Über Dufour oder: Wo die Schweizergeschichte in literarisch verpackten Höhen weht

Loge Luzern, 28.01.2014: Gestern Abend fanden sich anlässlich der multimedialen Lesung Michael Orsouws ein Dutzend Leute in der wohl kleinsten Lesebühne der Welt ein, wie André Schürmann die Loge bezeichnete. Sie waren gekommen, um sich der Erzählerstimme Michael van Orsouws hinzugeben, der in seiner fiktiven Autobiographie über Guillaume-Henri Dufour (1787 – 1875), dem «Helden wider Willen» vorlas und hin und wieder mit Videos und Tonbändern Abwechslung in den Leseabend brachte.

(Von Tiziana Bonetti)

Bevor Michael van Orsouws Lesung begann, wurde er vom Organisator André Schürmann als Zuger Autor vorgestellt und als «Hansdampf» der Literatur. Etwas bescheidener als Hansdampf betrat ein Herr mittleren Alters die winzige Bühne und eroberte die Aufmerksamkeit des Publikums mit der Einstiegsfrage «Wer war Dufour?» Es folgte ein Videoausschnitt, in dem diverse Befragte äusserten, was ihnen der Name «Dufour» sagt, beziehungsweise eben nicht sagt. Dann überliess Michael van Orsouw das Vorwort seinem fiktiven Dufour-Ich, welches sich aus dem Jenseits über die Veröffentlichung seiner zu Lebzeiten versteckten Bekenntnisse äusserte, die Licht auf seine Schattenseiten werfen. «Ich will das Versteckspiel beenden», sagte Michael van Orsouws Dufour, der ein spannungsgeladenes Doppelleben als Held-Mensch geführt, seine Heldenrolle jedoch immer bezweifelt hatte. Wer aber war nun dieser G. H. Dufour, der vor 138 Jahren in Genf verstarb und über dessen Einfluss wir heute in der Schweiz nicht mehr allzu viel zu wissen scheinen? (Weil man munkelt, Kritiker sollten sich tunlichst davor hüten, ihre Leser mit trockenen Biographien anzufurzen, besonders seit der Erfindung von Nachschlagewerken, hier nur knapp einige Stichworte:) Guillaume-Henri Dufour wurde 1787 in Konstanz geboren. Bald schon siedelte die Familie Dufour in die französische Stadt Genf über, die sich erst 1815 der Schweiz anschloss. Nach Schulabschluss trat Dufour in die französische Armee, später in die neu geschaffene Schweizer Armee ein. Im Verlaufe seines Lebens wirkte Dufour unter anderem als eidgenössisch denkender Politiker: Er trat ein für die Schweizer Neutralität und plädierte für die Einigung der Schweiz. Ausserdem wurde Dufour im Jahre 1831 gegen seinen Willen zum General ernannt, womit ihm der Auftrag oblag, den Sonderbund aufzulösen. Weiter schuf Dufour eine herausragende topografische Karte der Schweiz, gründete das internationale Rote Kreuz und verfasste darüber hinaus naturwissenschaftliche, technische und historische Schriften. Dass Michael van Orsouw Geschichte studiert hat, ist seiner historisch-akribisch konstruierten fiktiven Biographie über Dufour, den «Schweizmacher schlechthin», wie ihn der Autor gestern Abend nannte, deutlich zu entnehmen. So zeichnet sich das literarische Werk «Dufour, Held wider Willen» denn auch durch äusserst präzise Schilderungen über politisch brisante Ereignisse aus, die im Zusammenhang mit der Gründung der Schweiz zu einem modernen Bundesstaat stehen. Dass es Michael van Orsouw an der gestrigen Lesung dennoch gelang, das Minenfeld «langweiliger Geschichtsunterricht» nie auch nur mit einer Fussstapfe zu versehen, verdankte der Autor seinem fiktiv zum Leben heraufbeschworenen Ich-Erzähler Dufour: Dieser verpackt den geschichtlichen Kern des Werks literarisch so appetitlich, dass er jedem Leser bekömmt, egal ob er verstaubter Hobbyhistoriker, Antischweizer oder Patriot auf allen Vieren ist. Mit der gestrigen Lesung führte Michael van Orsouw sein Publikum auf diese Weise durch ein Stück Schweizer Geschichte und liess seine Zuhörer am Abenteuer von Dufours Leben und seinem Wirken teilhaben, mit dem er die Schweiz massgeblich geprägt hat. Trotzdem liess Michael van Orsouw seinen Dufour nicht im Lichte des unantastbaren Helden stehen, sondern der Autor stattete sein lyrisches Ich so lebensecht und menschlich aus, dass man gestern glatt hätte auf den Gedanken kommen können, tatsächlich die Bekenntnisse Dufours vorgelesen bekommen zu haben. Ob sich Michael van Orsouw mit seinem literarischen Werk «Dufour, Held wider Willen» erkaltete Schweizerherzen zu entfachen verhofft, bleibt eine andere Frage.