Über die Vergänglichkeit des Tänzerlebens

Theater Casino Zug, 8. Mai 2021: «Spitzentänze_r» vereint zwei Tanzproduktionen zu einem berührenden Abend über das Älterwerden in einer unerbittlich nach Jugendlichkeit trachtenden Kunstform.

Bild: Günter Krämmer

Das Bild wirkt fast schon ikonisch. Ein Mann, nicht mehr jung, sitzt auf einem Stuhl und näht Bänder an einen Spitzenschuh. Vor ihm auf dem Boden der ansonsten leeren, düsteren Bühne liegen Dutzende weiterer Tanzschuhe. Ein Berg aus rosé Satin.

«Spitzentänze_r», dies der Titel des Abends im Theater Casino Zug, dreht sich ganz ums klassische Ballett. Nicht so sehr bloss um perfekte Pirouetten, als um die Unerbittlichkeit, die diese Kunst der Jugend für älterwerdende Körper bereithält. Präsentiert wurden dazu – im intimen Rahmen eines notgedrungen reduzierten Publikums – zwei Produktionen: «Blue Prince Black Sheep» von Amancio Gonzalez und Carlotta Sagna sowie «Faded» von Ioannis Mandafounis.

Motiv des Alterns

Da sitzt er also, Amancio Gonzalez, der Mann mit den Spitzenschuhen. In «Blue Prince Black Sheep» breitet er sein Leben aus. Ein Leben voller, ja, Spitzenschuhe, voller Dinge zumindest, für die diese stehen: geknechtete Körper, Disziplin, Schmerz, Vergänglichkeit. Während er näht, redet er, spricht von sich als «ich/er/sie», erzählt vom Unterwegssein im Nirgendwo, bevor er sich selbst auf Spitze erhebt und mit Bourrées die Bühne einnimmt. Er taumelt, geht gebückt, doch immer auf Spitze, richtet sich auf, dreht sich graziös, torkelt wieder, bleibt um jeden Preis oben.

Auch «Faded» von Ioannis Mandafounis behandelt das Motiv der Härte des klassischen Tanzes angesichts eines alternden Körpers. Das Stück, eine Koproduktion mit dem Tanzfestival Steps, ist eine Art getanzter Ironman. Um sich noch einmal mit einer körperlichen Parforceleistung zu beweisen, stellt der vierzigjährige Mandafounis sich dem klassischen Repertoire seiner jungen Tänzerjahre. Die vermeintliche Leichtigkeit der Variationen kontrastiert er schwer atmend, stöhnend und ächzend, während Antigoni Fryda ihn auf der Querflöte begleitet und herausfordert.

Gereifter Ausdruck

Mit kurzen Werkseinführungen stellte Tanzwissenschaftlerin Tina Mantel die beiden Produktionen in einen Kontext. Obwohl die Stücke nicht für ein gemeinsames Programm konzipiert wurden, sind ihre thematischen Parallelen offenbar: So flüchtig wie die Kunstform selbst, so vergänglich sind die ihr gewidmeten Körper. Steht in «Blue Prince Black Sheep» der Spitzenschuh für das erbarmungslose Diktat des Balletts auf den Körper, sind es in «Faded» die strengen, klassischen Variationen, die diesem den letzten Rest abfordern.

Dabei wird augenscheinlich, warum klassischer Tanz oft als Kunst der Jugend bezeichnet wird. Den Zwang zur Jugendlichkeit zu hinterfragen, wie es auch «Spitzentänze_r» tut, ist so zeitgemäss wie lohnenswert. Bereits in den 1990-er-Jahren bewies das grandiose «Nederlands Dans Theater III» – heute verfolgt etwa das Dance On Ensemble dieses Ziel –, dass auch im Tanz gilt, was auf andere Kunstformen zutrifft: Mit dem Altern geht ein Reifeprozess einher, der weiterhin Publikum verdient. Nicht mehr die körperliche Spannkraft steht im Zentrum, sondern die beeindruckende Intensität eines gereiften Bewegungsausdrucks.

Berührende Hommage

Auch «Blue Prince Black Sheep» und «Faded» überzeugen nicht in erster Linie mit der technischen Virtuosität der Tänzer. Vielmehr tut dies die schlichte Dringlichkeit des Ausdrucks, die den Performances innewohnt. Etwa wenn Gonzalez mit den aufgereihten Spitzenschuhen Zwiegespräche führt, als wären es alte Bekannte. Oder wenn Mandafounis sich in jede Bewegung wie liebkosend hineinschmiegt, ob aus Freude des Wiedererkennens der Schritte oder aus Abschiedsschmerz, weil er sie ein letztes Mal ausführt.

Am Ende bindet Gonzalez sich Spitzenschuhe um den Körper wie eine Zwangsjacke. Mandafounis übergibt an ein jüngeres Alter Ego, nämlich Natan Bouzy, und wird mit Verweis auf die einzige Wahrheit, jene des Todes, von der Bühne gejagt. Das klingt ernst. Wie zum Trost scheinen dem Alter für beide aber auch Freiheiten anzuhaften. Jene zum Beispiel, niemandes Erwartungen mehr erfüllen zu müssen. Oder sich mutig der eigenen, nackten Existenz zu stellen. Auch verhindern beide Produktionen ein Abdriften in zu viel Schwermut mit einer guten Balance von Humor, Ironie und Tragik. So wird «Spitzentänze_r» zu einer so unverklärten wie berührenden Hommage an den klassischen Tanz.