Trychle, Trommeln, Trance

Stanser Musiktage, 25.–30.4.2017: Es regnet, aber drinnen ist es schön. Trocken und sonst wohlig. Vor allem, wenn die Musik spielt. Hier tut sie es wieder, in Stans. Erste Konzertnachrichten vom Eröffnungsabend berücksichtigen Einheimisches und Fremdes, namentlich das Pirmin Huber Ländlerorchester mit der «Ländlersinfonie» namens «Feeling» und die legendären Master Musicians of Jajouka aus Marokko.

Der nasse Weg ins Kollegi lohnt sich. Es spielt das vielköpfige Länderorchester des Schwyzers Pirmin Huber (30). Letztes Jahr hat der Absolvent der Hochschule Luzern – Musik (Volksmusik-Bachelor, Musikpädagogik-Master) von der Pro Helvetia den Auftrag für eine Komposition erhalten, die dann unter dem Titel «Feeling» an der Zürcher Stubete am See uraufgeführt wurde. Damit, mit der als «Ländlersinfonie» bezeichneten Komposition «Feeling», spielt Huber weiterhin, landauf, landauf. Natürlich auch in Stans. Das Eröffnungsstück des SMT-Eröffnungsabends im Kollegi heisst sinnigerweise «Eröffnig». Vorher geht’s schon mit Getöse los, als neun sogenannte Einscheller in weissen Sennenkutten und je einer Doppeltrychle auf den Schultern einmarschieren. Schön laut. Auf der Bühne dann 11 Musiker, Leute, mit denen Pirmin Huber gerne zusammenspielt. So formieren sie das exquisite Ländlerorchester, Leute aus Luzern, Obwalden, Schwyz, Uri oder Bern, Musiker, die man von anderswoher gut kennt, etwa Juzer Beny Betschart, Muotathal (Natur pur, Schluneggers Heimweh), Geiger Andreas Gabriel (Helvetic Fiddlers, NAH Quartett), Nicola Romanò (Klangcombi, Ensemble für Neue Musik Zürich), Lorenz Mühlemann (Zither, Trachselwald), um nur ein paar Beispiele zu nennen.

pirminhuber

Pirmin Huber hat den Stil von «Feeling» einmal «Ethno-Fusion» genannt. Man könnte auch sagen, dass hier (Schweizer) Volksmusik zu Weltmusik wird. Dies ohne prätentiöse Verjazzungsattitüde, ohne kopfigen «Es ist imfall auch Ernste Musik»-Anspruch.

Es ist alles einfach gut gemacht, wie natürlich, dabei freilich anspruchsvoll, aber locker. Die Kompositionen lassen Einzelnen Spielraum für dezentes Solieren, es kann folkrockig werden oder angenehm jazzig. Im Ausdruck zwischen tragend und recht zügig. Was will man mehr: vielfältige, spannend interpretierte Neue Volksmusik, die gut grooven kann. (Unsere fotografische Fachaufnahme zeigt in einer Teilansicht des Orchesters Jodler Beny Betschart, Bassklarinettist/Sopransaxer Andreas Ambühl und Komponist/Bassist Pirmin Huber.

Konzert Nummer 2 am Eröffnungsdienstag lockt ins Theaterhaus an der Mürg. Sieben Männer aus Marokko machen zum Schluss ihrer aktuellen Tournee Halt im wunderschönen Stans (so Leader Bachir Attar; er scherzt eingangs auf Englisch, der «mayor» der «city» könnte ihnen doch ein Stück Land schenken). Daheim sind sie im Atlasgebirge, im Dorf, das diesem Ensemble den Namen gibt: Jajoukar, in andere Schreibweise auch Joujoukar. Unter diesem Namen sind die Trance-Musiker weltberühmt geworden. Das war spätestens 1971. Damals erschien auf dem Label der Rolling Stones ihre erste Platte. Es waren Aufnahmen, die Rolling Stone Brian Jones im Sommer 1968, exakt ein Jahr vor seinem Tod, gemacht hatte. Da es im Dorf keinen Strom gab, schleppte man zwei Autobatterien mit. Den Tipp hatte Brian Jones von Brion Gysin, der die Master Musicians in den 1950ern in seinem berühmten Restaurant «1001 Nights» in Tanger aufspielen liess (gegen freie Kost, d.h. Tranksame, ein Umstand, der, so die Legende, zum Konkurs der Beiz führte). Viele andere sind Brian Jones gefolgt, haben mit den Trommlern und Pfeifern aus den Bergen gespielt, Rockmusiker, Freejazzer wie Ornette Coleman; Mick Jagger ist 1989 nach Marokko gereist, um Aufnahmen zu machen, die er in den Track «Continental Drift» auf dem Stones-Album «Steel Wheels» mischte.

jajouka

Bachir Attar, der heutige Chef, war 1968 ein vierjähriger Knirps. Die Leitung der Truppe hat er von seinem Vater übernommen. Die heutigen Master Musicians führen die Tradition weiter. Sie heben in Stans an mit ohrenbetäubendem Getröte. Vier Rhaitas erklingen, die gewöhnungsbedürftige Töne erzeugenden Doppelrohrblattinstrumente. Dazu wird polyrhythmisch getrommelt. Die Musiker in grünen Gewändern wechseln bald die Plätze (Bachir Attar bleibt als Oberhaupt im Zentrum) und entspanntes Flötenspiel erklingt. Attar wechselt wiederum zur Gimbri (für den Maghreb typische Kastenhalslaute), der bisherige Perkussionist Ahmed Bahkat spielt nun Kniegeige (vertikal). Und: Die Mikrofone dienen nicht etwa zur Verstärkung der Rhaitas (die sind eh laut genug), sondern für den Gesang, der nun auch gepflegt wird. Langsam, aber sicher stellt sich das Hypnotische ein, wenn man sich darauf einlässt. Auch ganz ohne Kiffen. (Fortsetzung folgt)