In Stein gemeisselte Leichtigkeit

Galerie Urs Meile, 14.3.2015: Was früher zu Tausenden von Tonnen in repräsentativer Architektur verbaut wurde, präsentiert sich in der aktuellen Ausstellung in der Galerie Urs Meile als filigranes Arbeitsmaterial: Marmorstein.

Nein, der Ausstellungstitel «Mármakos» bezeichnet keine griechische Insel, sondern steht für das griechische Wort Marmor. Und um dieses exklusive Arbeitsmaterial dreht sich die Werkschau in der lichtdurchfluteten Halle der Galerie Urs Meile. Internationale Gegenwartskünstler aus dem östlichen Kulturkreis, namentlich Ai Weiwei (*1957 in Beijing), Hu Qingyan (*1982 in Weifang), Li Zhanyang (*1976 in Changchun) und Liu Ding (*1976 in Changzhou) widmen sich in ihrem künstlerischen Œuvre immer wieder dem Steinmaterial. Ob gefärbt, verwittert oder in seiner reinen Natürlichkeit besitzt Marmor eine anmutige Stille und Kühle, die sich in den Skulpturen zu widerspiegeln vermag. Als bevorzugtes und ausgesprochen teures Material innerhalb der Steinbildhauerei haftet dem Marmor eine gewisse Werthaftigkeit an, was von den ausgestellten Künstlern aufgenommen und transformiert wird. Ai Weiwei versteht es, subtile Alltagsgegenstände in Marmor verarbeiten zu lassen. Eine verkaufstechnisch reservierte Sitzgelegenheit findet sich ebenso in der Ausstellung wie eine abstrahierte Baumskulptur, die für 280'000 Euro noch zu haben wäre. Eine äusserst kritische Arbeit mit dem Titel «Marble Rebar» – ein aus einem Marmorblock gehauenes Armierungseisen – referenziert auf die verheerenden Baumängel, die im Jahr 2008 während eines Erdbebens in Sichuan mehrere Schulgebäude zerfallen liess und 5000 Schüler das Leben kostete.

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Einen eher traditionellen Ansatz wählten Li Zhanyang und Liu Ding, die sich der Wiedergabe des menschlichen Körpers in Marmor widmen. In der Manier der alten Griechen und Römer zeigen die beiden Chinesen einerseits eine (von Vogeldreck und Staub gekennzeichnete) Kopfbüste, die den Ausstellungsraum von einem Sockel herab zu überwachen scheint und andrerseits eine weibliche Gesässpartie in ungewohnt obszöner Position. Beide Arbeiten hinterfragen die klassisch-idealisierte Darstellungsweise von Marmorskulpturen und überzeugen durch eine eigenständige, leicht ironisierende Bildsprache.

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Als westlicher Gegenpol, der sich ebenfalls dem Material Marmor angenommen hat, dienen die Arbeiten des gebürtigen Bündners Not Vital (*1948 in Sent) im Eingangsbereich. Seine als «Landscape» und «Mountains» betitelten Kunstwerke überzeugen durch ihre technische Fertigkeit und imposante Formensprache. Not Vital hat verschiedenartig gemusterte Marmorplatten ausgewählt und mit einer dreidimensionalen Formgebung aus Gips ummantelt. Diese Arbeitsweise lässt die Marmorstruktur besonders gut zur Geltung kommen. Das dezente Herausragen aus der Ausstellungswand begünstigt die Wahrnehmung der Skulpturen als landschaftliche Motive, die an felsige und schneeverhangene Bergwelten erinnern.

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Die Ausstellung «Mármakos» verbindet auf eine angenehme Art und Weise die minimalistische Leichtigkeit des Materials Marmor mit den unterschiedlichen Auffassungen der technischen Verarbeitung. Bedenkt man, dass den Arbeiten meist ein kompakter Marmorblock zu Grunde liegt, verstärkt sich der Respekt vor den vorliegenden Arbeiten, sei es eine Wolke, ein Bündel Geldnoten oder ein Einweggeschirr.

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Die Ausstellung Mármakos ist in der Galerie Urs Meile Lucerne noch bis am 9. Mai 2015 zu sehen.