So ein Theater! – Dritte Diskussion der IG Kultur zur Salle modulable im Südpol

Bereits zweimal hat die IG Kultur zur Diskussion über die Salle modulable und ihre Auswirkungen in den Südpol geladen, bei der dritten Auflage gestern Montag ging es spezifisch um das Theater. Pirelli ging einmal mehr hin – und wurde nicht aus den Socken gehauen.

Nach den Runden von Dezember und Januar nun also die dritte Diskussion um die Salle modulable. Bereits zum zweiten Mal in der Form eines «World Café» – also drei grosse Tische in der Grossen Halle; an jedem Tisch wird über ein definiertes Thema diskutiert, dann wechselt man nach einer halben Stunde – ich muss es noch einmal schreiben, weils mir so gut gefällt: in einer Art geriatrischem Speed Dating – den Tisch und das Thema. Die Tische standen nun weiter voneinander entfernt als beim letzten Mal, was die Kommunikation deutlich erleichterte. Diese Art der Diskussion hat Vorteile – man kommt viel eher ins Gespräch, redet auf Augenhöhe mit den anderen Interessierten und den ExpertInnen –, aber auch einen entscheidenden Nachteil: Wenn man nicht einfach an einem Tisch bleibt für alle drei Runden, bekommt man nur einen Bruchteil dessen mit, was diskutiert wird. Im Folgenden schildere ich meine Eindrücke, meine Sicht des Abends – und fordere dazu auf, die Kommentarfunktion unten reichlich zu nutzen, damit sich so ein umfassenderes Gesamtbild des Diskussionsstands ergibt. Die rund 50 Teilnehmenden setzten sich zu grossen Teilen aus TheatergängerInnen und Theaterschaffenden aus der freien Szene zusammen – vom Schauspiel des Luzerner Theaters hatte es niemand nötig zu kommen. Das empfand man allgemein als durchaus skandalös: Das Haus wird mit 22 Millionen unterstützt, es findet eine gross angelegte Diskussion um eben dieses Haus und seine Zukunft in Zeiten neuen Geltungswahns und ersehnter Luxustempel statt – und dann verweigert es sich diesem Gespräch. Diese Haltung allerdings hat System, wie an meinem ersten Tisch deutlich wurde: Thema: «Wo beginnt die freie Szene, wo hört sie auf?», mit Gisela Widmer (Autorin) und Annette Windlin (Theaterschaffende). Hier wurde erst um die Begrifflichkeit diskutiert: Man kann nicht von «etabliertem» und «nicht etabliertem» Theater sprechen, denn auch die freie Szene ist durchaus etabliert. Also schlug man vor, bei den staatlichen Häusern von «institutionalisiertem Theater» (im Folgenden: iT) zu sprechen, im Gegensatz zu der nicht institutionalisierten freien Szene. Nicht nur ist der Begriff tauglich, er ist auch ein Zungenbrecher und sorgte den ganzen Abend für manch amüsanten Versprecher. Nun schuf Windlin auch eine klare Abgrenzung zwischen der freien und der Laientheaterszene, die in den Medien gern vermischt würden. Diese Unterscheidung lässt sich leicht machen, man lebt davon oder nicht. Was also zeichnet die freie Szene aus? Man hat wenig Geld, aber viel mehr Gestaltungsfreiraum. So muss man sich nicht an den Bildungskanon halten und jedes Jahr mindestens drei Klassiker aufführen, sondern kann schnell und direkt auf politische und/oder gesellschaftliche Sachverhalte eingehen. Und man hat im Gegensatz zum iT ein weniger eingeschränktes Publikum, was wiederum zum Gestaltungsfreiraum beiträgt. Das iT hingegen verfügt über eine ausgebaute Infrastruktur mit Kulissenschreinerei, Kostümfundus, gewieften TechnikerInnen etc.

Weshalb also findet gerade in Luzern keine Durchlässigkeit gegenüber der freien Szene statt? Kostüme müssen teuer gemietet werden, lokale Theaterschaffende werden in der Ära Mentha offenbar systematisch übergangen, nicht einmal hiesige Schauspieler werden für einzelne Stücke zur Ergänzung des geschrumpften Ensembles angestellt. Das sei unter Mundel deutlich anders gewesen. Ich selber kann das nicht beurteilen, aber das Theater damals war tatsächlich besser, interessanter und politischer, mir ward ganz weh ums Herz. Der kantonale Kulturbeauftragte, Daniel Huber, schloss sich dieser Kritik an der systematischen Abschottung des Luzerner Theaters gegenüber der freien Szene mit überraschend deutlichen Worten an. Dann war die halbe Stunde vorbei, und es ging an den nächsten Tisch: «Wer geht (und warum) ins Theater?», mit Stefan Graber (Germanist, Kulturvermittler) und Ina Brueckel (Präsidentin Theaterclub, Stiftungsrat Luzerner Theater). Man diskutierte um diese Frage, stellte fest, dass am iT die AbonnentInnen und die Subventionsgeber den Spielplan massgeblich mit bestimmen, kam wieder auf Mundel zu sprechen und die Abo-Besitzer, die jeweils nach fünf Minuten ihren Platz sich lauthals beschwerend verliessen – natürlich ohne etwas vom Stück mitbekommen zu haben, sondern einfach, weil es zum guten, bürgerlichen Ton gehörte. Überhaupt diese Bürgerlichkeit! In beiden Bedeutungen des Worts: Bildungsbürgertum wie auch politisch eher rechts stehend. Zwar wurde die bürgerliche Ausrichtung des iT erst erheblich in Abrede gestellt, dann aber musste man sich ebendieser Bedeutung doch fügen, wiederum in Anbetracht der Geldquellen und des Bildungsauftrags. Und erneut wurde diesem Umstand die Freiheit der freien Szene entgegengesetzt, verschiedene VotantInnen erwähnten, dass sie durch freie Produktionen emotional mehr mitgenommen worden seien als am iT, dass Verblüffung und Konfrontation, also die Urfunktion des Theaters, der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten, dort viel eher stattfänden. Und es fiel ein markiger Kernsatz: «Nicht alles, was schlecht besucht wird, ist automatisch gut – und nicht alles, was ausverkauft läuft, muss gleich schlecht sein.» Sonst nicht viel Neues an diesem Tisch. Also zum dritten: «Die Zukunft des Theaters?», mit Stefan Sägesser (Theaterfachmann) und Erich Sidler (Schauspielchef Stadttheater Bern). Hier fantasierte man über mögliche Zukunftsformen, und endlich kam auch die unselige Salle modulable ins Gespräch: Man zitierte Valentin Groebner, der beim ersten Podiumsgespräch gesagt hat, man solle wahre Modulabilität dadurch erreichen, dass man sich nicht auf einen neuen Tempel konzentriere, sondern das Geld nütze, ganz verschiedene Räume temporär zu bespielen. Und das schien der Tenor zu sein: Weg von der Guckkastenbühne, hin zur Innovation durch neue Räume. Mehr habe ich von diesem Tisch nicht mitbekommen, weil mich der ganze Abend reichlich fadisierte und ich in die Shedhalle ging, wo man an der Bar bei Wein und Tabak wesentlich direkter und konkreter sprach. So erfuhr man unter anderem, dass es bei der Frigorex möglicherweise doch nicht so schnell geht wie geplant, weil Immobilientycoon Jost Schumacher befürchte, den durch die Bauzonenvorschriften erforderlichen Gewerbeanteil in der heutigen Wirtschaftslage nicht vermieten zu können. Dann sollen jetzt Bestrebungen stattfinden, eine Art Brachenkataster zu erstellen, damit Zwischennutzungen leer stehender Gebäude möglich werden. Und weiter wird an einem teuren Modell gebaut, das die technischen Möglichkeiten der Salle modulable zeigen und ihr endlich ein Gesicht geben soll. Insgesamt zeichnete sich der Abend vor allem durch Abwesende aus: das männiglich als frech empfundene Fehlen des Schauspiels des Luzerner Theaters, die fehlende Diskussion über die Auswirkungen der Salle auf iT und freie Szene, die Konkretisierung dessen, was aus dem Stadthaus neulich verlautete, nämlich dass man an die Salle ein weiteres Gebäude anbaue, in dem institutionalisierter Tanz und Theater stattfinden sollen, und zwar wundersamerweise zu gleichen Kosten. Auch wurde wieder nicht angesprochen, wie die Salle denn zu bespielen sei. In Anbetracht der Kosten und der technischen Möglichkeiten geht das nämlich nur, wenn man erstens ganz neue Probelokalitäten mit vergleichbarer Technik schafft – die in jedem Budgetentwurf einfach fehlen –, und zweitens, wenn man die Salle für die Endproben mehrere Wochen schliesst und dann längere Zeit nur ein Stück aufführt, das Mainstream zu sein hat, weil es ausverkauft laufen muss. Und auch die Kosten blieben aussen vor: Bereits jetzt ist am Luzerner Theater jeder Platz mit mehr Subventionen unterstützt, als der/die ihn Besetzende an Eintritt bezahlt hat – wenn der Platz denn überhaupt verkauft ist. Bei der Salle wird dieser Betrag massiv steigen. Zusammengefasst also immer noch keine Klarheit am Horizont. Nachtrag: Verschiedene OhrenzeugInnen haben berichtet, die städtische Kulturchefin habe sich mit Häme (das Wort fiel in Abwandlungen bei allen, die davon erzählten) dahin gehend geäussert, dass die freie Szene sich mit der Demo der gelben Schuhe ein Ei gelegt habe, ohne diese Demo wären 1,5 Millionen an Subvention geflossen. Das nimmt mich jetzt aber wunder. Würde Rosie Bitterli dazu vielleicht in einem Kommentar Stellung beziehen? Wie kann es sein, dass eine kreative, friedliche, das Gewerbe überhaupt nicht störende Aktion einen solchen Effekt hat? Und wer befindet darüber? Sollte es tatsächlich wahr sein, stünden die Zeichen auf Sturm.