Über Gott und das Urnerland

Ein weltberühmter Pianist sitzt aufgrund von Corona in den Alpen fest. Andreas Haefliger nutzte die Zeit, um sich mit Beethovens Hammerklaviersonate aus- einanderzusetzen. Filmer Daniel von Aarburg beglei- tete ihn – ins Theater Uri und zum Bergsteigen.

Dieser Beitrag erschien in unserer Novemberausgabe. Abonnieren Sie jetzt 041 – Das Kulturmagazin und unterstützen Sie Kulturjournalismus!

Andreas Haefliger ist in seinem Element. Über den Steinway des Theaters Uri gebeugt spielt er das eigentlich unmögliche: Beethovens «Hammerklaviersonate», die mit vollem Namen «Klaviersonate Nr. 29 B-Dur op. 106» heisst. Heaf ligers Finger springen über die Tastatur, die Mechanik des Flügels tanzt, die Lippen des Pianisten formen die Klänge nach, der ganze Körper geht mit der Dynamik des Stücks mit.

Die Sonate gilt als die technisch schwierigste Komposition Beethovens. Der Filmer Daniel von Aarburg zeigt in seinem Dokumentarfilm «Hammerklaviersonate» den in Berlin geborenen Klaviervirtuosen Heafliger, wie er sich dieser technischen Herausforderung stellt – und sie meistert. «Es gibt hier absolut nichts anderes zu tun, als zu üben und zu wandern», sagt Heafliger zu Beginn. Beste Voraussetzungen also.

Andreas Haefliger wohnt im Urner Bergdorf Bürglen. Im März war er zufällig dort, als der Lockdown kam. Er musste bleiben, drei Monate verbrachte er im Alpenkanton, kam während dieser Zeit nicht einmal ins Tal.

Dreissig Jahre geübt

Die Hammerklaviersonate sei eigentlich unmöglich zu spielen, lässt uns Heafliger zu Beginn wissen. Die Aufgabe, die sich der Film selber stellt, ist, dies zu widerlegen. Heafligers Darbietung des Beethoven-Stücks ist in voller Länge wiedergegeben, bildet das Gerüst des Films. «Jetzt übe ich dreissig Jahre daran. Und jetzt ist es zum ersten Mal so, dass ich sage, es ist okay», wird er selbst dazu sagen.

Der Film läuft lange Gefahr, dem Geniekult um den Weltpianisten zu verfallen, zu verkopft zu bleiben. Filmer Daniel von Aarburg wählt eine sehr aktive Rolle für sich selbst, tritt als Gesprächspartner Heaf ligers im leeren Theater Uri auf. Sie sprechen über Beethoven, über alte Geschichten, über Technisches, über Göttliches. Diesem in Hochdeutsch geführten Philosophie-Block stellt von Aarburg ein

Mundartgespräch mit dem Extrembergsteiger Daniel Arnold entgegen. Da ziehen die beiden Parallelen zwischen dem Erklimmen einer 1000-Meter-Wand und dem Üben Beethovens. Die Quintessenz: Was unmöglich scheint, wird durch harte Arbeit plötzlich erreichbar (hallo, American Dream?). Das Genie wird zum Arbeiter, die Klassik zum Extremsport. Im Gespräch überrascht der Künstler jedoch, wenn er den Vergleich mit dem Klettern kommentiert: «Bei uns geht es natürlich nicht um Leben und Tod. Im Prinzip geht es um gar nichts.»

Ganz so einfach ist es dann doch nicht. Das Beethoven-Bonmot, dass Kunst und Wissenschaft uns Menschen dem Göttlichen annähern, wird von Heafliger im Film zwei Mal bemüht. Einmal im Prolog auf einer Sitzbank in den Urner Bergen, einmal im Gespräch mit Daniel Arnold. Klavierspielen wird damit spirituell, Beethoven wird zum Weg der Erlösung. Wenn es beim Klettern um Leben und Tod geht, so die Schlussfolgerung des Films, geht die Hammerklaviersonate über den Tod hinaus. Nur Sport ist das Üben der Sonate also doch nicht.

Hammerklaviersonate: Nr. 29, op. 106 in B-Dur von Ludwig van Beethoven
MO 23. November, 17 & 20 Uhr
stattkino, Luzern