«Träumst du schlimmes Zeug?»

ZHB Luzern (Sempacherstrasse), 08.09.2015: Frischgedrucktes gabs von Hansjörg Schertenleib in der Zentralbibliothek zu hören und kommentiert. Ein Dienstagabend für Literaturliebhabende, so gemütlich wie interessant.

Den Roman «Jawaka» und die über 35 Jahre sich erstreckende Gedichtesauswahl «Lichtung, Strand» (beide im August veröffentlicht) standen auf dem Podest vor den Neuerwerbungen der ZHB: zur An- und Lobpreisung, zum Hinterfragen und Kennenlernen. Urs Bugmann (Stadtmühle Willisau) führte strukturiert entlang der beiden Werke durch den Abend. Geschickt eröffnet er mit der captatio benevolentiae, dass es ja auf die Qualität und nicht Quanität des Publikums ankäme, und blickt dabei auf die etwa halbwegs belegten vierzig Stühle, deren Reihen noch viel Platz offen lassen im leergeräumten, schön lichtgefüllten Bibliothekssaal. Im gepflegten Literaturkritiker-Ton leitet Bugmann in Schertenleibs Lyrik ein. Dann die Autorenlesung und –lese aus «Lichtung, Strand». Im Dialog mit dem Dichter wirft Bugmann gute Fragen auf und gestaltet den Übergang zum Prosateil geistreich. Nach den Auszügen aus «Jawaka» folgt wieder erst ein Dialog, zuletzt öffnet das Gespräch mit dem Autoren ins Publikum.

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Wenn Schertenleib spricht, sticht erstmal der Stilbruch gegenüber Bugmann ins Ohr. Salopp und in Mundart umgarnt er seine Zuhörer_innen, mit dieser Zunge kommentiert er auch knapp zwischen seinen vorgelesenen Gedichten, die bis auf Eines im Standard geschrieben sind. Sein Vortragsstil wirkt gedrängt, weder zwischen Lauten, noch Worten, noch Zeilen, und leider auch nicht zwischen den Stücken, ist viel Suhlen möglich. Die Sprache reiht sich meist kahl aneinander wie die Naturphänomene, Waffen und Organe in seinen Gedichten. Selten, aber passend, dehnt sich ein Moment, wird durch Wiederholung retardiert. Auch das «Merci förs Zuelose.» fügt sich dem letzten Gedicht an, als stünde es in seiner Schlusszeile. Das Schöne an Autorenlesungen ist ja, dass der Autor als Vorleser nicht brillieren muss, um das Publikum zu überzeugen. Literatur ist immer noch da, um auf Papier oder am Bildschirm gelesen zu werden. Und das Publikum ist da, um den Menschen zu treffen und zu hören, wie er von der persönlichen Beziehung erzählt, die Schriftsteller_innen zu ihrer Sprache haben, seinen Schreibprozess schildert und das Verhältnis zu seinen Werken. Das tut Schertenleib auf wunderbare Weise mit seinen wertvollen Gedanken, umgänglichen Ton und gemeisterten Umgang mit der Sprache. Immer wieder bringt er die Anwesenden zum Schmunzeln, zum Lachen, zum Staunen. «Das klingt jetzt wieder so hochgestochen, aber die lyrische Ader kann man ja auch in der Prosa ausleben. Meine Lektorin hat mir gesagt, dass ich mit jeder Landschaftsbeschreibung 150 Leser verliere. Das stimmt wohl.» Die «Jawaka»-Ausschnitte erzählen von Katzenfressern und Wölfen, denen das Schafereissen freisteht, ihnen aber kein Haar gekrümmt werden darf. Und von schlimmen Träumen: «Hast du nicht? Schade.» Der Roman hat drei verschachtelte Erzähler, allesamt etwa fünf bis hundert Jahre in der Zukunft lokalisiert. Ob er Probleme beim Zöpfen der drei Stränge hatte? Ja, selbstverständlich: «Ich bin nicht Schriftsteller, um keine Probleme zu haben. Jeder Satz ist ein Problem für mich, und das ist auch schön so. Die Sprache hat es verdient, dass man sich an ihr abmüht.» Er ging in der Anfangsphase davon aus, dass «Jawaka» eine Dystopie werden würde, aber nun ist es auch irgendwie eine Utopie, die Dorfgemeinschaften, die er beschreibt, die Riten, die er für sie erfunden hat. Eine Figur der Erzählung, die als Leiche auf einer Mülldeponie landet, hat offensichtliche biographische Parallelen mit dem Autor, insbesondere teilen sie den Namen. Die Frage aus dem Publikum war zu erwarten, die Antwort ist entzückend: Die Bezüge würden von der Leserschaft ja sowieso hergestellt werden. Warum also nicht gleich eine Namensvetterschaft? Dann muss nämlich eher gefragt werden: kann es sich wirklich um dieselben handeln?