Tanche - Vvouvi

PlattenWechsler: Das Luzerner Quartett Tanche brachte im August dieses Jahres seine erste EP «Vvouvi» raus. Musik, die gleichzeitig überrascht, fasziniert und irritiert.

Eine toxische Portion an Synthesizern, Drums und Bass trommelt, hämmert und donnert auf das Trommelfell, als gäbe es kein Morgen mehr: «Kugelfisch» fasziniert und schmerzt, wie das Draufhauen mit flacher Hand auf das in Abwehrhaltung aufgeblasene Tier. Tut weh, ist aber trotzdem spannend, weil: Noch nie erlebt. Aua! Solche Experimente mit elektronischen und akustischen Tonquellen erwarten die Hörer*innen der EP des Luzerner Quartetts Tanche zuhauf.

Chadi Messmer (eb), Christian Zemp (g), Elischa Heller (electr) und Jonas Albrecht (dr) führen ihr Publikum mit einem Mix aus freier Impro und komponiertem Material durch fernab liegende Traumwelten. Diese Band probiert Neues aus und experimentiert bis zur Schmerzensgrenze mit allem bisher Vertrauten und Bekanntem. Im zweiten Stück «Ludwig» lassen die vier Jungs eine zunehmende Spannung durch viele perkussive Akzentuierungen der Gitarre entstehen. Zusammen mit Schlagzeug und schrillen Synthesizern ergibt sich ein immer dichter werdendes rhythmisches Gefüge, das alsbald einem Molotowcocktail gleich explodiert und die still vor sich hin Träumenden mit einer repetitiven, packenden Gitarrensequenz verbrennt. Dabei nicht an Schnellertollermeier zu denken, ist fast unmöglich. «Rights» oder «Riot» des Trios flammen im Gedächtnis auf, doch der Tanche-Tumult geht einen Schritt weiter: Frech, fulminant und fordernd ist sie, die Musik des Quartetts.

Nach den ersten beiden kürzeren, jedoch nicht minder energiegeladenen Kompositionen wird es beim Titeltrack «Vvouvi» ruhiger. Ein düsterer Klangteppich, getränkt mit viel Bizarrerie erzeugt ein Gefühl von Unbehagen – ist das noch Musik? Eher Geräusche? Gar Lärm? Sprich: Noise? Ist Noise Musik oder Musik Noise? Nach einem kurz ausbrechenden Klangchaos, in dem sich die tiefsten und scheusslichsten Abgründe der modernen Welt verbergen, ereignet sich der nächste Höhepunkt, nun überraschend ruhig, minimal und krautig-elektronisch.

Doch in dieser Musik ist nichts stetig und jede noch so pure Schönheit des Moments wird abgelöst von ihrer Vergänglichkeit. Das Stück mündet in eine rockige, ungewohnt lineare Sequenz, die so «normal» wirkt, dass sie fast schon wieder langweilig klingt. Irgendwie unfassbar. «Knapp aber nein» beendet dann den Traumtrip, aber ein einfacher Abgang ist das nicht. Das Stück greift mitten in den benommenen Kopf, lässt kaum aufwachen. Harmonische Gitarrenklänge über einen schrägen Beat ebnen schliesslich doch einen Weg gen Ausgang, gespickt von Synthie-Stecknadeln. Doch ehe man sich auf das Ende besinnt, folgt ein plötzlicher Bruch, der noch einmal eine neue Komposition oder Impro andeutet. Zusammengefasst wirkt die Sequenz ähnlich einem stillen, schwerelosen vor sich hin Schlummern vor Anbruch der Morgendämmerung – nach einer Nacht voller giftiger Fieberträume und angenehmen Tiefschlaf-Episoden.

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Kopf zerbrechen für Kopfschmerzen: v.l.n.r. Chadi Messmer (eb), Christian Zemp (eg), Jonas Albrecht (dr), Elischa Heller (electr)

Tanche entstanden 2017 im Rahmen des Bachelorabschlussprojekts von Jonas Albrecht an der Hochschule Luzern – Musik. Der Südpol Luzern stellte der Band damals für eine Woche die nötigen Räumlichkeiten zur Verfügung, um in die Tiefen experimenteller Musik einzutauchen. Die Musiker unterscheiden sich durch verschiedene Hintergründe und Banderfahrungen. Gemeinsam verbindet sie die gemeinsame Freude am Tüfteln mit unkonventionellen Klängen und Tonquellen. Auf diese Weise gerieten unter anderem auch Milchschäumer, Metronom oder Klangschalen in die Aufnahmen. Viele Ideen und Inspirationsquellen für den Sound entsprangen weiter aus der Beschäftigung mit «Extended Techniques».

Während auf der EP die Komposition überwiegt, wird live mehr improvisiert. Dies wiederum mit neuen Instrumenten und Gegenständen. Das Konzept von Tanche? Keines. Die Band spielt mit etlichen Standards und Genres der Kunst, durchbricht diese bewusst und lässt immer wieder Neues entstehen. In ihrer Musik widerspiegeln sich postmoderne Vielfalt, Schnelllebigkeit, Turbulenz, Technik, Komplexität und vieles mehr. Der Zeitgeist formt die Musik, oder war’s umgekehrt? Fest steht: Dieses Werk in Worte zu fassen ist verdammt schwierig. «Selber hören», lautet die Empfehlung!

Tanche: Vvouvi (2018)  (Eigenvertrieb)
tanche.bandcamp.com

Live: FR 21. September, 22 Uhr, Gamut Festival, Bogen F, Zürich

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