Urbi et Orbi (der Stadt und dem Orbit)

Coal stellte in der Schüür zu Ostern sein neues Album vor. Und alle Sünden fielen von uns ab und sammelten sich am Grund des Bierglases.

Es ist Claudio Strebel am Bass, der den Song als Erster an sich heranzieht. «Lose Sleep At Night», das Titelstück von Coals neuem Album, ist ein paar Minuten lang als milchig verhangene Nocturne in die Schüür geträufelt, aber jetzt ist da plötzlich dieses Rumoren, fast unmerklich zunächst, aber langsam dreht Strebel den Schraubstock des Grooves zu. Dann erhöht auch Arno Troxler den Druck, mit wenigen wirkungsvollen Schlägen auf seine Trommeln, und jetzt gibt es kein Entkommen mehr aus der schlaflosen Nacht. Die Gitarre von Charlie Zimmerman stösst auf, beginnt zu zischen und zu beben, die Orgel von Chris Heule singt die Milchstrasse an, nur Coal in der Mitte der Bühne bleibt der kleine Mensch auf der staubigen Landstrasse, während sein Song nun als Supernovaversion von Americana über ihm rauscht, dann in heftigen Eruptionen explodiert und schliesslich in einem feinkörnigen Fall-out auf ihn niedergeht. Coal ist in diesem Moment ein trauriger Mensch im riesigen Universum, aber auch ein triumphierender Musiker in seiner musikalischen Welt, dem amerikanischen Rock, Folk und Country. Die Schüür ist halb voll, als die Band von Coal am Ostersonntag ihr neues Album tauft, aber er schenkt sie voll mit seiner Gutmütigkeit, mit der grossherzigen Sehnsucht seiner Songs, mit der verschwenderischen Musikalität seiner fantastischen Band. Man kann es wirklich kurz machen: Die fünf Musiker – und Sarah Bowman als Gastsängerin – lösen in jeder Minute jedes Versprechen ein, das sie mit «Lose Sleep At Night» abgegeben haben, der «bis zum Beweis des Gegenteils besten Americana, die in diesem Land je aufgenommen worden ist» («Das Kulturmagazin»). Der Titelsong – als erste Zugabe gegeben – ist nur ein besonders eindrückliches Beispiel für die stupende Dynamik in dieser Band, die nie wuchtig, nie virtuos, nie frei spielen muss, um wuchtig, virtuos und frei zu klingen. Tausend Nuancen und Subtilitäten fügen sich da zum Big Picture – zu einer wunderbar sentimentalen Erzählung, die persönliche Befindlichkeiten mit der amerikanischen Rock-’n’-Roll-Mythologie verbindet. Vollstreckt in oberfiesem Honky Tonk, tränenverschmiertem Twang und knochentrockenem Rock ’n’ Roll. Amen.