Sprung in der Feder, Teil 2

Kulturwerk 118, Treibhaus Luzern, 18.10.2015: Wenn sich 25 Bands an zwei Abenden in fünf Kulturhäusern messen, dann kann das nur eines bedeuten: Es ist wieder Sprungfeder! Da viele junge Menschen keine Lust mehr auf ausufernde Texte haben, sondern viele Bilder und kurze, knackige Fazits mögen, hat sich Kulturteil.ch diesem Begehren mittels eines Experiments angepasst. Das Resultat sind 20 gnadenlos ehrliche, aber auch augenzwinkernde Kurz-Rezensionen zu den Bands im Einzugsgebiet unseres Blogs, zusammengefasst in zwei Teilen aus einem What's App-Gruppenchat.

Von Carina Odermatt (Senkel), Marc Wermelinger (Südpol), Céline Estermann (Kulturwerk 118), Stoph Ruckli (Treibhaus Luzern). Zusammengestellt durch Stoph Ruckli

Kulti_1_BlueRage

Céline Estermann (CE), Kulturwerk 118: Eröffnet wird der Sprungfeder-Abend von Blue Rage: vier schick gekleidete Jungs, deren Frontsänger ein starkes Stimm-/Schreiorgan unter Beweis stellt. Leider einzelne, merkbare Texthänger. Nervosität? Nach dem Track ein kurzes Fuck ins Mikro und auf zum nächsten Song. Der vierte Musiker ist auf dem Bild übrigens nicht zu sehen, weil er gerade im Publikum abrockt. Die Meitli in der ersten Reihe wollen mehr und schreien nach Zugabe. Groupie-Love über alles.

  Treibhaus_1SourMash

Stoph Ruckli (SR), Treibhaus Luzern: Ich habe meine Heldin des Abends bereits gefunden: die Sängerin von Sour Mash, einer ganz frischen Band. Da sind sogleich die Chili Peppers wieder vertreten nach gestern: Gleich mal «Californiacation» reindrücken. Und jetzt SCHLAGZEUGSOLO!!... ... ... daran müssen wir aber noch arbeiten. Ansonsten eine frische Aufführung! Die ersten Väter rennen bereits zum Techniker, doch dessen Signalisation ist klar: «Sorry, ich nix hören». Ab in die Pause und den Altersschnitt drastisch hochziehen.

Kulti_2Mindpatrol KultiMoshpit

CE: Die zweite Band des Abends ist Mind Patrol. Haben ein wenig Technikprobleme, harte Gitarrenriffs und einen Sänger mit grossem Talent zum Schreien. Seine Singstimme ist aber eindeutig zu dünn. SR: Falls du mal was googeln willst in den Pausen, such «Gutturaler Gesang». CE: Ist auf meiner «To google list». Headbang-Action und schon der erste Moshpit (siehe Bild). Fazit: beeindruckend, aber angsteinflössend. Das Publikum geht so richtig ab, Mind Patrol scheinen  das richtig gut zu machen. Jetzt spielen zwei sogar in der Mitte des Moshpits. Plus ein Schreicontest! Motto: «fight, fight till we die». Rebellion pur! Und zum Abschluss ein riesiger Hüpf-Moshpit.

Treibhaus_2MGhadi

SR: Hier brennt nun ebenfalls die Luft dank Luzerner Kantiprominenz: M'Ghadi mit dem kuhlsten Trombonespieler der Zentralschweiz. Ska scheint wieder in zu sein? Das Publikumsvoting hat die Band auf jeden Fall bereits gewonnen – was aber auch kein Wunder ist bei neun Nasen auf der Bühne. Ich fühl mich grad wie in dieser Scrubs-Folge, wo alle auf den Bahamas die Hochzeit des Hausmeisters feiern. Dort wäre ich dann Bob Kelso, der an der Bar sitzt und einen Bahama Mama nach dem anderen bestellt. Und von wem wurden M'Ghadi (vermutlich unbewusst) inspiriert? Den Chili Peppers natürlich! Doch dann: Moshpit? Fehlanzeige; hier heisst das Pogo! Was für eine Party! Die fetten Bläser, Instrumental-Duelle und ein wilder Groove machen's aus.SR: Tolle Energie. Nur an der Dynamik müssen sie arbeiten. Jetzt rappt der Tubist auch noch! Meine Favoriten bis jetzt. CE: Apropos Rappen: In Sursee sitzt ein relativ bekannter Rapper der Region (Gimoni) in der Jury; sehr lustig bei all den Metalbands.

Kulti_3Astrowahle

SR: Ah, Astrowahle aus Luzern. Die haben (wie ein paar andere der diesjährigen Sprungfeder-Bands) schon letztes Jahr mitgemacht. CE: Genau. Das Kulturwerk füllt sich merklich, der Altersdurchschnitt steigt langsam. Leider stehen jetzt alle nur rum. Moshpit war lustiger. Der Sänger schreit und headbangt sich abwechselnd die Seele aus dem Leib. Die feiern sich selbst so abartig, dass es das Publikum gar nicht mehr tun muss. Dieses scheint eh nicht so begeistert. Lediglich die vorderste Reihe klatscht mit. Fazit: technisch gut (so weit ich das beurteilen kann), Zuhörerschaft geht null ab, da sie nicht miteinbezogen wird. Meiner Meinung nach eher langweilig, trotz extremer Lautstärke. Die drei Jungs sind auch die einzigen, die toben. Wenn man wirklich gut ist, reisst man auch jene mit, die einen nicht kennen. Vor allem, weil so ziemlich das ganze Publikum völlig metal-besessen ist.

Treihaus_Treibhaus_KingJulian

SR: Die Technikcrew und ich sind uns einig: Wir haben gerade den besten und herzigsten Musiker des ganzen Abends entdeckt. Traue mich nicht, ihn nach seinem Alter zu fragen; bin nervöser als bei unzähligen anderen Bands, die ich schon betreut habe. Danke, King Julian: du beweist mir, dass ich immer noch Kind bin.

Treibhaus_KingJulian

SR: Leider beginnen seine doppelt so grossen Mitmusiker von Cold Comfort mit einem Cover von Bon Jovi. Da kann auch der König wenig verrichten: «Häve a neis day». Schlagzeuger-Tempo eiert wie jemand, der nach zehn Treibhaus-Frangelicos mit dem Fahrrad heimfährt. Sein Solo macht's noch schlimmer (Metronom lautet das Zauberwort). Und dann zu «Seven Nation Army» von The White Stripes wechseln. Die Ansagen sind aber grosses Kino: «Ade Gitarre: De Ivarrr» – «euse Rockstarrr», möchte man da hinterherkrähen. Egal: Das Publikum tobt und labert. «Und jetzt en Song über schlächti Amachsprüch». So, fertig jetzt. Während der Pause inspizieren ein paar Papis dann ganz interessiert die Kästen mit den vielen Knöpfen und Reglern (aka Mischpulte), um danach darüber zu fachsimpeln: «Da mached also aui die huärä Lingge». Und das Motto der Jugendlichen, wenn sie etwas am Boden liegen sehen? Reinkicken. Gleich mal zusammenscheissen, den Halunken!

Haddock3 Kulti_4NoKingsNoSlaves

CE: No Kings No Slaves optisch schon mal ganz toll. Zitat einer Freundin: «Wäre ich Metallerin, ich würde auf die stehen». Der eine hat seine Headbanghaare richtig schön glatt gezogen mit dem Streckeisen. SR: Uh, metrosexuelle Metaller! CE: Geht jetzt richtig ab; die Mädels scheinen's besonders gut zu finden. Aber wirklich: Die Typen heizen ein und haben sogar ein bisschen Melodie. Bis jetzt meine Favoriten. Gschläcktes Auftreten hin oder her.

Treibhaus_Beldenfetzen4

SR: Ou, jetzt bei mir Singer-Songwriter: Dave Bennett, Zögling von Henni Belden, versus das Gelaber des Publikums. Und wenn es nicht Ruhe  gibt, hüpft er rein und verprügelt es, der huere Fetze. Zumindest die vorderste Reihe hat's ein wenig gefühlt.  Gosh, Singer-Songwriter ist so langweilig. Dabei hat der gute Mann eine gute Stimme und eine angenehme Präsenz. Aber schon Damian Lynn hat erfolgreich erkannt, dass mindestens eine Loopstation hermuss, um so etwas aufzupeppen. Dafür ist Henrik Belden himself nun anwesend.

Kulti_5Unidentify

CE: Unidentify machen den Schluss. Leider vermag es nicht mal die schöne Sängerin, das langsam müde Publikum in Stimmung zu bringen. Nur noch die vorderste Reihe macht mit. Zudem geht ihre Stimme völlig unter zwischen Riffs, Drums & Geschrei des Sängers. Plus drängen sich alle hormongesteuerten Typen in die vorderste Reihe, um sie zu begrabschen. Sie macht das aber erstaunlich gut, verteilt einen Stinkefinger nach dem anderen. Ein echtes Rockchick, das ihren fünf Typen locker die Show stiehlt. Würde sie am liebsten adoptieren. Da wurde sogar das Publikum ein letztens Mal wach und formte einen letzten Moshpit – zu Ehren des metal-geschwängerten Abends. Mein Fazit: No Kings No Slaves oder Unidentify.

Treibhaus_5Seasons

SR: Hier tritt zum Schluss eine Punk-/Hardcore-/Alternative-Rock-Band auf. Und macht klar: Das wird ein knallhartes Battle zwischen Seasons und M'Ghadi geben. Der Gitarrist  ist klasse, auch wenn sich manche Riffs wiederholen. «Brave Punk-Band» geht aber gar nicht: «Hallo Triibhuus, schön, sinder alli do» – heeeee, wo ist denn da die Attitüde? Musikalisch eindeutig attraktiver; äusserst solide Kost! Nur das Singen & Schreien klingt manchmal ein wenig arg dünn-verzweifelt-jung. Trotzdem kriegt auch das Treibhaus noch einmal eine Kombi aus Mosh-Pit und Pogo. Inklusive Wall of Death! Viel Potenzial zum Schluss.


SR: Und dann endlich die Siegerverkündigung. Nicht unerwähnt bleiben soll im Treibhaus Luzern der grossartige Host des Abends: Luki Geisseler, unter anderem Kulturkopf von 041 - Das Kulturmagazin und treibende Kraft hinter dem Tat-Ort Bernstrasse. Und wer schon immer wissen wollte, wie so eine Siegesverkündigung aussieht, erlebt hier den schönsten Moment von Seasons, welche dank der Gunst der Jury den entscheidenden Vorsprung erzielen konnten. Im Kulturwerk 118 gewannen No Kings No Slaves. Speziell hervorgehoben im Video muss auch der neue Sprungfeder-Chef Marquito Müller, welcher es geschafft hat, die Sprungfeder in diesem Jahr nicht nur wieder attraktiver und präsenter erscheinen zu lassen, sondern auch einige gute Bands und interessante Newcomer zu entdecken. Hielt sich dieses Verhältnis in den vergangenen Ausgaben eher die Waage, so sind jetzt die wirklichen Abschiffer kaum mehr präsent. Damit auch unser Nachbarkanton Zug nicht unerwähnt bleibt: A.K.A. Unknown gewannen dort die Vorentscheidung. (Da Zug eine eigene IG Kultur mit dazugehörigem Publikationsmedium besitzt, wurde auch kein_e  Kulturteil.ch-Schreiber_in dorthin entsandt). Am 5. Dezember 2015 findet im Konzerthaus Schüür die finale Runde statt mit Seasons, No Kings No Slaves, Shoot The Satellite, The Schorchettes und A.K.A. Unknown. Wer gewinnt, gibt es dann erneut hier nachzulesen.