Sommer Cum Laude

Südpol Luzern, 24.06.2016: Der Sommer ist auch in die Säle des Südpols hineingeweht. Das verheissungsvolle Line-up eines nachdenklichen Theaters gefolgt von den Bands BadBadNotGood und SchnellerTollerMeier ging in seiner Wirkung voll auf. Die Installationen der HSLU Design und Kunst sorgten für Grossstadtgefühle. Eine heterogene Masse fand trotz Stadtfest, Brexit und Hitzeschlägen nach Kriens und genoss den Sommeranfang unter dem Motto «Cum Laude» – heute würde man sagen: ganz ordentlich gut.

Der Anfang machte die Theatergruppe VERK aus Norwegen. Eine kleine Besuchergruppe traf sich im Neubad um kurze Instruktionen zu erhalten. «Hello ... can you hear me?» ertönt es aus den Boxen; Das Gesicht des über Skype angerufenen Gegenübers auf die Leinwand projiziert. Die Frau auf der Leinwand erklärt auf Englisch, welche Bedeutung und Kraft das Gehen für das Nachdenken habe. Walking and thinking – Platon bis Nietzsche erkannten die schöpferische Produktivität des Gehens. Besondere Gehirnregionen würden angeregt, es könne sogar eine so genannte Alpha-Ebene ­– das klingt gut genug um eine Erklärung auszulassen, oder?! – erreicht werden. Mit dieser vielversprechenden Einführung und der Frage, wie die Welt in der Zukunft sein sollte, machte sich die Gruppe auf den Weg.

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Ankunft im Südpol nach dem «Walk». Die VERK-Produktionsgruppe fand über nunmehr zwanzig Jahre einen Weg, politisches und satirisches Theater in direkter, den Zuschauer fordernden Form auf die europäischen Bühnen zu bringen. Die Arbeitsweise entspricht einem gemeinschaftlichen Prozess, bei dem während der Entwicklung die Diskussion von grösster Bedeutung ist. Eine der Schauspielerinnen erklärt, wie sie diese Art des Theater brauche. Das persönliche Einbringen in die Entwicklung und die Verbundenheit mit dem Publikum. Beat the Drum: Walk Im kleinen Saal angekommen begann die Geschichte. Ein Performer, zwei Performerinnen und ein Schlagzeuger an seinem Instrument führten durch das auf Zetteln aufgeführte hinten an der Wand angebrachte Programm. Die angeregten Gedanken und sich daraus ergebenden Fragen bewegten sich zwischen Gegenwart und Zukunft – mögliche Wege. Das von Marshall McLuhan beschriebene «globale Dorf» wird aufgegriffen. Was ist die Kraft des Internets? Wie können wir sie nutzen? Fragen werden mit der Überzeugung gestellt, die Antworten nicht darbieten, sondern in den Köpfen fördern zu wollen. Mit ihrer Produktion sucht VERK nach Ideen wie das aktuelle Leben in einer brutalen, asozialen und sich immer mehr und mehr aufspaltenden Gesellschaft anzugehen sein könnte. Sie regen an, sich aus der eigenen Blase zu lösen und bieten dem Künstler die Möglichkeit, seine Rolle in einer vernetzten Welt zu finden. Die geteilten Gedanken schweifen über die Härte bis zur Schönheit der Welt – man meint, ihrem Kern näher zu kommen. Gleichzeitig entfernt dieser sich wieder sobald man eintaucht in die Gedanken – das altbekannte Paradoxon ... Schon der Name des Projekts «Beat The Drum» symbolisiert eine Kernidee: Das Trommeln war in verschiedenen Stammeskulturen, zum Beispiel derjenigen der Aborigines, ein Zeichen für das Versammeln der Bewohner. Dieses «Zusammentrommeln», Austauschen und Beisammensein will die Theatergruppe simulieren. Die Drum-Intermezzi wirken dabei als Weckruf zum gemeinschaftlichen Denken. Wenn es regelmässig kracht und groovt, spürt man das Rohe dieses Instruments, das Urtümlich-Archaische, das in jedem von uns enthalten ist, wie es der Schlagzeuger erklärt, als er sein Verhältnis zu seinem Instrument erläutert.

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Die publikumsverbundene Bühne bei Diskussionen nach der Vorstellung. Wir leben – könnte man nach diesen Erfahrungen resümieren – in einer Zeit, von nie dagewesener Diversität an Individualität. Die VERK-Gruppe nimmt die verantwortungsvolle Rolle der Verbindungsplattform zum Austausch und gegenseitiger Inspiration der verschiedenen Geschichten ein. Und wie wollen Sie in Zukunft die Welt um Sie herum vorfinden? Nach einer einstündigen Verdauungspause geht’s weiter mit Musik. Jazz-Hop Die Kanadier von BadBadNotGood bespielten nun mit pünktlicher Verspätung die Hauptbühne. Mit einer fesselnden Präsenz gelang es ihnen, vom ersten Ton an die Stimmung anzuheizen. Der Aufforderung zu «Power in the room» kommt das Publikum somit lauthals und hemmungslos nach. Mit langgezogenen Steigerungen zu ausschweifenden Drops und hymnischen Themen gespielt vom dem Trio zugezogenen Saxophonisten Leland Whitty erzeugen sie ein ständiges Wechselspiel von Spannung und Entladung raus in die Menge.

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Ihren Studioalben traut man einen solchen Live-Charakter nicht voll und ganz zu. Definitionsversuche sind schwer. Die Eigenbrühe des Trios mit verschiedenen Genrenuancen findet sich zwischen kompositorischer Raffinesse und aus dem Bauch heraus empfundener «Tightness» ein. Die drei Musiker absolvierten alle ein Jazzstudium und teilten, als sie sich dort kennenlernten, eine Vorliebe für Hip-Hop. Diese Kombination ist keine Seltenheit. Entscheidend für die Wirkung bleibt der Eigencharakter, den diese drei Jungs ohne Zweifel vollkommen authentisch präsentieren. Angefangen haben sie mit jazzigen Versionen von Hip-Hop-Klassikern von J Dilla bis Kanye West. Das jetzige Programm enthält neben wenigen Covers vor allem die energetischen Eigenkompositionen des letzten Albums III und des am 8. Juli erscheinenden Album IV. Ich beobachtete eine Band, die so heiss auf ihr Publikum ist, dass der Kontakt niemals abzubrechen drohte. So pflegen sie es auch untereinander. Der Zuhörer fühlte ihre Lust, miteinander zu musizieren, Party zu machen und dazu noch Soli abzudrücken während die anderen dem Mitspieler einen Boden unter die Füsse stellten, sodass er abheben konnte. Schwitzende Köpfe freuten sich danach auf ein weiteres Bier und vor allem das anhaltende Fest. Zum finalen Konzert des Schweizer Trios SchnellerTollerMeier reichte es mir leider nicht mehr – sorry! Ihre achte und letzte Show der Konzertreihe wird sich aber den vorhergehenden Meisterwerken angeschlossen haben und den Südpol in ein Beben versetzt haben, das bis nach der Sommerpause anhalten wird. Danke Südpol! – Für einen Abend voller Qualität und nicht zuletzt einer tollen Party. Dieser Beitrag ist in Kooperation mit dem Online-News-Portal Zentral+ entstanden und kann auch dort gelesen werden:

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