Teil I – Tour de l’art oder wie man sich durch die Flut von Luzerner Vernissagen bewegt (oder auch nicht)

Stadt Luzern & Agglomeration, FR 26.08.2016: Nach der Sommerpause fahren viele Kunsträume mit neuen Ausstellungen auf. An diesem Freitag waren mindestens sieben Eröffnung am selben Abend geplant. Nachfolgend eine erste Prise der aktuellen Kunstschauen.

Die Ausgangslage ist ambitioniert: Auf dem kleinen Notizzettel in der Tasche standen die Daten von insgesamt sieben Ausstellungseröffnungen am Freitagabend, den 26. August 2016. Das Wochenende vor dem Kunsthoch-Aktionstag und gleichzeitig das erste Wochenende nach den Sommerferien bedeutet für viele Kunstinstitutionen: Saisoneröffnung! Galerie Urs Meile, 18.00 Uhr Benzeholz Meggen, 18.30 Uhr Akku Emmenbrücke, 18.30 Uhr Alpineum Produzentengalerie: 19.00 Uhr Galerie Kriens, 19.00 Uhr Museum im Bellpark, 19.00 Uhr Tat-Ort Bernstrasse, 19.00 Uhr Arbeiten bis um 17.55 Uhr und dann von der Kunsthalle Luzern mit dem rosaroten Fahrrad den Maihofhügel erklimmen. Die erste Station ist die Galerie Urs Meile, die mit Christian Schoeler (1978–2015) einen deutschen Maler ausstellt, dessen Werke vor vier Jahren das letzte Mal in Luzern gezeigt wurden. «Rembrandt as a Boy» nennt sich die sanft kuratierte Ausstellung in den stark ausgeleuchteten Räumlichkeiten.

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Ein ziemlich dynamisch gesetztes und mit Neonpigmenten versetztes Stillleben erwidert den ersten Blick in der Galerie. Ein auf 215cm x 145cm komponiertes Blumenchaos bildet – flankiert vom titelgebenden, offensichtlich in der Manier vom Rembrandt portraitierten Jüngling – den Auftakt für eine Reihe an homoerotischen, figurativen Darstellungen. Zwei Selbstdarstellungen als Nackter, bekleidet einmal mit Hut und einmal mit Pinseln, bilden eine äusserst ausdrucksstarke Dopplung an der Galeriewand.

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Kleinformatige Papierarbeiten reihen sich in einer luftig-narrativen Hängung an einer anderen Wand. Filigran und mit einem weichen Farbenspektrum hat Christian Schoeler leicht verschwommene Szenen aus dem Leben junger Männer dargestellt. Mysteriös erscheinen angedeutete nackte Körper, die sich in der Natur (Strand, Wiese, Wald) zu bewegen scheinen. Schoeler selbst ­– 2015 nach schwerer Krankheit sehr jung verstorben – hat selbst über seine Malerei gesagt: «I’m trying to paint in a way that resembles how it feels to kiss somebody.» Und diese Fragilität eines bestimmten Moments lässt sich in seinen kleinformatigen Arbeiten ansatzweise nachvollziehen, insbesondere anhand der leicht diffusen Bildwirkung. Innerhalb der Kompositionen ergibt sich ein ambivalentes Hin und Her zwischen Schärfe und Unschärfe, Details verschwimmen vom einen Moment auf den anderen und scheinen sich in einem unsichtbaren Kontinuum aufzulösen.

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So, die erste fundamentale Entscheidung steht an: Ab über Adligenswil nach Meggen hin zum Benzeholz oder: ab über den Sedel mit dem Fahrrad, dabei beinahe das eigene Leben im Feierabendverkehr gefährden, dann den komplizierten Seetalplatz traversieren und schon ist man in der Kunstplattform akku in Emmenbrücke. Die ewiglange Baustelle vor dem Haus ist mehrheitlich gewichen und die Herbstsaison wird mit einer namhaften Gruppenausstellung eröffnet. Zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler (Lena Eriksson, Chris Handberg & Steven Schoch, Claudia und Julia Müller, Christine Streuli, Celina & Nathalie Sidler u.a) werden mit kommunalen Sammlungsbeständen von Alfred Bernegger, Hans Emmenegger, Adolf Herbst u.a. kombiniert. Der Ausstellungsflyer in knalligem (und leicht sozialistisch angehauchtem) Rot verrät, hier geht es um die Themen Leben und Arbeit sowie deren Verschmelzung. Das Motive der Flyer-Vorderseite entpuppt sich als raffinierte Collage aus drei unterschiedlichen Arbeiten. Eine nur selten ausgestellte Werkgruppe gibt es von Christine Streuli (*1975), die man mehrheitlich für ihre farbintensiven (Wand-)Malereien kennt. Komplett in Messing gegossen, befinden sich stereotypische Feriensouvenirs und Kinderspielartefakte an Goldketten, die wiederum an Ästen gehängt sind. Man ist unweigerlich an die bizarren Umhängsymbole amerikanischer Subkulturen erinnert, doch taucht man eigentlich in die persönliche Dingwelt der Künstlerin ein.

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Eine sehr anziehende Arbeit stellt Bianca Padrina (*1985) an der grossen Längswand vom akku aus. Ihr «Tagebuch einer Hausecke» besteht aus 356 Fotografie-Tafeln, die als Posterfächer aneinandergereiht und für die Besucherinnen und Besucher interaktiv zur Durchsicht präpariert sind. Die dreieckige Form eines Hausdachs, das ins Himmelblau ragt und sich fortlaufend und in identischer Komposition wiederholt.

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Die Ausstellung in der Kunstplattform akku zeigt sich als vielseitige Entdeckungsreise unterschiedlicher Kunstmedien. Neben den markanten Linol- und Holzschnitten älteren Datums mit Stillleben, Familiendarstellungen und Alltagssituationen reihen sich zeitgenössische Arbeiten relativ unaufdringlich in die Gesamtszenerie.

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Auffällig ist die Fahneninstallation (die performativ vom lokalen Fahnenschwingverein eingesetzt wurde) von Celia & Nathalie Sidler. Die Obwaldner Zwillingsschwestern haben Stoffbahnen mit Zitaten und Sprüchen aus dem Alltag von Müttern und Ehefrauen bedruckt. «So, d’Chind im Bett und jetzt gaads los!» steht in Druckbuchstaben geschrieben, jedoch ohne Antworten zu liefern. Diese lassen sich selbst erahnen und versinnbildlichen den Ausstellungstitel «Arbeit am Leben».

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Die Ausstellung in der Kunstplattforum akku kann noch bis zum 9. Oktober 2016 besichtigt werden und in der Galerie Urs Meile sind die Arbeiten von Christian Schoeler noch bis zum 5. November 2016 ausgestellt.