Trunkene Deutsche, jubilierende Schweizer, tschechische Grammygewinner: Die Rauhnacht feiert!

Die in Metalkreisen bereits kultige Rauhnacht bewegte die Fans harter Klänge in die Schüür. Und jene siebte Ausgabe gab Grund zum Fest: Die Lokalmatadoren Abinchova feierten ihr 50. Konzert und die deutschen Headliner Finsterforst zelebrierten gar ihre 80. Show. Implosion Circle, Silent Stream Of Godless Elegy und Koenix feierten mit.

(Bilder Yvan Jost & Patricia Lang)

Schon im letzten Artikel wurde die Gestaltung von Konzertabenden mit mehreren Bands kritisiert. Hier waren es gleich deren fünf Stück. Folglich startete der Abend bereits um 19:30, weshalb die erste Show verpasst wurde. Schade, die wieder aktiven Thrasher von Implosion Circle hätten es verdient, noch ein paar Nasen mehr im Publikum zu sehen. Gerade instrumental wird hier einiges geboten, was das Musikerherz erfreut.

Rechtzeitig zum Konzertbeginn von Silent Stream Of Godless Elegy (kurz SSOGE) fand sich dann aber eine grössere Menge Metalheads vor der Bühne ein. Auf die Szene ist Verlass. Hier steht man nicht wie bei anderen Konzerten bis um elf Uhr praktisch allein in den Rängen, weil die Damen und Herren Hipster dem Züri-Vibe folgen wollen und erst dann aus den Löchern kriechen, wenn sie eigentlich schon wieder ins Bett wollen. Weiter im Text. Die tschechische Formation trat im Rahmen von sogenannten Austauschkonzerten auf, dieses Mal also organisiert in der Schweiz von Abinchova (die wiederum schon zu Besuch in der Tschechei waren). In ihrer Heimat sind SSOGE Stars: Unter anderem gewannen sie den tschechischen Grammy und unterstützten bekannte Gruppen wie Anathema oder Cradle of Filth live. Die Truppe bietet Doom Metal, gemischt mit Ethno/Folk-Elementen. Auf der Bühne standen denn auch ein Cellist sowie ein Violinist. Growls und klarer Frauengesang wechselten sich ab. So weit, so gut. Die Tschechen spalteten an diesem Abend die Geister. In meinen Ohren boten sie eine gute Show und der Sound funktionierte. Trotzdem gab es einige Metaller, die schimpfend den Weg nach unten antraten und sich dort am Töggelikasten bis zur nächsten Band ablenkten. Gerade diese musikalische Polarisierung könnte wohl ein Grund sein, weshalb es mit dem endgültigen Durchbruch im Ausland noch nicht geklappt hat. Die Songs haben zum Teil pathetische Eigenschaften, gerade wenn Sänger Pavel mit ausdrucksvollen Gesten seine Growls beisteuerte. Trotzdem: Jene, die oben geblieben sind, haben es nicht bereut. Es ging schnell und präzise an diesem Abend. Man merkte, dass jener Event nicht mehr viel zu tun hatte mit der ersten, lockeren Rauhnacht, die damals noch im Jugendhaus Meggen stattfand. Es wurde professionell gearbeitet und ordentlich Aufwand betrieben. Innert weniger Minuten standen denn auch schon Abinchova auf der Bühne. Die siebenköpfige Truppe ist in Luzern ein Metalphäno-men. Quasi aus dem Nichts schufen sie die Rauhnacht und damit eine Präsentationsplattform für Musiker, die sich vor allem (aber nicht nur) im härteren Sektor tummeln. Fünfzig Konzerte innerhalb von vier Jahren Bandgeschichte, darunter das Metalcamp in Slowenien, Supportgigs vor Ensiferum und Eluveitie sowie kommenden April das Ragnarök-Festival beweisen: Abinchova kommen an. Ihr stellenweise selbstironischer Stil, der aber nie dem offensichtlichen Ehrgeiz in die Quere kommt, funktioniert auch ausserhalb der Szene. Die Mischung aus Pagan-, Folk-, Black- und Melodic-Death-Metal macht’s. An diesem Abend vermochten gerade ältere Tracks wie «Eule» zu überzeugen. Der Song beinhaltet groovende, stampfende Parts, die sich mit der schnellen Grundstruktur ideal ergänzen. Tonartenwechsel, Operngesang: Solch eine Songwriting-Kunst findet man nicht in jeder Hartmusik-Formation. Das Tüpfelchen auf dem «i» bilden aber die Gitarren-Soli von David Zemp. Was dieser Herr auf seinem Instrument zaubert, darf vermerkt werden. Nur wenige Luzerner Gitarristen können es in diesem Gebiet mit ihm aufnehmen. Neuzugang Alexander an der Gitarre (der übrigens jeden Sonntag über zwei Stunden lang aus der Welschschweiz an die Abinchova-Proben reist) komplementierte die Saitenfraktion aber ordentlich. Ohne funktionierendes Fundament nützt schliesslich das beste Solo nichts. Mangelhaft war jedoch in der ersten Hälfte des Auftrittes der Sound. Es schepperte und blechte aus den Boxen, ein Graus. Der Schüürsche Hausmischer Alan Benz hatte aber eine plausible Erklärung dafür: Da Sängerin Nora im Vergleich zur restlichen Lautstärke der Band sehr leise singt, muss das Mikrophon aufgedreht werden. Dieses nimmt aber auch Umgebungsgeräusche auf, folglich also jene der Gitarren-Amps und des Schlagzeug. Da nützt der beste Mix nicht: Neue Singkno-chen wären wünschenswert. Abgesehen vom anfänglichen Sound-Desaster boten Abinchova aber eine solide, wenn auch vergleichsweise nicht aussergewöhnliche Show (ich denke beispielsweise an die Show mit dem Gitarrenduell und der Wodka-Wasserspritzpistole). Trotzdem: Diese Band ist ein grosser Gewinn für Luzern und wird hoffentlich auch das hundertste Konzert noch fleissig feiern dürfen.

Im Anschluss folgte der inoffizielle Headliner des Abends: Finsterforst aus dem Schwarzwald. Diese traten bereits öfters mit Abinchova auf und unterschrieben vor nicht allzu langer Zeit einen Vertrag bei Napalm Records. Im Vorfeld der Rauhnacht tönten sie an, jedem T-Shirt-Käufer an jenem Abend ein Gläschen Schnaps zu spendieren. Aber man müsse schnell sein, denn sonst würden sie den Fusel selber trinken. Tja, anscheinend waren die Luzerner tatsächlich zu langsam. Vorneweg: Das Konzert entwickelte sich zum Negativpunkt des Abends. Die Deutschen stürmten motiviert die Bühne, ein erfreuliche Start. Ein einschlägig bekannter Castingshow-Juror und nun wieder Bassist einer noch einschlägig bekannteren Schweizer Hardrock-Formation forderte einst «Meh Dräck». Da wäre er bei Finsterforst wohl glücklich wie ein Babyhündli, das in einen Frolic-Sack gefallen ist. Vollgeschmiert mit irgendwas Schlammähnlichen nudelten sich die Schwarzwäldler durch ihr Set. Die Aufforderung «ihr müsst mehr trinken!»war aber ebenso klischiert-doof wie ein zum Party-Schlager umfunktioniertes Akkordeon-Stückle, das man auch schon zehn Mal gehört hat. Zumindest wurde zu diesem Zeitpunkt bewusst, dass das Handzuginstrument nicht bloss Verzierung war. Besonders schlimm wurde es bei jenem einen, winzigen Gitarren-Solo, das klang, «als ob ein Zweitklässler die Klampfe verkehrt herum in die Hand nahm und versuchte, damit ‹Stairway to Heaven› zu spielen» (Originalzitat eines Besuchers). Sogar Musiker, die an diesem Abend bereits aufgetreten sind, verzogen in jenem Moment das Gesicht. Doch einfach nur zu mokieren täte Finsterforst unrecht. Die Band schaffte es, die bis zu jenem Zeitpunkt ein wenig kühl reagierende Konzertmeute endlich zu aktivieren. Gerade im vorderen Drittel der Schüür fand die Party statt, weiter hinten hingegen machte sich die erste Müdigkeit breit. Nach ein, zwei Zugaben war dann auch diese Show vorbei, es galt, den letzten Act des Abends zu begrüssen. Und auch der ist kein Unbekannter. Die Schweizer Mittelalterband Koenix ist unter Kennern bekannt und beliebt. Ihre fantastischen Bühnenoutfits, die sie als Berggeister darstellen, sind legendär. Hervorgegangen aus Des Koenigs Halunken findet man die Band auch ausserhalb der nationalen Grenzen an Mittelalterfestivals und Konzerten. Sackpfeifen, Flöten aller Art und verschiedenste Trommeln sind ihr Markenzeichen. An der Rauhnacht waren sie als eine Mischung aus Rausschmeisser und Special-Act für den endgültigen Durchbruch des metalschen Party-Gens zuständig. Das taten sie gekonnt. Und schnell. Sehr schnell sogar. Noch bevor ihr Mischer aus dem Backstage hinter dem Mischpult stand, war die Formation bereits am Losdudeln. Schüür-Mischer Benz verhinderte gerade noch einen unverstärkten Start der Show. Die Musik animierte tatsächlich zum Tanzen und nicht nur die «last standig drunken guys» bewegten ihre Hüften und Beine zu den Flöten- und Trötenklängen. Gerade letzteres wurde aber irgendwann zu viel. Vermutlich war’s die Schalmei (eine Art Blasinstrument), die den Autor dieser Zeilen schon ein wenig früher auf den Nachhauseweg trieb.

Als Fazit sei anzufügen, dass die siebte Ausgabe der Rauhnacht als gelungen empfunden wurde. Schade, konnte dieses Mal kein Headliner der Marke Ensiferum engagiert werden (obwohl man nahe dran war, wie gemunkelt wurde), aber die Stilbreite und fünf Bands entschädigten für die 25 Franken mehr als genug. Ein wichtiger Fakt zum Schluss: Diese Konzertreihe wird von Abinchova, wie schon erwähnt, in Eigenregie organisiert und auf die Beine gestellt. Hier wird viel Geld, Zeit und Leidenschaft investiert. Nur schon deshalb gilt es zu hoffen, dass dieser Event noch lange stattfinden wird. Auch wenn es dann einmal fünf Franken mehr kosten sollte: Kunst ist nach wie vor nicht selbstverständlich und gratis. Ganz egal, was gewisse Piraten-Fraktionen labern. Und just in solchen Momenten wünscht man sich wieder ein wenig ins Tonträger-Mittelalter von LPs, Kassetten und CDs zurück. Aber weiterhin mit solchen Konzertabenden.