Tauwetter im Südpol

Südpol Kriens, 24.11.2013: Im Schneeregen feierte das jüngste Kulturhaus Luzerns sein Fünfjähriges. Die übersichtliche Besucherzahl wurde dem vielseitigen Angebot zwar nicht gerecht. Trotzdem gab es angenehme Überraschungen.

Die Kulturbranche Luzern hat momentan jedes Jahr etwas zu feiern. Im 2011 wurde der Sedel 30 Jahre alt, 2012 die Schüür 20, dieses Jahr der Südpi fünf und im 2014 erreicht das Treibhaus sein zehntes Altersjahr. Jede Location mit Stammpublikum und Stammbands feierte auf ihre Art und Weise. Sei es im Openair-Stil und verschiedenen Aktionen à la Sedel, Gisiparade in der Schüür oder jetzt der Südpol auf seine… Art und Weise? Was ist denn überhaupt die „Art und Weise“, wie der Südpi feiert? Gekannt wird? Geliebt wird? Beginnen wir überspitzt klischiert: Im Sedel sind Punks, Goths und Metalheads daheim, die Schüür steht für Partyvolk und internationale sowie lokale Acts bereit, das Treibhaus liegt irgendwo dazwischen und der Südpol? Dieser bewegt sich im Umkreis  hungriger Hipster, Indies und Freunde elektronischer Klänge. Als Boa-Ersatz erhielt das  Metallmonster nie wirklich Liebe, gerade die Anfänge waren schwer. Wer sich im Kuchen ein wenig umhört, bekommt immer den Begriff „Kälte“ zu hören. Passend zum Namen erreichte der Südpol nie wirklich eine warme Atmosphäre, vor allem Konzerte erschienen immer ein wenig kühl und unnahbar. Was nicht zwangsläufig schlecht sein muss, im Gegenteil! Techno, Electro oder diverse Indieklänge im Stile New Wave, Post Punk und Konsorten scheinen beispielsweise gut zu funktionieren. Dank des gelungenen Programms mit vielen verschiedenen, spannenden Sparten erkämpft sich die Venue ihren Platz im Luzerner Herz Stück für Stück.

Südpol I Musik, Tanz und Theater Und dabei reden wir gerade mal vom musikalischen Teil. Das Haus heisst schliesslich „Südpol I Musik Tanz Theater“ und versteht sich als Präsentator von verschiedenen Kulturangeboten, gerade abseits des Mainstreams. Neben den Hauptsparten (Musik, Tanz, Theater und ihren Kombinationen) kommen bildende Kunst, Literatur, Street und Digital Art ebenfalls im Programm vor. Und dabei werden noch nicht einmal jene weiteren Institutionen genannt, welche in den Räumen einquartiert sind (unter anderem das Luzerner Sinfonieorchester LSO, die örtliche Musikschule oder das Luzerner Theater). Obwohl im Pressetext synchrones Schaffen zwischen diesen Parteien betont wird, konzentrierte sich der in Folge beschriebene Abend vor allem auf Produktionen vom Südpol selbst, also Musik, Tanz und Theater.

Installationen, Performances, Führungen… und Musik! Beim Programm liessen sich die Verantwortlichen nicht lumpen. Ein vielseitiges Angebot sollte den  Besucher erwarten. Alle 12 Projekte im Detail zu beschreiben würde den ohnehin schon langen Text sprengen. Meine Wenigkeit interessierte sich vor allem für das musikalische Angebot. Schon beim Reinkommen in die Shedhalle spielten sich dort Muddy Ziemp und Howlin Säuzme ihre Finger an Blues-Licks wund. Anschliessend begann DJ Lord Peelnerd mit seinem Soundkosmos für weitere musikalische Untermalung zu sorgen. Neben Installationen von Künstlern wurden im Vorfeld Performances und Führungen geboten.

Motorama: Russische Leidenschaft Um 21:15 begann schliesslich das Konzert von Motorama. Der frühe Start überraschte zwar, trotzdem tröpfelten nach und nach Hörer herein. Der russische Fünfer   erschienen zu Beginn stark, im Verlauf ging ihnen aber die Puste aus. Obwohl sie knapp eine Stunde spielten, erschien der Gig wesentlich länger. Ihr Auftritt gefiel durch Leidenschaft und Engagement (das rechte Bein von Bassistin Irene wird nie vergessen werden). Musikalisch begannen hingegen die ewig gleichen drei Gitarren-Klimpertöne zu nerven.

Paul Granjon: Digital Brainstorming Im Anschluss erfolgte ein kleines Highlight. Knapp 60 Zuhörer (inklusive Bad Bonn Kilbi-Legende DJ Fett) wurden zur kleinen Halle gebeten, wo Paul Granjon wartete. Der französische Performance-Künstler mit Wohnort England demonstrierte eine Art Robotershow unter dem Namen „Digital Brainstorming“. Granjon in Worte zu fassen ist nicht einfach, weil sein Output gigantisch erscheint. Hinsichtlich seines Interesses an Robotern und der Zukunft bot er eine verrückte Performance, welche zum Lachen, aber vor allem Nachdenken anregte. Zwischen kuriosen Liedern mit selbstgebauten Robotern, Instrumenten (beispielsweise mittels Zitare 2, einer Art dreisaitigen Elektro-Ukulele) und Filmen über Waffentechnologien zeigte der Künstler Ausschnitte seines Schaffens und damit verbunden die Ausmasse, was Roboter heute bereits vermögen. Dabei erschienen verschiedene Bilder, von Androiden wie ASIMO bis hin zu gigantischen Kriegsmaschinen, die mehrere tausend Schuss pro Minute abfeuern können. Trotzdem wurde nicht mit der moralischen Keule geschwungen. Unterhaltung im Sinne einer Geburtstagsfeier war ebenso wichtig. Nur passend, dass Granjon zum Schluss eine Tanzeinlage mit dem elektronischen Sidekick „Mofo“ (ein 35cm hoher Roboter) bot, sehr zur Freude der Zuschauer.

Pablo Nouvelle: Elektronischer Tanz Das Programm war dicht organisiert und der nächste Spot wartete bereits in der grossen Halle: Pablo Nouvelle. Der Berner Synthi- und Samplermann (sowie Filmemacher) scharte mit Simon Borer an den Saiten und Mario Hänni hinter den Trommeltöpfen zwei Musiker um sich, die Qualität garantieren. Elektronische Musik – Techno, Disco, House – mit Instrumenten und dem Akai MPC-Sampler umgesetzt, so eine grobe Zusammenfassung. Vor allem die groovigen Beats, gezaubert auf dem Drumset von Hänni, begeisterten. Sein Spiel war intelligent aufgebaut und machte Spass, sowohl auditiv als auch visuell, mitsamt live gesampelter Stimme als i-Tüpfelchen obendrauf. Abseits des Tanzens hingegen erschöpften sich gewisse Songparts in Plattitüden, weil der repetitive Charakter (welcher wichtig sein kann, aber Spannungsverlust provoziert) manchmal den Druck vermissen liess. Wiederum kritisierten andere Stimme genau diese Tanz-Parts und lobten die ruhigeren Aspekte. Disco polarisiert im Endeffekt nach wie vor. Das ist aber generell Mötzeln auf hohen Niveau: Die Musik von Pablo Nouvelle ist wirklich gut und verdient ihren internationalen Charakter. Folglich ein Geburtstagsschmankerl, welches es sich weiterhin zu beobachten lohnt.

Die unglaublichste Geburtstagstorte der Welt Anschliessend liess der Südpol eine Bombe… respektive mehrere Bomben platzen. Eine kunstvoll dekorierte Schleckstängel-Torte (alias „die unglaublichste Geburtstagstorte der Welt“) mit vielen Glitzerfötzel und ein paar Drinks für den Jubilaren. Im gleichen Moment startete nämlich der ehemalige Südpol-Musikchef DJ Fett sein Set (fein, ein Reim). Mit  Klassikern sorgte er dafür, dass den bei Pablo Nouvelle warmgetanzten Waden keine grosse Pause gegönnt wurde.

Der Stil des Südpols Wer das Programm betrachtete und den Abend miterlebte, konnte die „Art und Weise“ des Südpols in Reinkultur geniessen. Schon mit den beiden „grossen“ Konzerten wurde internationaler Flair und Lokalesprit versprüht, zwischen Post Punk und live gespieltem Electro/House/Techno repräsentierten sie die stilistische Kernkompetenz des Hauses. Performances, Malereien, Videos und Installationen sorgten wiederum für die Wahrnehmung der darstellenden und bildenden Kunst.

Tauprozess Irritierend erschien aber die Anzahl Besucher. Diese blieb übersichtlich und das personelle Fassungsvermögen kam nie an einen kritischen Punkt. Generell fiel auf, dass kaum Werbung für den Geburtstag vom Südpi gemacht wurde. Zu Beginn des Auftrittes von Motorama befürchtete mensch gar, diese müssten vor praktisch leeren Rängen spielen, so leer war die grosse Halle. Im Endeffekt trauten sich dann doch noch ein paar Leute mehr her, doch ob die kleine Zahl am Wetter (Schneeregen in Strömen), den zahlreichen weiteren Kulturangeboten an jenem Weekend oder fehlender Werbung lag, bleibt als Frage im Raum stehen. Ein spannendes Phänomen mit Zukunftsaussicht zum Schluss: Durch die  kleine Publikumszahl passierte etwas, dass im Haus wie schon angesprochen vermisst wurde: Den ganzen Abend hindurch herrschte eine warme Atmosphäre. Fünf Jahre Südpol: Er beginnt zu tauen. Happy Birthday und allet Jute. Videozusammenschnitt: 5 Jahre Südpol (von Stoph Ruckli)