Szenischer Jazz und viel Global-Alpines

Altdorf, 12.–14.8.  Es ist beim im Zweijahrestakt ausgetragenen Internationalen Festival Alpentöne wieder Zeit für allerlei und allerhand, für Traditionelles, Unkonventionelles, Innovatives aus dem Alpenraum, im Theatersaal, im Beizensäli, in der Kirche und gratis draussen auf dem Lehnplatz. Erste Eindrücke aus Uri.

(Bilder: Alpentöne, Angel Sanchez/Rafael Brand)

Eine grosse Kiste zum Auftakt am Freitag im theater(uri), das auch als Tellspielhaus genutzt wird. Volker Hesse, der Regisseur auch der nächsten «Tell»-Insznierung 2012, hebt zu einer Eröffnungsrede an, in der er einige klare Worte formuliert für das Musikerlebnis und gegen Gier und Bankengetue (und Krieg). Dann geht’s los mit der mit «Berg Heim» betitelten Auftragskomposition des italienischen Jazzers Gianluigi Trovesi (Sax, Klarinette). Er hat sich den Roman «Zauberberg» des deutschen Grossschriftstellers Thomas Mann vorgenommen. Gespielt wird von Jazzsolisten zusammen mit dem Orchestra della Svizzera italiana, mit Verve (oder ja nach dem: leicht exaltiert) dirigiert von Stefano Montanari, der auch famos Geige spielen kann. Die Orchestersuite will Klassik, Folklore und Jazz verbinden, in sieben Teilen, die eine Reise von Hamburg nach Davos vermitteln. Wenn man’s merkt. Trovesi kommentiert zwar zwischendurch auf Italienisch, aber erschliessen will sich einem das Inhaltliche nicht unbedingt zwingend (ausser man hat vielleicht den Roman präsent). Es ist etwas Schönes, das Orchester und die Solisten spielen zu sehen, doch unterschiedlichen Stile wollen sich nicht so recht verbünden bzw. einzeln recht Kontur gewinnen. Schön, gewiss, aber auch schön brav. Oder positiv formuliert: noch nett.

Trovesi und Dirigent Montanari sieht man im Anschluss auf dem Lehnplatz ganz vorne sitzen beim Auftritt der österreichischen Familienband(e)  Citokisum. Ihr Programm «9 Sitze, 7 Schlafsäcke und der Goldfisch». Fusioniert wird hier der Sound der Citoller Tanzgeiger mit den klassischen Streichern von Netnakisum. Das ist, bei übrigens hohen Frauenanteil, unprätentiös sympathisches Musizieren mit Geigen, Cello, Klarinette, Handorgel, Gitarre, Tuba und «am Gesang», Uraltes aus dem frühen 18.Jahrhundert (ein paar damals wegen vermuteter unzüchtiger Folgen verbotene Tanzstücke, so genannte «Schleuniger» werden in schnellem und weniger schleunigem Tempo vorgetragen). Citokisum bringen Altes ins Heute und singen schon mal prophetisch EU-Kritisches. Aber auch dies: ein gegeigstes «Highway Star» (von Deep Purple) und – leider – zum Mitschunkeln als Zugabe «Yellow Submarine».

Wieder drin im Theatersaal: Uraufführung Kaspar Ewalds Exorbitantes Kabinett, ein vielköpfiges Jazzensemble mit alleine 10 Bläsern, dazu Drums, E-Bass, Keyboard, ein Rezitator und zwei Gesangsstimmen. Es ist als «Musiktheater» angekündigt, was heisst, dass mit Musik, Text, Choreographie eine Interpretation von John Miltons «Paradise Lost» (Versepos von 1667) vonstatten geht. «Szenischen Jazz» könnte man es nennen, «Marching Jazz» (wenn sich die Bläser samt Notenständern auf der von Kaspar Ewald vorgängig eigenhändig geputzten Bühne bewegen). Nicht der «Tell»-, sondern der satanische Paradies-Apfel hängt am Gummiseil von oben herab, um später dann von Eva angebisssen zu werden. Verbunden wird das literarische Paradies-Motiv bei Ewald mit Ausführungen zur englischen Garten-Theorie; das Britische war ja da Wilde im Gegensatz zum symmetrischen Gepützeltsein der französischen Garten-Art. Die Musik ist ziemlich okay, aber, so wird einmal vermerkt, warum muss eigentlich immer auch noch etwas theäterlet werden?

Theäterlet wird auch bei Nois Kwintet und seinem Programm «Schöwüescht», wenn die Musizierenden in Touristenmanier Blitzfotos schiessen. Dann aber Musik. Angelehnt an das Motiv der Urnäscher Silvesterchläuse, die hinter Masken (schöne und eben auch: wüeschte) zäuerlen und zunehmend alkoholisiert ihre Tradition pflegen, derweil es natürlich auch längst ein Fall für den Tourismus ist. Ein Ansatz: ins Dunkle des Silvesterchlauses hinter seiner Maske zu leuchten mit musikalischen Mitteln. Dafür hat der Volksmusik-Erneuerer Noldi Alder (aus der vierten Generation der berühmten Dynastie) Leute aus der Jazz- bzw. Impro-Szene um sich versammelt. Namentlich Bruno Amstad, den Luzerner Vokal-Crack, der mit Loops und Hall und Körperperkussion seinen Beitrag leistet. An den Drums der versierte Ustermer Lucas Niggli, am Kontrabass die auch singende Anna Trauffer und an der bisweilen tüchtig ausfahrenden Violine Helena Winkelmann. Noldi Alder selber geigt, spielt Hackbrett, setzt sich mal ans Klavier und jodelt. Das ist «Volksmusik meets Jazz», wie es funktionieren kann. Übrigens, Versprecher des Festivals von Moderatorin Nina Brunner: «Aldi Nolder». Es ist ja auch schon spät, bereits nach Mitternacht im Freitagsprogramm, als es Zeit für «Schöwüescht» wird. Noldi Alder begrüsst denn auch mit «Guten Abend, guten Morgen». Bald begrüssen kann er ein Luzerner Publikum. Nachdem er kurz vor Boa-Ende schon einmal mit seinem anderen Projekt «Klangcombi» in Luzern spielte, tut er es erneut am 8. November im Kleintheater. Ich würde sagen: hingehen. Und bereits werden Flyer verteilt. Noldi Alder wird im «musical storyboard» mit dem Titel «Wysel» die Titelrolle übernehmen. Dabei handelt es sich um «eine Klang- und Bildreise in die wilden Urzeiten der Ländlermusik», angerichtet von Franz-Xaver Nager. Am 28. Januar ist in Altdorf Premiere, und geplant ist, dass das Multimedia-Projekt auch fleissig in der Schweiz tourt.