Sie ist eine protestantische Schönheit – wie ein Volvo

Der Verlag «Der gesunde Menschenversand» gibt anlässlich der Zentralschweier Literaturtage in der Stadtmühle Willisau Einblick in das Schaffen seiner Künstler. Kulturteil ist sich nicht zu schade, den vermeintlich weiten Weg raus in die Provinz unter die Räder zu nehmen und in provinzieller Manier – man kennt und hilft sich gegenseitig – einem bekannten Verlagspatron und seinen Autoren ein Kränzchen zu winden. Vorne weg, der «weite» Weg ins Städtle hat sich gelohnt. Nicht nur wegen Willisau. I'm serious!

«Der gesunde Menschenversand» ist hiesigen, an Alternativkultur interessierten Zeitgenossen ein Begriff, dies natürlich nicht nur, weil der Verlag von Matthias Burki (ehemaliger Kulturmagazin-Redaktionsleiter) mitaufgebaut wurde und inzwischen von ihm in eigener Regie geführt wird. Nein, der Verlag ist ein leuchtendes Beispiel für unerschrockenen Idealismus, Pioniergeist und Hort unkonventionellen Könnens. Gestern Abend durfte ein kleines und eher älteres Publikum drei Amuse-Gueules kosten. Da hofft man insgeheim, dass es in der Küche weiterhin so brodelt!

Der Ausdruck Amuse-Gueules trifft nicht ganz zu, denn so leicht verdauliche Kost war es nicht, die in einem arrangierten Menu von leisen, aber auch prustenden Lachern serviert wurde. Insbesondere Jens Nielsen, der den Abend eröffnete, forderte ein genaues und aufmerksames Hinhören, um so den subtil versteckten Wortwitz zu entdecken.

Nielsen verstand es sehr gekonnt vorzulesen, eine Fähigkeit, die dem einen oder anderen Schweizer Literaten abgeht, so war es denn auch eine akustische Wohltat, was auf der Bühne vorgetragen wurde. Seine Geschichten sind meisterlich aneinander gereihte Aperçus über Zeitdehnung, mitunter das Zeitliche – den Tod an und für sich. Und wie es so ist mit den Bonmots, sie entfalten ihre Wirkung erst nach dem Säen. Teilweise wirkte das Erzählte auch wie ein doppelbödiges Echo aus Absurdistan; da werden selbstzerstörerisch Körperteile verschmolzen, um in der finalen Frage nach «Sein oder Nichtsein» zu gipfeln: Locker, flockig, aber fast immer am Abgrund.

Im zweiten Part gab Matto Kämpf (Bild Textanfang) seine Werke zum Besten. Von der Vorgehensweise her weit weg von Jens Nielsen, aber nicht minder überzeugend. Hemdsärmlig, rustikal, bodenständig und zwischen Mundart und Schriftsprache oszillierend, fühlt ein sensibler Mann in seinen Geschichten der Schweizer Seele auf den Zahn. Fabelhaft echt, träf und auf den Punkt gebracht: «Sie ist eine protestantische Schönheit – wie ein Volvo!» Ein gekonnter Spagat zwischen Anspruch und Unterhaltung. Nicht nur geographisch – der Autor stammt aus dem Berner Oberland – schreitet Herr Kämpf auf ähnlichen Pfaden wie Dürrenmatt, Gotthelf und Loosli, nein auch der Duktus und die thematische Gewichtung referenziert auf die genannten Überväter. In bester Tradition des englischen Humors erzählt Matto Kämpf urchig über Mord und Totschlag und erarbeitet so nebenbei ein feinfühliges Portrait von den Ängsten und Nöten der Dorfbewohner; so erfährt man, dass eine klassische Karriere im Berner Oberland vom Ratrac-Fahrer zum Regapilot führt ...

Nach (zu) kurzer Pause wurde der dritte Gang von Michael Stauffer und Hans Koch serviert. Michael Stauffer war dabei vielbeschäftigt: Vorlesen, auf der Bühne zwischen infantilem Kasperli und zeitweilig ernstem Erzähler wechseln und dabei mit zahlreichen Utensilien hantieren. Währendem Hans Koch (Koch-Schütz-Studer) die Show mit skurrilen Lauten aus seiner Bassklarinette unterlegte. Die Performance, die als Spiel zwischen Musik und Sprache daherkam, wurde von Stauffer selbst als «Wahrnehmungsangebot» bezeichnet. Klar, solch Spektakel entzieht sich naturgemäss jeder Kategorisierung. Nur, wo beginnt und wo endet die Beliebigkeit? Anregend war es bestimmt!

Ein gelungener Abend, der neben den Einzelkünstlern auch gezeigt hat, dass es einen Verlag gibt, der ein breites, vielfältiges Spektrum abdeckt. In diesem Sinn war der gestrige Abend auch eine intelligent arrangierte Werbe-Werkschau des Verlages «Der gesunde Menschenversand» – und definitiv nicht so protestantisch wie ein Volvo.

Zentralschweizer Literaturtage: Noch bis Sonntag in der Stadtmühle Willisau