Traumstadt Viscosistadt

Viscosistadt, Emmenbrücke, 09.03.2019: Bei der Premiere von «Cybercity» tauchten die Zuschauer*innen ein in die skurrile Welt eines Filmstudios. Es ist die Verhandlung einer Utopie, welche die Grenzen zwischen Realität und Fiktion aufzulösen sucht.

Bilder: Luzerner Theater

Nach der Oper «Rigoletto» wurde die Viscosistadt in Emmenbrücke zum zweiten Mal zur Aussenstätte des Luzerner Theaters. Das Jugendprojekt «Cybercity» stand, wie «No Future Forever» vor zwei Jahren, im Zeichen der Zukunft. Über 30 Jugendliche und junge Erwachsene aus unterschiedlichsten Disziplinen erschufen eine fiktive Welt, an den Grenzen zwischen Realität und Fiktion. Begleitet wurden die Laienspieler*innen aus Luzern vom preisgekrönten Theater- und Filmregisseur Mirko Borscht. Ein Mix aus Theater, Installation und einem Live-Film-Konzept erforderte von allen Beteiligten viel Zeit und Energie, sowie Liebe und Leidenstaft für das Projekt, meinten Borscht und Dramaturg Nikolai Ulbricht im Vorfeld der Premiere.

Während einem halben Jahr liefen die Vorbereitungen und Proben von «Cybercity» in den Räumen der Viscosistadt. Erzählt wurde die Geschichte von Hele Bristen, einer berühmten Schauspielerin. Im Zuge eines einmaligen Angebots für einen Film liess sich die selbstbestimmte, schöne und wohlhabende Protagonistin digitalisieren, in der Hoffnung auf eine lang ersehnte Glanzrolle.

Studierende in Textil- und Objektdesign der «Hochschule Luzern – Design und Kunst» entwarfen selbst Teile der aufwändigen Kostüme und Bühnenbilder. Dadurch konnten sie an der Entwicklung der Charaktere und des Geschehens aktiv teilhaben. Die vielfältigen Kostüme und szenografischen Elemente sorgten für ein eindrückliches Erlebnis im regen Treiben der Filmwelt.

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Anfang, Mitte und Ende waren die einzigen Szenen, in denen die Schauspieler*innen nicht improvisierten. Dazwischen konnte sich das Publikum frei in den Räumen der «CyberCity» bewegen und verschiedenen Szenen folgen. Teilweise wurde man aktiv aufgefordert, an einem bestimmten Ausschnitt teilzuhaben. So zogen beispielsweise gegen die fünfzig singende  Zuschauer*innen einer Prozession ähnlich um den grossen Kinosaal. Acht Kameras filmten zeitgleich jede einzelne Episode, die dann in körnigem Schwarzweiss an einer Kinoleinwand im Saal zu sehen war. Schnell konnte man den Überblick in dem Gewimmel der Filmwelt verlieren. Ein notwendiger Blick ins Programmheft mit Beschreibungen zu Figuren und Räumlichkeiten bot dabei einen Anhaltspunkt zur Orientierung.

Trotz mehreren parallellaufenden Handlungen fügte sich die Musik des eigens für das Projekt gegründeten Cybercity Space Septett gut ins Geschehen ein und setzte pointierte Akzente. Unter der Leitung von Silvan Koch und Janos Mijnssen, die unter anderem beide mit der Band des Zürcher Singer-Songwriters Faber auftreten, und in enger Zusammenarbeit mit Borscht tüftelten die Musiker seit einem Jahr an den Klängen, die teils klassisch und melancholisch, teils rhythmisch und elektronisch das Geschehen begleiteten.

Am Ende geriet die Traumstadt durch einen plötzlichen Angriff von Viren auf das System ins Wanken. Darsteller*innen und Publikum wurden zu ihrer eigenen Sicherheit in den grossen Kinosaal gebeten. Langsam begannen die Grenzen zwischen digitaler und realer Wirklichkeit zu bröckeln. Ist die Shell-Tankstelle draussen nun real oder fiktional? Prägt die Realität die Fiktion, oder die Fiktion die Realität?

Die Utopie bilde in «Cybercity» nicht lediglich einen Zustand von Frieden, Freude, Eierkuchen ab, sondern zeige den Menschen, wie er seinem Wesen nach sei: ein grosses Rätsel, so Borscht. Und wirklich, der dreistündige Abend in der Filmwelt war zwar teilweise ein ziemliches Durcheinander voller Unklarheit über das Geschehene. Gleichzeitig bot die Präsentation eine unkonventionelle und einzigartige Theatererfahrung, die für jede*n im Publikum unterschiedlich war.

Luzerner Theater: Cybercity
MI 13. März, FR 15. März, DO 21. März, SA 23. März, FR 29. März, SA 30. März, SO 07. April, MI 17. April, DO 18. April, jeweils 19.30 Uhr
Viscosistadt, Emmenbrücke

Spiel: Mahdi Abedi, Noah Beeler, Nathalie Branny, Iris Grüter, Simon Grüter, Theba Grüter, Abdo Taha Hamada, Flavia Hunziker, Zakir Hussain, Sayed Faez Hussini, Jessica Kqiraj, Lia Kraft, Maryam Massaaf, Matthias Meister, Marienne Montero, Katja Portmann, Esma Rrahmani, Raphael Schmitz, Dominik Turtschi, Oliver Wasem, Effi Zihlmann, Venancio Eberli, Emanuel Baumann

Regie: Mirko Borscht; Bühnenkonzept: Ingo Groher, Mirko Borscht; Kostüme: Elke von Sivers; Licht: Mirko Borscht, Ingo Groher, Elias Wieland; Dramaturgie: Nikolai Ulbricht; Projektleitung: Christine Cyris, Nikolai Ulbrich; Technische Leitung: Julius Hahn, Elias Wieland; Regieassistenz und Abendspielleitung: Gilda LaneveCybercity Space Septett: Joachim Flüeler, Max Kämmerling, Silvan Koch, Niklaus Mäder, Marius Meier, Janos Mijnssen, Moritz Widrig

Tontechnik: Stefan Schneider, Amadis Brugnoni; Maske: Lou Smolny; Maskenassistenz: Geraldine Diem, Nadine Halter; Kostümwerkstatt: Nina Balzer, Anita Bucheli, Delphine Queval, Monika Malagoli; Ankleiderinnen: Anita Bucheli, Delphine Queval; Kamera: Ahmad Alizada, Francisco da Silva, Ruyang Flores Nguyen, Gilda Laneve, Nikolai Ulbricht; Live-Schnitt: Eleonora Camizzi, Mirko Borscht; HSLU-Objektdesign: Lorena Adler, Natalie Agreda, Lea Bissig, Selina Cadruvi, Ursina Haslebacher, Leonie Hochstrasser, Nadia Huber Meichtry, Eunji Jun, Deiara Kouto, Oleksandra Medvedeva, Melina Michaelides, Joshua Ritler, Hye Seomoon, Viviane Stüssi, Bigna Suter, Lukas Toppler, Meret Trösch, Aynur; HSLU-Textildesign: Tiffany Avila, Cathrin Bär, Eva Brunner, Céline Eberle, Lea Fankhauser, Hanna Hüttig, Alexander Khan, Dominique Lanz, Cindy Petöcz, Selina Schärer, Alexandra Schläpfer, Ramona Teller, Benjamin Willi

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