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Es ist einer der grossen Trugschlüsse im Zusammenhang mit dem Jugendzirkus Tortellini: Nein, nicht nur die Jüngsten, auch die mehr oder weniger Erwachsenen unter uns werden mitfiebern, wenn im Theater Pavillon Luzern zur Premiere des neuen Tortellini-Stücks geladen wird. Für jeden Gusto ist etwas dabei. Es wird auf Altbewährtes sowie manche, sich in vorherigen Programmen bereits angedeutete, Neuerungen gesetzt.

(Von Alessa Panayiotou)

«Und uf wiederluege bim Jugendzirkus Tortellini!» – manche Dinge ändern sich nie, wie dieser obligate, kollektiv laut aufgesagte Satz am Ende einer durchgestandenen Show, Mittel um die ganze, sich lösende Anspannung schallend loszuwerden hat man das Gefühl. Der Jugendzirkus Tortellini bleibt sich selbst seit mehr als 20 Jahren treu, ist ein sicherer Wert für die zahlreichen Fans erster Stunde, was allerdings nicht heisst, dass der Zirkus nicht merklich mit seinen zwangsläufig alternden Mitgliedern mitwächst. Theater und Artistik, in ihrer Kombination ein Markenzeichen des Jugendzirkus, sind im neuen Programm «Das Geheimnis des Simurg» unter der Regie von Livio Andreina stärker den je verflochten. Waren die Theaterparts früher eher Sketche und häufig aus der Not (was nicht ausschliessen soll, dass daraus in Form von Lacherszenen teilweise eine Tugend wurde) entstanden, um Umkleidestress oder den Umbau zwischen zwei Zirkusnummern zu überbrücken, bildet die Theaternarration heute den Rahmen, in welchen sich die Artistik wie eine geschichtliche Notwendigkeit einfügt.

Das Nach-Vorne-Kommen-Und-Verbeugen nach hinter sich gebrachten artistischen Einlagen wurde gestrichen, was dem Fluss der Geschichte offenkundig entgegenkommt und an der Zuschauerfront für einige Überforderung sorgt. Zu Beginn noch sehr unsicher, wann und wie stark klatschen erlaubt ist, scheint sich das Publikum im Verlauf des Abends immer wohler zu fühlen mit der Theater-Artistik-Musik-Mischung und lässt sich im Theater Pavillon zum rhythmischen Zur-Musik-Mitklatschen hinreissen. Ja, wenn die Tortellinis nicht gerade im Zentrum der Bühne aktiv sind, musizieren sie. Musik begleitet die ganzen zwei Stunden – Phillip Fankhauser schaffte dies mit einprägsamen aber doch unaufdringlichen Stücken. Zumal bemerkt werden muss, dass er das Repertoire darauf abstimmen musste, welche Artisten und somit welche Musikinstrumente in den einzelnen Teilen der Schau gerade zur Verfügung stehen. Mal kann er die ganze Musikernische mit Tortellinis füllen, mal muss er sich mit deren zwei begnügen.

Für das neue Programm wurde das erste Mal von einer bestehenden Vorlage ausgegangen. Zuvor entstanden die Ideen für die Theaterszenen während den Improvisationen im wöchentlichen Theatertraining und wurden später von der Leitung und der Regie in eine dramaturgische Form gebracht und ausgearbeitet. «Das Geheimnis des Simurg» nach der Erzählung des persischen Dichters Farid Uddin Attar «Die Konferenz der Vögel» schildert die Suche der Vögel nach ihrem sagenumwobenen, aber nie vorher gesehenen Vogelkönig Simurg.

Der Wiedenhopf ruft Gans, Papagei, Falke, Taube, Nachtigall, Spatz und Co. Zusammen und überzeugt sie mit Anekdoten (natürlich auch diese gespickt mit artistischen Einlagen) zur Abenteuerreise durch Wüste und sieben Täler voller falscher Verheissungen, Verlockungen und Ablenkungen. Der Sandsturm wird zum Kunstradspektakel, die Diabolonummer versinnbildlicht den Wunsch nach schnellerer Fortbewegung (wie kugelnde, runde Objekte, Diabolos eben, sollte man sein), die Vertikaltücher werden zu Nestern in luftiger Höhe, jongliert wird mit dem durch die Elster gestohlenen Gold – alles fügt sich poetisch und nahtlos zu einem Ganzen.

Atmosphäre erzeugen ist eine der grossen Stärken des Jugendzirkus Tortellini; im aktuellen Programm nicht zuletzt auch durch die farbigen, Muster an Muster überlagernden Kostüme von Anna Maria Glaudemans Andreina (manche würden den Pattern-Clash vielleicht mutig nennen, aber der das gehört per se zu Tortellinioutfits). Die starke Bühnenpräsenz und die spürbare Freude der Mitspieler mag auch über einige Längen im Anfangsteil, der für einen Sommerabend doch sehr pathosgeladenen Geschichte, hinweg blicken lassen. Der Funke zwischen Akteur und Zuschauer springt rege – man kann sich des Mitfieberns nicht verwehren. So schwitzt das Publikum nicht nur durch die doch mehr als lauen Temperaturen im Pavillon, sondern auch aufgrund der Sympathien für die Spieler: Man will einfach, dass ihnen alles gelingt. Hat jemand in den hinteren Reihen einen Jonglierball fallen gelassen, entgleitet kurz das Einrad der Kontrolle, entfährt dem geneigten Zuseher schon Mal ein «Oh nei!». Obwohl hier natürlich eindeutig festgehalten werden muss, dass das artistische Niveau in den letzten Jahren extrem gestiegen ist und kaum Patzer passieren. Unsereins kann sich da an andere Szenen erinnern, wo während ihrer tortelliniaktiven Zeit oft sie diejenige war, welche die ganze Show, durch die Mühe aufs Trapez zu gelangen, aufhielt – ehrlich zugegeben.

Der Abend zieht mit und man bewundert das Durchhaltevermögen, die Bühne wird nie verlassen, es gibt kein Hinter-dem-Vorhang, und die Variabilität der jungen Truppe, die mühelos zwischen den verschiedenen Genres hin- und herswitcht, ist beeindruckend. Nein, bloss ein bisschen Theater und Zirkus spielen ist dies nicht, wie die tortellineske Website klar festhält. Ein abendfüllendes Programm auf die Beine zu stellen und zu tragen, erfordert Professionalismus, Verantwortungsgefühl und nicht zuletzt den Zusammenhalt der Truppe – alles zur Genüge vorhanden. In dem Sinne: Tortellini at its best, mit weniger Slapstick, dafür umso poetischer, exemplarisch zu sehen an der Lösung des Rätsels um Simurgs Existenz; hier sei nichts verraten ...

Weitere Aufführungen: MI 19., FR 21, SA 22., SO 23., FR 28., SA 29., SO 30. August, FR 04., SA 05. und SO 06. September, 20 Uhr (SO 16 Uhr), Theater Pavillon Luzern Reservation und Information: http://www.tortellini.ch