Träne ufem Schüürbode

Konzerthaus Schüür, 08.03.2018: Mit seinem urbanen, positiven Sound durchbrach Stereo Luchs 2017 die bisher relativ eng definierten Linien des Schweizer Raps. Auf seiner Albumtour stoppte der Zürcher Dancehall-Rapper in Luzern und brachte jamaikanisches Flair sowie Autotune in die langsam auftauende Leuchtenstadt. Trotz vorwiegend eher ernsten Themen feierte das grösstenteils Ü20-Publikum freudig neue wie auch alte Lieder des Mittedreissigers.

Denjenigen, die ihre CH-Rap-Hausaufgaben regelmässsig machen, ist Stereo Luchs sicherlich seit spätestens 2014 ein Begriff, als er auf «Vol. V» zum Hip-Hop-Kollektiv Temple of Speed gestossen ist. Allen anderen wird der Musiker  wohl seit Ende 2017 bekannt sein. Zu dieser Zeit kam sein Album «Lince» auf dem Markt, wodurch der Luchs von SRF 3 als Best Talent nominiert wurde. Die Platte selbst erschien als erstes Schweizer Werk überhaupt beim Musiklabel «Island Records», wo unzählige weltweit bekannte Künstler*innen unter Vertrag stehen wie beispielsweise die ebenfalls von Dancehall beeinflussten Sean Paul und Drake. 2017 war für Stereo Luchs also der Startschuss, um komplett durchzustarten.

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In den vier Jahren zwischen dem Debüt «Stepp usem Reservat» und Nachfolger «Lince» hat sich Stereo Luchs’ Style klar weiterentwickelt. Er ist mit der Zeit gegangen, sich aber trotzdem treu geblieben. Der Rapper, welcher seine Karriere als DJ startete, präsentiert sich auf seinem Zweitling versierter, und der Reggae-Einfluss ist etwas weniger stark präsent im Vergleich zu früheren Songs. Nach wie vor wirkt er aber in seinem Schaffen bodenständig und geht in den Texten auf persönliche und alltägliche Themen ein, mit welchen sich scheinbar auch die in der Schüür anwesenden Gäste identifizieren konnten.

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Stereo Luchs, gebürtig Silvio Brunner, zeigte sich von A bis Z motiviert und hatte sichtlich Freude daran, dem Publikum seinen tanzbaren Sound live zu servieren. Der Mix aus Dancehall, Trap und Reggae, gepaart mit einer individuellen Art des Textens, lässt sich auf Schweizerdeutsch sonst kaum wo finden. Das wusste man hier gemäss den Rückmeldungen der Konzertbesucher*innen zu schätzen. Schön war vor allem, dass für einmal der sonst im Rap so präsente Kantönligeist aussen vor gelassen wurde. Immer wieder wendet sich Stereo Luchs an seine «Luzerner Crowd» und sprach an einem Punkt auch darüber, dass wir ja eigentlich überall, in allen Städten die gleichen Probleme haben würden. Dem Rapper schien es dementsprechend wichtiger, dem Publikum die ihm wichtigen Themen und seinen persönlichen Stil zu vermitteln, als seine Heimatstadt zu glorifizieren. Abgesehen vom Autotune wirkte hier nichts gekünstelt. Trotz toller Stimmung hätte aber etwas mehr Energie dem Konzert nicht geschadet. Der Luchs tigerte teilweise etwas sehr ruhig auf der Bühne herum und musste sogar mal eine Pause einlegen. Man darf aber nicht vergessen: Dieser Herr ist schon einige Jahre länger im Business als viele seine beinahe hyperaktiven Kollegen aus den jüngeren Rängen.

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Zu den Highlights des Konzerts gehörte sicherlich das Lied «Bellevue» mit dem (leider abwesenden) Jamaikaner Natel, welches sofort für positive Vibes im ganzen Raum sorgte. Der Songtitel bezieht sich übrigens nicht auf den bekannten Zürcher Platz, sondern auf eine psychiatrische Abteilung in Jamaika – so viel zum Thema Kantönligeist. Auch «Ufe», das wohl bekannteste Lied der LP, auf welchem Newcomer Pronto zu hören ist, durfte natürlich nicht fehlen. Der Track symbolisiert sehr schön die Symbiose zwischen alt und neu, heisst: Traditionelle Reggae-Klänge wurden zu etwas komplett Neuem umformiert. Kaum vorstellbar wie die Energie im Raum gewesen wäre, wenn Pronto das Publikum mit seiner Anwesenheit beehrt hätte; doch war er ebenfalls abwesend. Beim letzten Lied des Gigs und gleichzeitig des Albums, «Ziitreis», riss Stereo Luchs nochmals alle Anwesenden richtig mit. Der Track ist neben «Sie seit» eines der persönlichsten und ehrlichsten Lieder des Albums. Melancholisch, aber gleichzeitig positiv vermochte dieses Lied nochmals das Phänomen des Rappers zu fundieren. Stereo Luchs verkörpert etwas, das Schweizer HipHop scheinbar mehr denn je benötigt: mehr Positivität, Bodenständigkeit und weniger Hasstiraden. Andere Künstler*innen bringen das durchaus ebenfalls mit – aber halt nicht in der Paarung mit dem einzigartigen Sound von «Lince».