierte: «Ein wunderbares Buch» – ein kleines Bergdorf aus der Sicht eines jungen Knaben schildert, dessen kindliche Naivität sowie die Ungefiltertheit seiner Wahrnehmung das Alltägliche mit einem herrlich-surrealen Unterton versehen. Das ist «real». Keine Maske, keine Verstellung, kein So-tun-als-ob. Aneinander gereihte Sequenzen scharfer Beobachtungen, die einen eigenwilligen Sog entwickeln. In der Luzerner Loge las Camenisch aus beiden seiner bei Urs Engeler erschienenen Büchern. Kommentierte die in seiner ganz eigenen, melodiösen, sing-sang-haften Art vorgetragenen Abschnitte mit Anekdoten. Aus «Sez Ner» las er einige Passagen in Romanisch, was durchaus auch seinen Charme hatte ... Gegen Ende performte er noch einige Texte ab Manuskript, wie «Im Küalschrank» oder «Kartonschachtla», die auf «Verruckti Tier» von Bern ist überall vertreten sind. Oder diese Story, in der er versucht, in China mit Stäbchen zu essen. Und schliesslich gegen Ende was über den Fussball, wo der berühmte Satz «Dr Goalie bin ig» fiel ...