US-Spirit in den CH-Bergen

Nidwaldner Museum, Stans, 10.9.–20.11.2016: «Der Traum von Amerika» heisst die Ausstellung im Salzmagazin Stans. Untertitel «50er-Jahre-Bauten in den Alpen». Die feine Schau zeigt, wie einst US-inspirierte Architektur diesseits und jenseits des Gotthards Einzug hielt. Namentlich auf dem Bürgenstock und in der Leventina.

Event-Tourismus war auf dem Bürgenstock schon früh angesagt. Man erinnert sich an die seit Jahren stillgelegte Standseilbahn (Kehrsiten) und Europas höchsten, rapiden Freiluftaufzug (aka Hammetschwand-Lift). Was künftig passiert, wird sich nächstes Jahr zeigen. Vom Schiff aus sieht man gegenwärtig acht Kräne. Hotels werden gebaut, umgebaut, renoviert, ein Golfplatz steht schon, Tennishallen entstehen. Die Chose gibt am Schluss dank Investoren aus Katar ein Resort mit Baukosten von satten 500 Millionen Franken. Die Stanser Ausstellung geht ein schönes Stück zurück in der bewegten Bürgenstock-Geschichte. Genauer: In die 1950er-Jahre, als ein frischer Wind zu wehen begann. Es war der Geist aus den USA, der Einzug hielt. Bürgenstock-Hoteliersohn Fritz Frey, der die Geschäfte 1953 von seinem verstorbenen Vater übernahm, war aus Übersee zurückkehrt, wo er sich hatte inspirieren lassen zu Neuem, Frischem. Er wollte den Bürgenstock, wie man heute sagen würde, aufpimpen. Zur Attraktivitätssteigerung des Tourismus-Ortes beitragen sollte eine Reihe von sogenannten «Kleinbauten», die mittlerweile (im Unterschied zu den Hotels) unter Denkmalschutz stehen. Fritz Frey lockte Prominenz ins Nidwaldnerische, ihm gelang es, Stars auf den Berg zu bringen. Sophia Loren, die Italo-Diva, sie hauste hier, ebenso Hollywood-Star Audrey Hepburn, die sich gar in der Bürgenstock-Kapelle trauen liess. Bond-Darsteller Sean Connery war Gast dort droben, US-Präsident Jimmy Carter kam auch. Eine mondäne, moderne Welt in der Provinz.

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Die Kleinbauten also, Gegenstand im einen Teil der aktuellen Ausstellung. Unter anderem bauten Luzerner Architekten hier in Nidwalden 1955 den sogenannten «Bürgenstock Bazaar», ein US-amerikanisch anmutendendes Pavillon-Gebäude mit Verkaufsläden (Schmuck, Uhren, Kleider) oder 1953/54 das exklusive Schwimmbad samt Gartenanlage. Hunderte von Bäumen mussten dafür ihr Leben lassen, damit auf der Hügelkuppe mit Blick über den See und in die Berge die neue Attraktion entstehen konnte.

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Das Becken ist in Nierenform gebaut, nachts hübsch von innen und aussen illuminiert. Dazu der architektonische Clou einer futuristischen Unterwasserbar, geradezu Science-Fiction-mässig die Szenerie mit Bullaugen mit Blick ins Becken, an der Decke abgesetzt weisse Wassertier- und Meerjungfrauen-Motive (gestaltet vom Luzerner Künstler Robert Wyss). Die Figuren sind für die Ausstellung ausfindig gemacht und gerettet worden. Allerdings sind sie nicht mehr weiss. In der Zwischenzeit waren die Objekte in einem Kindergarten gelandet, wo sie frisch-fröhlich buntfarbig angepinselt wurden. Die Ausstellung versammelt historische Fotografien, Pläne, Postkarten, Werbeinserate von damals. Sämtliche Architektur-Objekte wurden für die Ausstellung im Zustand von 2016 fotografiert. Unter den Exponaten anzutreffen ist auch eine Reihe von Objekte, etwa eine Schubkarrenliege samt blau-weiss gestreiftem Kissen, wie sie in den glorreichen Tagen am Pool genutzt wurden, einst exklusiv von einem einheimischen Handwerker geschreinert; dazu ein metallener Abfallkorb und ein Beistelltischen. Ein leicht lädiertes Modell der gesamten früheren Bürgenstock-Anlage gibt einen schönen Überblick; im Mini-Format sieht man Landschaft, tatsächliche Gebäude und solche, die geplant waren, aber nie Wirklichkeit wurden. Die Ausstellung «Der Traum von Amerika» in Stans fällt nicht zufällig ins «Gotthard-Jahr». Zusätzlicher Anknüpfungspunkt ist der Europäische Tag des Denkmals, der 2016 «Oasen» zum Thema hat. «Es sind solche Oasen», sagt Kurator Marcel Just. Nördlich und südlich des Gotthards, Beispiele dafür, wie in der Architektur Modernität im Alpengebiet Einzug hielt in den 1950er-Jahren. Diese «Oasen» sind Biotope, Bauten für Menschen. Diesseits des Gotthard der Bürgenstock. Auf der anderen Seite, in der Leventina, im Tessin, stehen die Bauten der Gebrüder Guscetti.

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Dazu eine schöne Architekturgeschichte im Kleinen. Am Anfang steht die Frage, wie ein moderner Fifties-Villen-Bau aus Ambrì in Miniaturformat in den Katalog des deutschen Modelleisenbahn-Zubehör-Herstellers Faller gelangen konnte? Die Tessiner Villa prangt gar auf dem Titel des «Faller Modellbau Magazins» Nummer 22 vom April 1961. Übrigens spiegelverkehrt, was unter Umständen den einen oder anderen Häuschen-Zusammenbastler angesichts der falschen Bildvorlage zur Verzweiflung bringen konnte. Es steht geschrieben: «Villa im Tessin; modernste Bauweise». Einst, 1961, kostete sie laut Katalog 4.75 DM, das Fertigmodell 15 DM. In der Anleitung heisst es: «Der Bau ist zwar ein wenig schwierig, das lässt sich nicht leugnen. Man muss einige Sorgfalt beim Zusammenkleben walten lassen, muss vor allem erst die Bildbauanleitung genau studieren und die Teile vor dem Kleben zusammenpassen.» Da das ganze Haus einen «verhältnismässig grossen Raum» einnimmt und 20 x 13 cm Fläche beansprucht, «also fast soviel wie ein mittlerer Bahnhofsbau», wurden durch Teilung der beiden Bauteile, «aus dem einen Bausatz zwei Einzelbauten geschaffen, die für sich als Einzel-Bungalows recht hübsch wirken». Das Gebäude wird beschreiben als «ein typisches Landhaus aus dem Süden; das Vorbild dieses Modells steht an der Strasse Gotthard-Lugano». 6_villa_in_ambri_fotograf-unbekannt

Alles kam so: Hermann Faller, Mitgründer und Mitbesitzer der berühmten Firma für Modelleisenbahn-Zubehör, entdeckte die Villa Ende der 1950er-Jahre auf einer Autofahrt von Deutschland ins Tessin. Das Haus stand (und steht noch heute) in Ambrì, 1958 erbaut von den beiden einheimischen Brüdern Aldo und Alberto Guscetti, Architekt der eine, Ingenieur der andere. Ein kleines Prunkstück moderner Architektur in den Alpen. Die Guscetti-Brüder wirkten, von der Architekturgeschichte eher unbeachtet, während Jahrzehnten in ihrem Kanton und liessen sich davon inspirieren, was und wie in der Welt sonst gebaut wurde. Etwa in den USA von Architektur-Ikonen wie Frank Lloyd Wright. Aus ihren diversen Inspirationsquellen haben sie «ein Amalgan geschaffen, das eine Art eigenständige Form annahm», wie der Zürcher Architektur-Publizist und Stanser Ausstellungs-Kurator Marcel Just sagt.

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Unternehmer Hermann Faller also war vom Bau angetan und machte in der Folge zwei Dinge: Er liess sich daheim in Gütenbach (Schwarzwald) die Tessiner Villa mit Variationen nachbauen, um dann aufgrund des Tessiner Vorbildhauses und seiner eigenen Villa ein Modellbau-Häuschen (B-271) produzieren zu lassen Die Ausstellung in Stans dokumentiert vier Häuser der Brüder Guscetti und ihr Bauen im Geiste von architektonischer Modernität, wie sie von US-Vorbildern wesentlich beeinflusst war. Die Ausstellung zeigt vier individuell kolorierte Faller-Bastelhäuschen der Guscetti-Villa; wie exklusive kulturteil-Recherchen ergaben, stammt eines aus der Sammlung eines Luzerner «Tatort»-Regisseurs, der das Stück auf dem Flohmarkt entdeckte (Name der Redaktion bekannt).

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Der Traum von Amerika. 50er-Jahre-Bauten in den Alpen Nidwaldner Museum, Salzmagazin, Stans Eröffnung: Sa, 10.9., 17.00 11.9., bis 20.11.2016 www.nidwaldner-museum.ch Katalog Marcel Just, Meret Speiser Der Traum von Amerika. 50er-Jahre-Bauten in den Alpen 32 Seiten (Nidwaldner Museum Stans 2016). Führung zu den 50er-Jahre-Objekten auf dem Bürgenstock (Teilnehmerzahl begrenzt, nach Anmeldung) Sa, 1.10., 11.00 Führung durch die Ausstellung mit Kurator Marcel Just und Kunsthistorikerin Meret Speiser Mi, 2.11., 18.30